Vor den Werbestrategen der Engelbrauerei in Rettenberg im Allgäu ziehe ich meinen Hut. Zumindest vor dem einen, dem der Slogan eingefallen ist „Ein Bier, so himmlisch wie sein Name!“ Er muss ja nicht viel mit der Realität gemein haben, aber er ist einfach schön und eingängig. Finde ich jedenfalls.
Weniger himmlisch war das Wetter, das uns am 2. Mai 2015 im Allgäu begleitete. Die Wolken hatten sich wieder einmal im Talkessel zwischen Grünten und Mittag fest verankert und machten nicht den Eindruck, sich in den nächsten Tagen auch nur einen Meter wegbewegen zu wollen. Der typische Allgäuer Frühlingsregen war also angesagt, der Frühlingsregen, der einerseits die Natur im saftigsten Grün der Wiesen und Gelb des Löwenzahns leuchten lässt, der andererseits die Feriengäste und Touristen griesgrämig in ihren Hotelzimmern und Ferienwohnungen ausharren lässt, hin- und hergerissen zwischen passivem Trübsal Blasen und aktivem Trotz, jetzt erst recht die Regenjacke anziehen und dem Unbill der Natur trotzen zu wollen.
Wir entschieden uns, lieber zur zweiten Fraktion gehören zu wollen, wohl wissend, dass die Regenjacken ja doch nur auf dem Weg zwischen Auto und Brauerei zum Einsatz kommen sollten.
Die wunderschönen Wirtsstuben des Engelbräu empfingen uns mit behaglicher Wärme und dem leicht muffigen Geruch, der sich sofort breit macht, wenn die durchfeuchteten Regenjacken der Gäste warm werden und beginnen, auszudampfen.
Viel los war nicht, und so konnten wir uns ganz auf das Bier konzentrieren, während nur ab und an eine gewaltige Haxe auf einem riesigen Teller an uns vorbei getragen wurde.
Seit 1668 wird hier in Rettenberg (Röttenberg hieß es damals wohl noch) Bier gebraut, und wenn auch die Geschichte der Brauerei beinahe bereits nach 59 Jahren schon wieder zu Ende zu sein schien, als ein Großbrand Wirtshaus und Brauerei völlig zerstörte, so wurde doch immer wieder unverdrossen neu aufgebaut, den Widrigkeiten der Kriege getrotzt und bis heute durchgehend Bier gebraut, seit 1977 im komplett renovierten und erneuerten Sudhaus.
Elf verschiedene Sorten entstehen mittlerweile hier beim Engelbräu rund um das Jahr, zum Teil natürlich als Saisonbier, aber immerhin fünf davon standen uns heute als Fassbiere zur Verkostung zur Verfügung.
Das Urtyp Hell zum Auftakt wies eine ganz leicht metallische Note auf, die zwar nicht weiter störte, aber dennoch auffiel. Abgesehen davon trank es sich aber sehr süffig, wenn wir uns auch einig waren, dass eine etwas geringere Spundung dem Bier und seiner Trinkbarkeit durchaus gut getan hätte.
Das Urtyp Dunkel wies einen feinen Karamellgeschmack auf und war eigentlich schön vollmundig, aber auch hier war der Kohlensäuregehalt zu hoch – so hoch sogar, dass im ersten Moment die Kohlensäureschärfe das Bier völlig dominierte.
Das Jubiläumsbier war dann aber richtig lecker. Als etwas kräftigeres Märzen, ein bisschen dunkler als der helle Urtyp, war es ein rundes, vollmundiges und schön sättigendes Bier. Fein!
Den Abschluss bildete das Grünten Pils, ein sehr schlankes, nur dezent gehopftes Bier. Sehr hell, sehr elegant und trocken, aber ein wenig mehr Hopfen, insbesondere Hopfenaroma, hätte es schon vertragen, um seinem Namen als Pils gerecht zu werden. Trotzdem ein gut trinkbares, erfrischendes Bier, hervorragend als Aperitif oder statt eines Cocktails geeignet.
Wir wandten uns zum Ausgang und betrachteten noch die großen, glänzenden Kupferkessel im Sudhaus nebenan, genossen, dass es für einen winzigen Moment zu regnen aufgehört hatte, und stellten fest, dass wir das Hefeweizen gar nicht verkostet hatten. Vier von fünf Fassbieren – eine Ausbeute von nur 80%. Ist mir auch schon länger nicht mehr passiert.
