Erst vor wenigen Wochen hat im 5. Bezirk Wiens, in Margarethen, eine neue Gasthausbrauerei aufgemacht – das Laurenz 4. Ich steige aus der Straßenbahn aus und gehe die wenigen Schritte über die Kreuzung bis zur angegebenen Adresse, und da sehe ich auch schon das in gold und hellblau gehaltene Wirtshausschild. Laurenz 4 und die Jahreszahl 1850.
1850? Das wären 169 Jahre. Ganz schön dreist, denn es sind heute, am 24. April 2019, noch nicht einmal 169 Tage, sondern gerade einmal 55, dass diese Brauerei den Betrieb aufgenommen hat. Doch die Jahreszahl hat einen anderen Hintergrund: Der winzige Stadtteil Laurenzergrund war einst ein kleines Dörfchen vor den Toren der Stadt Wien und ist im Jahr 1850 eingemeindet worden, und mit Stolz auf das Stückchen Grund, auf dem die Brauerei sich nun befindet, wird diese Jahreszahl auf dem Wirtshausschild geführt.
Ich betrete den Schankraum, sehe mich für einen kurzen Moment um, und schon werde ich von zwei jungen Damen aus zwei verschiedenen Richtungen angesprochen. Ob ich denn reserviert habe oder nicht? Für wieviel Personen ich Platz bräuchte? Ob ich nur trinken oder auch essen wolle? Man merkt den Damen – wie später auch ihren männlichen Kollegen – an, dass sie noch bis in die Haarspitzen motiviert sind. Eine neue Restauration, ein neues Geschäft – alle ziehen begeistert mit und wollen es zu einem Erfolg machen. Sehr schön, und es bleibt zu hoffen, dass dieser Schwung noch möglichst lang erhalten bleibt und nicht rasch einem Alltagsschlendrian und entspannter Gleichgültigkeit Platz macht, wie es in vielen etablierten Bars und Restaurants oftmals so ist.
Ich finde ein gemütliches Plätzchen und beginne, in der Bierkarte zu blättern. Sechs verschiedene Biere sind im Angebot – immerhin! Das ist mehr als der normale Gasthausbrauerei-Dreiklang von Hell, Dunkel und Weizen, und die Bierkarte präsentiert diese sechs Sorten stolz auf einer Doppelseite, ohne allerdings näher auf jedes Bier einzugehen. Die junge Dame neben mir merkt, wie ich etwas zögere und empfiehlt mir ein Probierbrettchen: „Da können Sie sich vier der sechs Sorten auswählen, und ich bringe Ihnen von jeder Sorte ein kleines Glas!“
Sehr schön. Die Idee ist ja nicht originell, aber es geschieht noch immer viel zu selten, dass der Gast, also ich, bewusst auf diese Möglichkeit aufmerksam gemacht wird. Wie oft habe ich es schon erlebt, dass es hinterher geradezu provozierend heißt: „Na, Sie hätten doch den Tester nehmen können. Steht doch auf Seite 27 in der Speisekarte in der kleingedruckten Fußnote, dass es so etwas gibt…“
Es dauert nur wenige Momente, dann steht das Bierbrettchen vor mir, und ich beginne gut gelaunt mit der Verkostung. Das kräftige Wiener Lager „Die fesche Margarethe“ gefällt mit seinem intensiven Charakter und kräftigem, malzigem Geschmack, der dennoch nicht aufdringlich wird. Auch das helle Hausbier „Gaudenz Dörfer“ weist keine Fehlaromen auf, kommt relativ schlank und sauber vergoren daher und macht Lust auf einen großen, weiteren Schluck. Das Pils „Florians Durst“ ordnet sich ein in die Reihe feiner, gut durchtrinkbarer und sorgfältig ausbalancierter Biere. Lediglich das Dunkle „Mosers Einhorn“ missfällt mir. Süßlich, gleichzeitig etwas röstig, mit deutlichen Aromen, die ich sonst vom Färbebier her kenne, wirkt es völlig unausgewogen und wenig stimmig. Duft und Geschmack passen überhaupt nicht zueinander, und auf der Zunge und am Gaumen bleibt ein etwas dumpfer Nachgeschmack haften.
