Ehrtfried Böhm
Unser Bier

Bier vor Ort, Bierreisen, Craft Beer, Bierbuch
Unser Bier

Irgendwann in den vergangenen fünfzig Jahren ist der Schutzumschlag dieses Buchs verloren gegangen, und so liegt es ein wenig schlicht und schmucklos vor mir auf dem Tisch. Ein beigefarben bezogener Kartoneinband, darauf in dunkelroten Buchstaben, leicht eingeprägt, der Titel: Unser Bier.

Auf über 200 Seiten hat Ehrtfried Böhm eine oft freiwillig, manchmal in der Rückschau auch unfreiwillig humorige, aber durchaus umfassende Dokumentation über das Bier und seiner Rolle in der Kulturgeschichte geschrieben.

Sechs Kapitel mit jeweils bis zu einer Handvoll Unterkapiteln handeln das Thema durchaus erschöpfend ab – wenn man Bier und seine Kulturgeschichte auf den (west-) deutschen Raum einschränkt:

  • Bier: Trank der Zeiten, Trank der Völker
  • Ein uraltes Getränk als Quelle geselligen Frohsinns
  • Die natürlichen Urstoffe unserer Freude
  • Von der Entstehung des Bieres, von seinen Bereitern
  • Wirtschaftsfaktor, Handelsobjekt, Trank für jedermann
  • Deutschland, Land des Bieres

In stetem Wechsel zwischen billigem, rauem, leicht gelblichem Papier für den Text und glänzendem, weißem Papier für die zahlreichen Schwarzweiß-Bilder, liefert Böhm eine erstaunliche Menge an Information und – vor allem – auch an Einblicken in die damalige Zeit. Die verwendete Sprache (das Buch ist 1968 erschienen, der Autor ist Jahrgang 1920) erscheint uns heute merkwürdig. Seltsam gedrechselt und verquast sind die Sätze konstruiert, einfache Aussagen werden zu komplizierten Gedankengängen. So heißt es in einer Bildunterschrift, in der es einfach nur um Kneipengemütlichkeit geht:

„Es ist sicher ein liebenswürdiger Zug unserer Zeit, in die meist verhaltene Kühle unseres Alltags ein Stück romantische Wärme zurückzuholen. Zahlreiche Bierschenken pflegen auf diese Weise zugleich alte Tradition und frohe Gemütlichkeit.“

Was dabei aber gefällt, das sind zahlreiche Bilder, Gemälde und Fotografien, die den Alltag mit Bier dokumentieren. Bilder aus einem von körperlicher Arbeit geprägten Alltag, bei dem eine Flasche Bier am Arbeitsplatz dazugehörte und akzeptiert war, Bilder aus Kneipen und Wirtschaften, in denen auf dem Heimweg von der Arbeit noch schnell ein Bier gezischt wurde. Arbeiteralltag der fünfziger und sechziger Jahre.

Aber auch Bilder aus dem gutbürgerlichen Heim. Großer Luxus: Eine eigene Zapfanlage im Wohnzimmer, der gepflegte Genuss in den eigenen vier Wänden. Die Einrichtung der Wohnung, der Kleidungsstil – man merkt den Bildern den Umbruch bereits an, der sich anbahnt. Oft sind junge Leute auch in ihrer Freizeit noch mit Anzug und Krawatte beziehungsweise modischem Kostüm abgebildet, einige Bilder zeigen aber auch schon einen eher legeren Umgang mit dem Äußeren, längere Haare und lockerere Kleidung.

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Tabak- und Biergenuss schienen seinerzeit noch untrennbar miteinander verbunden

Aber noch viel mehr als die längst vergangene Mode fasziniert der Umgang mit zwei anderen Dingen: Mit der Kombination Kinder und Bier und mit dem Tabakgenuss.

Nahezu alle Fotografien, auf denen Bier genossen wird, zeigen auch Zigaretten- oder Zigarrengenuss. Dichte Qualmwolken allerorten, und man kann den Gestank geradezu spüren, der seinerzeit in allen Bars, Kneipen, Cafés und Wirtschaften hing, die Kleidung durchzog, uns nach Haus begleitete, wo ebenfalls geraucht wurde, und schließlich von den Gardinen über die Tapeten bis zum Schnurrbart und den Fingerkuppen alles gelb färbte.

Genauso fremd erscheint es mittlerweile, dass Kinder mittels eines Glases Malzbier, das seinerzeit durchaus auch schon mal einen Alkoholgehalt von bis zu 1,5% haben konnte, oder eines Schlucks Schaum aus dem väterlichen, seltener nur mütterlichen, Bierkrug schon von klein auf an den Biergenuss herangeführt wurden. Mit fünfzig Jahren Abstand erscheinen uns die Bilder heute ungewöhnlich.

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heute kaum noch vorstellbar, der Umgang von Kindern mit (Malz-) Bier

Gerade diese Ungewöhnlichkeit macht für mich aber den besonderen Reiz dieses Buchs aus. Die zahlreichen Fotografien sind sorgfältig ausgewählt, von bester Qualität und gestochen scharf, und auch wenn sie nur in Schwarzweiß sind, so dokumentieren sie doch nicht nur den Alltag und das Lebensgefühl der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, sondern ebenso den technischen Stand der Brauereien. Selbstbewusst präsentieren sich die gewaltigen kupfernen Sudwerke, die modernen Fass- und Flaschenfüller, der große Fuhrpark.

Insofern ist das Buch mit seinen zahlreichen Abbildungen wesentlich lehrreicher als viele andere Bildbände, die vielleicht den gleichen Zeitraum abdecken mögen, oftmals aber eher wie umfangreiche Kataloge von Werbemittelsammlern wirken, in denen seitenweise alte Bierdeckel, Emaille-Schilder oder Bierwerbung abgebildet sind. So schön diese Werbematerialien auch sein mögen, so ist doch der Informationsgehalt begrenzt, und man erfährt nur wenig über die Brauereien und die Produktion selbst.

Im vorliegenden Buch ist das anders, und dafür gebührt dem Autor Ehrtfried Böhm großes Lob.

Ein kurzweilig geschriebenes, oft humoriges und in der Summe sehr viel Wissen seiner Zeit vermittelndes Buch. Die fünfzig Jahre, die seit seiner Herausgabe vergangen sind, haben die Bierszene in Deutschland massiv verändert, und so ist es ein nostalgisches Erlebnis, durch die zweihundert Seiten von „Unser Bier“ zu blättern.

Ehrtfried Böhm
Unser Bier
Steinbock-Verlag
Hannover, 1968
ohne ISBN

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