Das Engelbräu liegt direkt an der Durchgangsstraße im Ort Rettenberg. Ein großer Parkplatz neben dem Sudhaus gibt die Möglichkeit, sowohl zur Einkehr in der Brauereiwirtschaft als auch zum Großeinkauf an der Rampe mit dem Auto zu kommen. Der nur ab und zu mal vorbeifahrende Linienbus ist grundsätzlich auch eine Alternative, wohingegen man als Radler allerdings schon sowohl wetterfest als auch berggängig sein muss, um sich hier im Allgäu frei zwischen den Brauereien zu bewegen.
Nachtrag 20. April 2019: Seit wenigen Tagen erst, gewissermaßen seit vorgestern, steht der Brauereigasthof Engelbräu in Rettenberg unter neuer Leitung und hat nach einer kurzen Betriebspause wieder neu eröffnet.
Auf den ersten Blick hat sich nicht viel geändert. Die Einrichtung ist im Wesentlichen gleich geblieben, naja, und die Biere natürlich auch, denn die Brauerei existiert nach wie vor unter gleicher Leitung, mit gleichem Produktportfolio.
Was aber sofort auffällt, ist das neue, ziemlich junge Personal und eine Speisekarte, in der sich die Gerichte unter humorigen, eingängigen Bezeichnungen in neue Gefilde vorwagen. Die klassische, deftige, manchmal schon derbe regionale Kost wird so pfiffiger, abwechslungsreicher und spannender.
Wir probieren uns ein bisschen durch die Karte und stellen rasch fest, dass die Qualität durchaus stimmt, es schmeckt sogar vorzüglich, dass aber die Gerichte preislich noch nicht richtig ausbalanciert sind. Während beispielsweise zwei dicke Scheiben gebackener Ziegenkäse mit Salat und einem richtig originellen und schmackhaften Arrangement überraschend preiswert sind, ist der etwas einfallslosere und nicht wirklich exotische, allerdings durchaus schmackhafte Salat im Verhältnis eher zu teuer. Das passt noch nicht wirklich zusammen, aber auf unsere ehrliche und freundlich vorgebrachte Kritik hin setzt man sich zu uns an den Tisch, fragt nach den Gründen der leichten Unzufriedenheit und zeigt sich offen für Verbesserungen. Und das ist sicherlich ein gutes Zeichen, denn aller Anfang ist schwer.
Die Biere sind unverändert solide, gut gepflegt und sorgfältig gezapft. Das Grünten Pils ist schlank, herb, hat einen ganz feinen metallischen Touch und eignet sich mit seinen 4,9% hervorragend als Aperitif. Das Ur-Typ Hell entspricht eher dem regionalen Biergeschmack als das Standardbier. Süßlicher, weniger herb, süffiger und mit 4,9% ebenfalls gut durchtrinkbar. Das Ur-Typ Dunkel als drittes und heute letztes der verkosteten Biere kommt stärker, nahrhafter, runder und voller daher. Malzig und süß bietet es 5,5% auf und passt gut zum kräftigen Dessert, nämlich einer großen Pfanne Kaiserschmarrn.
Qualitativ passt also alles durchaus; das Preisgefüge muss sich noch ein wenig schütteln; die freundliche Atmosphäre, die das junge, sich sehr vertraut gebende Personal erzeugt, ist angenehm – wobei offen bleibt, ob die etwas ältere Generation damit umgehen mag, wenn sich das Personal mit Vornamen vorstellt und sofort zum Du übergeht. Mir gefällt’s, aber ich kenne im beruflichen Umfeld viele Möchtegern-Distinguierte, die dies vermutlich nicht schätzen. Aber was soll’s, die werden eh nicht in einen Brauereigasthof gehen, sondern in einer feinen „gutbürgerlichen“ Stube für deutlich mehr Geld auch nicht besser essen…
Der Brauereigasthof „Engel“ ist mittwochs bis freitags ab 10:30 Uhr, sonnabends und sonntags ab 10:00 Uhr durchgehend geöffnet; montags und dienstags ist Ruhetag. Zu erreichen ist er am besten mit dem Auto; der Linienbus ist nur bedingt eine Alternative – er könnte durchaus öfter fahren.
Engelbräu Rettenberg Hermann Widenmayer KG
Burgberger Straße 7
87 549 Rettenberg
Bayern
Deutschland
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