Bahnhofsbräu Ober-Grafendorf
Ober-Grafendorf
AUT

Eisenbahn-Nostalgiker kennen die rund achtzig Kilometer lange Mariazellerbahn bestimmt. Auf Schmalspur (760 mm) fahren die Bähnchen von der Landeshauptstadt Sankt Pölten bis zum Wallfahrtsort Mariazell in der Steiermark, und während der erste Abschnitt der Strecke, der auch im Stundentakt befahren wird, in erster Linie von Pendlern genutzt wird, ist der zweite Abschnitt der Strecke, die sogenannte Bergstrecke ab Laubenbachmühle, schon mehr touristisch angelegt. Der Zug windet sich durch eine wunderschöne Berglandschaft, durch Schluchten, Tunnels und über Brücken, und für die wahren Liebhaber gibt es den Nostalgiezug Ötscherbär und Garnituren mit Panoramawagen. Schön, dass die Strecke nicht – wie einmal angedacht – stillgelegt worden ist, sondern seit 2010 mit neuem Betreiber, der Niederösterreichischen Verkehrsorganisationsgesellschaft NOVÖG nun auf Dauer erhalten geblieben ist.

Aber auch wenn die Eisenbahnfanatiker die Bergstrecke lieber haben, so hat auch die Talstrecke ihren besonderen Reiz, und zwar insbesondere für den Bierliebhaber – denn das alte Bahnhofsgebäude in Ober-Grafendorf, rund zwölf Kilometer von Sankt Pölten, beherbergt seit 2014 eine kleine Gasthausbrauerei, das Bahnhofsbräu Ober-Grafendorf.

Bahnhofsbräu Ober-Grafendorf, Mariazellerbahn
der Bahnhof Ober-Grafendorf

Die NOVÖG brauchte das Bahnhofsgebäude nicht mehr – Schranken, Signale und Weichen werden heutzutage ferngesteuert, den Fahrkartenverkauf übernehmen Automaten oder das Internet, und Wartesäle werden doch nur Opfer von Vandalismus. Eine neue Bestimmung musste her – und so wurde das Gebäude von Wolfgang Stix übernommen, dem Geschäftsführer der Ober-Grafendorfer Firma Styx, die Naturkosmetik und Schokolade herstellt. Und nun, nachdem der alte Bahnhof grundrenoviert und umgebaut worden ist, eben auch Bier.

Bahnhofsbräu Ober-Grafendorf, Mariazellerbahn
Reklame direkt am Bahnsteig

Der Eingang zum Schankraum ist direkt am Bahnsteig – ich passiere die Reisenden, die auf ihren Zug warten, gehe durch den Eingang und stehe direkt neben der Theke. Der Schankraum ist hell und licht, an den Wänden großformatige Fotos aus dem früheren Eisenbahneralltag in diesen Räumen. Schaltkästen, Eisenbahnschienen, Isolatoren und weitere Elemente früher Zugleittechnik sind als Dekoration übernommen worden, und links neben der Theke findet sich noch die Batterie der großen Weichenhebel. Einladend, wenn auch zu dieser frühen Nachmittagsstunde noch ein wenig verwaist.

Zwei Biere gebe es im Angebot, klärt mich die junge, freundliche Bedienung auf, ein recht dunkles Zwickel und einen Oster-Bock als saisonale Spezialität. Ich muss mal wieder noch fahren und beschränke mich daher auf ein kleines Zwickel, und dazu eine sogenannte Dirndlplatte, einen Teller mit verschiedenen Käsesorten und G’selchtem – eine leckere kalte Brotzeit.

Das Zwickel schaut zwar appetitlich aus, kann mich aber mit einem etwas merkwürdigen Nachgeschmack nicht wirklich überzeugen. Zum kräftig geräucherten Fleisch und zum würzigen Käse passt es, aber als Bier pur hätte es mich gestört.

Bahnhofsbräu Ober-Grafendorf, Mariazellerbahn
der gemütliche Schankraum mit Bildern aus dem Eisenbahner-Alltag

Nachdem Hunger und Durst gestillt sind, gehe ich ans hintere Ende des Schankraums und schaue mir die Brauerei ein wenig näher an, die hinter einer Glaswand zu sehen ist. Mavim steht auf dem Firmenschild, ein Name, den ich im Zusammenhang mit Brauereien noch nie gehört habe. Ich runzle die Stirn, und neben mir ertönt eine Stimme: „Das ist eine Firma aus Sankt Pölten, die aber ihre Sudwerke eher im russischen Raum verkauft. Hier in Österreich sind sie völlig unbekannt, und das hier ist quasi eine Demonstrationsanlage.“

Die Stimme gehört Michael Drobil, der die Bahnhofsbrauerei zusammen mit Wolfgang Stix betreibt und für das Brauen zuständig ist. Knapp hundert Liter betrüge die Ausschlagmenge, erklärt er mir, und auch wenn einige Details an der Anlage noch nicht hundertprozentig durchdacht seien und die Handhabung etwas umständlich machten, sei sie doch ein robustes und zuverlässiges Arbeitspferd. Am Plattenkühler würde man sich ständig die Knie stoßen, und beim Brauen müsse man gelegentlich von Hand schöpfen, was bei einer etwas anderen Konstruktion eigentlich von selbst gehen könnte, aber sonst sei es prima, das Brauen mache Spaß.

