Esther Isaak:
Kleine Bierwelt = Große Welt

Fragte man einen Brauer, wie er zum Reinheitsgebot stünde, könnte aus der Antwort die politische Gesinnung abgeleitet werden. Diese Zuspitzung legt sich so nahe, da allein die Wahl des Begriffes Reinheitsgebot den politisch denkenden Menschen an unbefleckte Empfängnis, an historische Reinheit etc. denken lässt. Doch STOPP. Es ist komplexer.

Seit fünf Jahrhunderten brauen deutsche Brauer unter dem Arbeitstitel REINHEITSGEBOT eigentlich immer ganz gute Biere, die die Position Missionarsstellung in der Bierwelt gut beherrschen. Dieser Begriff muss hier erscheinen, weil die Bierwelt eine ausnahmslos männliche ist, in der die paar Frauen sich in keiner Weise anders als die Männer verhalten. Das WEIBLICHE findet seine Positionierung maximal optimiert in überquellenden Dekolletees und knackigen Dirndl, in der bedienenden Funktion, im Diminutiv FRÄULEIN in Bierzelten.

Geht man nun davon aus, dass die Mehrheit der deutschen Brauereien nach dem Reinheitsgebot brauen, so könnte man diese Gruppe auch mit der CDU/CSU vergleichen. Die CSU wäre das Reinheitsgebot auf Bundesebene, denn es ist das Bayerische Reinheitsgebot, dem Folge zu leisten ist. Loyalität, Bewahrung der Tradition, Fürsorge für die Gruppe, Pflicht- und Ehrgefühl, Heimatverbundenheit sind die Instrumente, derer sich der Deutsche Brauerbund, die Autorität, bedienen kann.

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Über 450 Jahre deutsches Reinheitsgebot für Bier

Bis 2005 regierte das Reinheitsgebot die Republik. Keiner konnte, keiner wollte ihm etwas anhaben. Man war eine glückliche Gemeinschaft, klopfte sich kollektivistisch gegenseitig auf die Schenkel und fand sich großartig. Keiner hinterfragte, keiner wollte mehr und vor allem setzte sich niemand mit der Gesetzgebung auseinander. Zu diesem Zeitpunkt war bereits das Reinheitsgebot von der EU zum regionalen Marketingbegriff Deutschlands erklärt worden. Jedoch interessierte es niemanden. Man hatte sein Auskommen im menschlichen wie im wirtschaftlichen Bereich. Dann jedoch kam alles anders, und es kam aus den USA, und es kam frech und aufklärerisch daher. Plötzlich wurde das Geheimnis der schwarzen Kaaba gelüftet, und ganz normale Biertrinker informierten sich über Sinn und Unsinn des Reinheitsgebotes.

Diese jungen Wilden nahm man in den ersten Jahren nicht ernst, sah aber die Chance, ein paar neue Bierstile in Deutschland auszuprobieren und im Rahmen des Reinheitsgebotes Kreativität zu proklamieren, denn der Linke Flügel und die soziale Mitte waren durchaus seit längerem daran interessiert, ein paar Ungereimtheiten aus der Gesetzgebung wie beispielsweise das Gebot, alle Bierzutaten zu kochen, zu eliminieren. Ansonsten mussten diese Neuen, deren oberste Maxime die Freiheit des Brauhandwerks ist, für jedes Gewürzkrümelchen, das sie ins Bier gaben, eine Sondergenehmigung einholen. Solche Prozesse sind aufwändig und kostspielig und sind natürlich auch Mittel, eine aufstrebende Macht zu verhindern.

Da jedoch Foodaktivismus gerne die leeren Spalten der Printmedien füllt und der Testosteronspiegel der jungen Brauer deutlich über dem der Alteingesessenen liegt, lesen, sehen und hören wir jetzt regelmäßig Reportagen über kreatives Brauen, und man möchte meinen, dass selbst Tante Erna bei Vollmond am Braubottich stünde. Immerhin haben diese liberalen Brauer es geschafft, einen Marktanteil von über einem Prozent zu erreichen. Da insgesamt der Bierkonsum rückgängig ist, sind die Mälzereien und Hopfenbauer froh, dass der Ausstoß so mindestens nur stagniert. Die Selbstverliebtheit der Craftbeer-Liberalen hat jedoch außer kreativeren Bierstilen keine Veränderungen gebracht: Die Wirtschaftsmethoden sind dieselben der Traditionalisten, und die Ökologie spielt keine Rolle.

Die Grünen Brauer, deren größte ökologische Konkurrenz die effizienten, modernen Großbrauereien sind, halten sich gerne in Deckung, weil sie auf der einen Seite auch gerne vom Reinheitsgebot, jedoch vom Bioreinheitsgebot sprechen, und weil sie auf der anderen Seite ihre Pfründe im Einzelhandel sichern möchten. Auf der esoterischen Ebene haben sie kein Problem mit den Liberalen. Craftbeer, diesen Namen, kann man auch gut tanzen. Vielleicht haben sie im Laufe der Jahre resigniert.

FAIRNESS ist das große Schwarze Loch unserer Zeit, das auch in der Craftbeerbranche klafft. Die Biere werden kreuz und quer durch die Republik mit Lastkraftwagen gekarrt, die Zutaten sind qualitativ die gleichen der Traditionalisten. Biozutaten werden als unökonomisch abgetan. Verpackt wird in Einwegflaschen, Einwegdosen, in Plastikfolien und nur wenige nehmen am deutschen Mehrwegpfandsystem teil.

Hinter den Kulissen tobt der gnadenlose Wettbewerb und der Spruch „Der Markt wird es schon richten!“ ist in den Craftbeerkreisen häufiger zu hören als bei den Traditionalisten. Man arbeitet genauso wenig zusammen wie überall in der neoliberalen Welt. Es geht um Marktanteile und Wachstum. Niemals geht es um Faires Wirtschaften.

FÜRSORGE und MITGEFÜHL, die klassischen Qualitäten der SPD und der LINKE, sind, wie in der bundesweiten Politik, kaum vorhanden.

Heute, zum TAG DES REINHEITSGEBOTES, wäre es an der Zeit, dass die Traditionalisten und die Liberalen sich gemeinsam auf ein Thema konzentrierten: FAIRNESS. Weder der Markt noch die Profis werden in Zukunft irgendetwas richten, sondern die Menschen, die Mitgefühl und Vernunft bedienen können, sind dafür zuständig, wie unser Mikrokosmos weiterhin funktioniert.

Dem konservativen Lager möchte man zurufen: Habt Mut, auch der Söder Markus ist zum Bienenkönig aufgestiegen und trotzdem bei bester Gesundheit!

Behandele andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst.

Sehr zum Wohl der Bierwelt!

Autor: Esther Isaak
wiederveröffentlicht von Bierguerilla
mit freundlicher Genehmigung der Autorin: „Brunnenbraeu und Bierguerilla haben die Absprache getroffen, dass wir so lange die Texte voneinander übernehmen, bis daraus eine Doktorarbeit entstanden ist.“

Bild: Deutsche Bundespost, scanned by NobbiP, gemeinfrei, Briefmarke

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