Mittlerweile hat mir ein junger Mann etwas zum Essen gebracht. Als „Laurenz Hühnerstall“ in der Speisekarte ausgeworfen, bekomme ich ein Schüsselchen mit kleinen Hühnerschultern, also dem Flügelansatz. Wie winzige Haxen (oder hier in Wien wohl eher Stelzn) sehen sie aus, sind knusprig und auf den Punkt gebacken und munden vorzüglich. Sehr schön.
Mit dieser Grundlage kann ich mich dann auch an die Verkostung der beiden noch ausstehenden Biere machen. Das Roggenbier „Der rote Bruno“ enttäuscht leider. Von Roggen keine Spur. Weder im Duft noch im Geschmack, und auch die eher vollmundige Konsistenz, die ein Roggenbier vom Weizen unterscheiden sollte, fehlt völlig. Was vor mir steht, erweckt eher den Eindruck, als sei es ein Leichtes Weizen mit reduziertem Alkoholgehalt. Als sommerliches Erfrischungsgetränk mag es seine Berechtigung haben, aber den Erwartungen an ein Roggenbier wird es überhaupt nicht gerecht.
Das IPA „Santa Maria“ reißt es dann wieder raus. Schön hopfig, harzig und würzig, also eher in Richtung der klassischen, britischen Interpretation dieses Bierstils, vermag es zu überzeugen und bleibt trotz deutlicher, starker Hopfung erstaunlich durchtrinkbar. Wäre es mittlerweile nicht schon recht spät geworden, könnte ich an diesem Bier gut hängen bleiben und noch ein paar Gläser trinken.
Ich sehe mich im Schankraum noch ein wenig um. Zentral steht das kupferne Sudwerk, eine Konstruktion, die ich schon oft gesehen habe, und an der lediglich die Größe bemerkenswert ist. Immerhin 10 hl entstehen hier pro Sud – für eine Gasthausbrauerei ganz schön viel. Korrespondierend dazu sehe ich hinter einer großen Panoramascheibe eine lange Reihe von Lagertanks, rund ein Dutzend. Eine gewaltige Kapazität, die sich aber dadurch erklärt, dass der Besitzer des Laurenz 4 mit dem hier gebrauten Bier auch seine anderen Wiener Lokale beliefern möchte.
Alle Teile der Brauerei sind hinter Glasscheiben präsentiert; wer möchte, kann den gesamten Produktionsprozess transparent verfolgen. Sehr schön. Und auch das Malzlager ist in die Restauration mit einbezogen – vor den großen Regalen mit den Malzsäcken sind Sitzgelegenheiten, so dass die Gäste auch dort ihr Bier genießen können.
Ein paar Kleinigkeiten holpern noch. So sind die jungen Damen und Herren im Service zwar hochmotiviert und unwahrscheinlich freundlich, aber manchmal klappt es mit der Koordination untereinander noch nicht so recht. Dann kümmert man sich zu zweit um den einen Tisch, und am Nachbartisch wird verzweifelt nach der Bedienung gewunken. Und auch der junge Mann hinter der Theke an den Zapfhähnen ist noch dabei, eine effiziente Routine zu entwickeln. Aber was soll’s – lieber so rum als anders herum, als dass die Effizienz enorm wäre, aber die Herzlichkeit und Freundlichkeit darunter leiden würden.
Ein durchaus vielversprechender Anfang also für eine noch ganz junge Brauerei mitten in Margarethen.
Die Gasthausbrauerei Laurenz 4 ist dienstags bis sonnabends von 17:00 Uhr bis Mitternacht durchgehend geöffnet; sonntags und montags ist geschlossen. Zu erreichen ist die Brauerei bequem mit der Straßenbahn Linie 1 oder 62, Haltestelle Laurenzgasse. Wenn man den richtigen Ausgang erwischt, braucht man nur einmal die Straße zu überqueren und steht direkt vor der Tür.
Laurenz 4
Wiedner Hauptstraße 111
1050 Wien
Österreich
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