Szimpla Kert / Labor Kraft Beer Bar
Budapest
HUN

Szimpla Kert – die Mutter aller Ruin Pubs.

2004. Eine alte Fabrik. Heruntergekommen, vergammelt, kurz vor dem endgültigen Abriss. Was soll man mit ein paar alten, verdreckten und leerstehenden Hallen mitten in der Stadt auch anfangen. Weg damit!

Oder auch nicht!

Stattdessen: Viel Platz für Kneipen, Cafés, Clubs, Partys, Community. Rustikal. Bunt. Laut. Schmutzig. Grell. Vielfältig. Jeder Winkel überrascht mit neuen Ideen. Überall steht, liegt, hängt Kram rum. Zweckentfremdet oder nicht. Nur als Deko, gerne aber auch irgendwie funktional. Man kann aus fast jedem Dekorationsartikel auch einen Gebrauchsgegenstand machen. Oder umgekehrt. Fertig ist das Ruin Pub.

Und so entsteht über die Jahre ein buntes Sammelsurium von Räumen. Hier eine Weinbar, dort eine Cocktail-Lounge. Um die Ecke ein nur schwach bestuhlter Raum für Performances, schräg gegenüber Tischfußball, am anderen Ende psychedelisches Geflacker von Dutzenden alter Computermonitore. Und mittendrin ein Chemielabor.

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das Mad Scientist Labor

Beziehungsweise eine Bierbar, die wie ein Chemielabor aussieht.

Mad Scientist, die kleine, experimentelle Brauerei, die im Budapester Stadtteil Kőbánya ihr Zuhause hat, hat mitten im bunten Trubel des Szimpla Kert ein kleines Ausschanklabor eingerichtet, die Labor Kraft Beer Bar. In allen Bonbonfarben des Spektrums bunt erleuchtet. Die Bierkarte im Styling der Felder des Periodensystems der Elemente. Die Zapfsäulen quietschbunt, mit bunt illuminierten Glasröhren, aus denen das Bier fließt. Statt Gläsern werden Erlenmeyerkolben benutzt.

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schön am frühen Abend eine lange Schlange

Es hat eine Weile gedauert, bis ich mich hierher durchgekämpft habe. Zum einen ist das Gelände riesig und unübersichtlich. Einem Labyrinth gleich ziehen sich die Gänge zwischen den alten Hallen und Räumen entlang. Zum anderen ist es voll. Rappelvoll. Übervoll. Ich bin gerade noch rechtzeitig gekommen, um problemlos hineinzukommen, direkt hinter mir haben die Ordner den Zugang erstmal geschlossen. Ab jetzt kommt nur jemand rein, wenn auch gleichzeitig jemand raus geht. Die Füllgrenze ist erreicht.

Ich streife durch das Erdgeschoss. Schiebe mich an einer Gruppe Rockertypen vorbei, die tiefenentspannt einer Gruppe schrill gekleideter Bauchtänzerinnen zusieht, die sich für einen Auftritt vorbereiten. Ein paar merkwürdig gekleidete Gestalten, wohl ein Junggesellenabschied, wankt mir entgegen. Viel zu früh viel zu besoffen. Viel werden die heute von Budapest nicht mehr sehen.

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jeder Raum hat seine eigene Atmosphäre

Überall junge und mittelalte Menschen aus der ganzen Welt. Ich höre ein Sprachgewirr von überall her, rund um den Globus. Lediglich die ältere Generation scheint kaum vertreten zu sein, aber ich höre später, dass auch sie irgendwo ihre kleine ökologische Nische in diesem Wirrwarr von Eventorten findet.

Im Obergeschoss finde ich sie dann, die Mad Scientist Bierbar. Das Laboratorium. Acht verschiedene Biere hängen am Hahn, an jeder der vier bunten Säulen zwei. Die Auswahl fällt schwer. Der Tag war lang gewesen, ich habe schon einige andere Lokalitäten besucht, schon viele Biere verkostet. Eins ist für heute noch drin, mehr aber nicht. Jam 72, Mango Bay, Tokyo Lemonade, Liquid Cocaine – was sich anhört wie Namen von irgendwelchen Indie-Bands, sind in Wirklichkeit die Namen der hier angebotenen Biere. Nach einigem Überlegen entscheide ich mich für das Smooth Hoperator, ein New England India Pale Ale.