Er öffnet die Tür zum Kühlraum. Es gebe leider nur zwei Lagertanks, insofern auch immer nur ein besonderes Bier neben dem Zwickel. Derzeit eben den Oster-Bock. Ob ich mal einen Schluck probieren wolle? Na klar, gegen einen Probierschluck habe ich nichts einzuwenden, und so bekomme ich im großen Rotweinglas eine kleine Degustation. Eine schöne dunkelgelbe Farbe, ganz klar, ein feiner, fruchtig-estriger Geruch und ein malzig-fruchtiger, voller Geschmack. Sehr schön. Im Abgang ein bisschen wärmend im Gaumen, aber abgesehen von dieser Wärme sind die 7,5% Alkohol gut eingebettet, wirken keinesfalls spritig. Sehr lecker – ich bin begeistert. Der durchwachsene Eindruck, den das Zwickel gemacht hatte, ist längst vergessen.

„Vier Monate lang hat der Bock im Tank gelagert“, erzählt Michael Drobil. „Das ist natürlich ein erheblicher Aufwand, besonders, wenn man nur zwei Tanks hat.“ – Aber der hervorragende Geschmack rechtfertige den Aufwand doch, werfe ich ein. Drobil nickt und fügt hinzu, dass die Größe der Anlage sowieso ein rechter Engpass sei. Darum würde auch das Lager, das es in Flaschen zum Mitnehmen gebe, nach eigener Rezeptur in einer etwas größeren Brauerei hergestellt und auch dort abgefüllt. Andernfalls könne man den Durst der Gäste im Bahnhofsbräu nicht decken.

Bahnhofsbräu Ober-Grafendorf, Mariazellerbahn, Grainfather, Mavim
zwei Sudwerke in einer Brauerei – Grainfather und Mavim

Vor dem eigentlichen Sudwerk steht auf einem großen Holztisch noch eine Kleinbrauerei für Hobbybrauer, ein Grainfather. Ein vollautomatisches Sudwerk, über eine Handy-App steuerbar, auf dem etwa 25 bis 30 Liter gebraut werden können. „Den Grainfather benutzen wir für unsere Brauseminare und für Experimente. Bei den Seminaren können die Seminarteilnehmer jeden Schritt nachvollziehen, die Technik verstehen, die Vorgänge in der Maische, beim Läutern und beim Hopfenkochen genau beobachten.“ Drobil erläutert mir den Grainfather in allen Details – fast schon wie bei einer Verkaufsveranstaltung, und ich merke, hier ist jemand am Werk, der dieses Gerät liebgewonnen hat. Auch Rosenbiere oder Biere mit Lavendel entstehen hier auf der Kleinbrauerei, erzählt er weiter, aber ich merke am Tonfall, dass Drobil dieser Art von Experimentalbieren nicht wirklich etwas abgewinnen kann, sondern eher klassischen Stilen zugeneigt ist. „Aber wenn’s verlangt wird…“, zuckt er die Achseln. „Und wenn ein Experiment misslingt, ist es immer noch besser, 25 Liter aus dem Grainfather in den Kanal zu schütten als 100 Liter aus der großen Mavim-Anlage“, stellt er abschließend fest.

Die spontane Brauereiführung hat ein Ende, ich muss leider weiter. Schade, dass es den Oster-Bock nicht in der Flasche gibt – von diesem ausgezeichneten Bier hätte ich gerne etwas mitgenommen und daheim in Ruhe mit meiner holden Ehefrau genossen. Aber auch so war es ein schöner Brauereibesuch, und ich danke für die Erläuterungen und die kleine Kostprobe. Vielleicht gelingt es mir ja auch einmal, eine Ausflugsfahrt mit der Mariazellerbahn mit einem erneuten Besuch im Bahnhofsbräu Ober-Grafendorf zu verbinden. Der Stundentakt der Bahn sollte zwischen zwei Zügen doch eine Einkehr problemlos und ohne Eile möglich machen!

Das Bahnhofsbräu Ober-Grafendorf ist von April bis Oktober täglich ab 12:00 Uhr durchgehend geöffnet; kein Ruhetag. Im November und Dezember sowie im März ist es nur freitags und sonnabends ab 16:00 Uhr geöffnet, und im Januar und Februar sind Betriebsferien. Die kleine Küche bietet kalte Brotzeitplatten oder warme Brote mit Käse überbacken oder mit Rühr- und Spiegeleiern. Zu erreichen ist die kleine Brauerei natürlich am besten mit der Bahn, näher kann man an den Eingang nicht kommen. Autofahrer haben die Möglichkeit, kostenfrei direkt vor der Wirtschaft zu parken, müssen aber trotzdem auf den Bahnsteig, um zum Eingang zu gelangen.

Bilder

Bahnhofsbräu Ober-Grafendorf
Bahnhofsplatz 1
3200 Ober-Grafendorf
Österreich

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