Die Dame hinter der Bar greift zum Plastikbecher, und im letzten Moment kann ich sie zurückhalten. Plastikbecher? Nein danke, dann lieber kein Bier! „Ach so“, lächelt sie. Die meisten Gäste hätten keine Lust, die 1000 HUF Pfand für das Glas zu hinterlegen. Und ohne Pfand gebe es hier im Gedränge zu viel Bruch, weil keiner auf seinen Kram aufpasse, erfahre ich. Ich schiebe einen Tausender über die Theke und bekomme mein Bier nun stilecht in einen Erlenmeyerkolben gefüllt.

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Bier aus dem Erlenmeyerkolben

Sieht ja schon witzig aus, stelle ich fest. Labor Kraft Beer Bar, Szimpla, Mad Scientist – drei Logos sind aufgedruckt, und an der gegenüberliegenden Seite natürlich eine Skala für den Füllstand. Ganz wie im richtigen Labor.

Mit dem Erlenmeyerkolben in der Hand suche ich mir einen Platz. Gar nicht so einfach, und ich beginne, zu verstehen, warum ich Pfand habe zahlen müssen. Ein Knuff im Gedränge hier, einmal im Dunklen gestolpert da. Die Risiken sind vielfältig. Endlich, ein freier Stuhl. Ich setze mich und beäuge mein Bier. Richtig zweckmäßig zum Genießen ist diese Glasform natürlich nicht, stelle ich fest. Die Öffnung ist viel zu eng, um die Aromen des Biers zu genießen, und beim Trinken muss man aufpassen, dass nichts schwappt. Später dann, als der Füllstand des Biers schon stark gesunken ist, wird es besser. Nun hat das Bier die große Oberfläche, um seine Aromen freizusetzen, und der enge Hals des Kolbens konzentriert diese auf, so dass man schön schnuppern kann.

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Chemiebier? Eher nicht!

Während vorne die Bauchtänzerinnen von vorhin eine merkwürdige Performance beginnen, die mit echten Bauchtanz ähnlich viel zu tun hat, wie mein New England IPA mit einem Bayerischen Hellen, genieße ich die bunte und internationale Atmosphäre. Der Tisch, an dem ich sitze, ist mit Indonesiern, Polen, Ungarn und Letten besetzt, die irgendwie zusammengehören, aber so richtig auch wieder nicht. Man mischt sich, entmischt sich wieder, knüpft neue Kontakte, lässt sich treiben. Das Szimpla Kert macht es möglich, in einer Stunde eine Reise um den Globus anzutreten und kaum einen Kulturkreis dabei auszulassen.

Dazu die vielfältigen und teils von großer Experimentierfreude zeugenden Biere von Mad Scientist. Eine schöne, wenn auch etwas schräge Erfahrung.

Die Labor Kraft Beer Bar, wie der Ausschank der Brauerei Mad Scientist heißt, ist eine Bar in einer Bar, ein separater Ausschank im Szimpla Kert. Sie befindet sich im Obergeschoss in einem der Räume, die etwas näher zur Kazinczy Straße hin liegen. Das Szimpla Kert ist täglich von 10:00 bis 04:00 Uhr durchgängig geöffnet; sonntags bereits ab 09:00 Uhr. Zu erreichen ist es von der Metro-Station Astoria (Metro M2, Straßenbahnlinien 47, 48 und 49) in etwa drei Minuten zu Fuß; es liegt von Astoria aus gesehen hinter der großen Dohány-Synagoge.

Bilder

Szimpla Kert / Labor Kraft Beer Bar
Kazinczy Utca 14.
1075 Budapest
Ungarn

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