Manchmal wird man vom Strom der Ereignisse gepackt, mitgerissen, in einem wilden Ritt durch die Stromschnellen getragen, am Ende wieder ausgespuckt, und man denkt sich: „Wow!“ Und so kann es sogar bei der Besichtigung einer kleinen Brauerei wie der Tölzer Mühlfeldbräu GmbH gehen.
Ein kurzer Besuch soll es sein. Ich bin auf der Durchreise, habe nicht allzu viel Zeit, aber für einen Zwischenstopp sollte es reichen. Einmal die Nase in die Brauerei stecken, vielleicht ein kleines Bier trinken, einen kleinen Klönschnack halten, und dann weiter. Und so habe ich im Vorfeld die Brauerin der Tölzer Mühlfeldbräu GmbH, Kirsten Rhein, kontaktiert. „Klar, komm vorbei, ich zeig‘ Dir alles“, hieß es. Und so stehe ich nun im gemütlichen Schankraum des Brauereirestaurants und frage nach ihr.
Kirsten Rhein ist Amerikanerin, lebt aber schon seit langem in Deutschland und macht derzeit gerade ihre Ausbildung zur Braumeisterin am Doemens Institut. Wir kennen uns bisher nur aus dem Internet, aber so viel ist klar: Sie lebt Bier. 24 Stunden am Tag. Und heute wird sie mir die Brauerei kurz zeigen.
Ich folge der freundlichen Kellnerin, die mich in den Innenhof der Brauerei führt. „Da hinten, um die Ecke, da sitzt sie“, heißt es. Ich gehe um die Ecke und sehe einen bunt gemischten Trupp Amerikaner. Es geht hoch her in der warmen Frühlingssonne. Das eine oder andere Bier wurde offensichtlich schon getrunken, der Lärmpegel ist beachtlich. Und mittendrin eine junge Frau, schmal und zierlich, aber – das wird auf den ersten Blick deutlich – Herrin des Geschehens. Kirsten.
„Hej, komm her und setz Dich hin“, heißt es. „Das ist das Team von den Munich Cowboys, denen habe ich gerade schon die Brauerei gezeigt, und das hier ist ein Glas Weißbier für Dich! Trink es in Ruhe aus, und dann zeige ich auch Dir die Brauerei!“ Im Nu bin ich mitten drin. Das übliche woher und wohin, lustige Sprüche, ein paar vorsichtige Schlucke vom Weißbier. Zum Glück ein kleines Glas, denn ich muss ja gleich noch weiterfahren. Mit Mandarina Bavaria ist es gehopft, das verleiht dem Bier eine ganz besondere Note. Lecker! Kirsten platzt vor Stolz, als sie das Lob hört.
Michi und Flo, die angehenden Jung-Brauer gesellen sich für einen Moment zu uns. Wir verkosten noch ein Saisonbier, den Weizenbock mit dem ulkigen Namen Osterlammbä. Einen winzigen Schluck nur, herrlich fruchtaromatisch, gefährlich süffig. „Und jetzt geht es in die Brauerei.“ Keine Widerrede duldend, schiebt Kirsten mich in Richtung Eingang. „Wir fangen im Lagerkeller an, zwickeln erstmal, was wir da so haben, und dann schauen wir uns den Rest an. Brauereibesichtigung rückwärts, okay?“
Es geht eine winzige und schmale Treppe tief hinunter in die alten Gewölbekeller. Liegende Edelstahl-Lagertanks, in denen das Bier, zusätzlich noch von einem Inliner geschützt, in Ruhe vor sich hin reift. Naja, was heißt Ruhe? Im Lagertank vielleicht, davor eher nicht. Kirsten redet ohne Punkt und Komma, weiß zu allem was zu erzählen, hat lustige Sprüche auf Lager, lacht ohne Ende. Sie ist in ihrem Element. Flo, der angehende Brauer, schraubt den Zwickelhahn ans Fass, wir probieren zunächst das Helle. Ein bisschen schweflig riecht es noch, die Hefe arbeitet noch fleißig, und es wird wohl mindestens ein bis zwei Wochen dauern, bis der Schwefelgeruch wieder abgebaut ist. Ganz normal während der Reifung. Geschmack und Körper des Biers sind aber schon vielversprechend, hervorragend.
Nach einem winzigen Probierschluck muss ich das Glas schweren Herzens im Ausguss entsorgen. Schade drum, aber ich muss noch fahren… Während ich dem Bier traurig hinterher schaue, bauen Kirsten und Flo den Zwickelhahn schon um, schrauben ihn an den nächsten Tank. Keine Atempause. Es folgt das Dunkle. Ebenfalls noch mit leicht schwefligem Aroma, aber mit schönem Malzkörper. Wieder nur ein winziger Schluck. „Trink aus, ich habe noch etwas ganz Besonderes!“, kommandiert Kirsten, aber stattdessen geht der Rest des Glases leider wieder in die Bodenrinne. Traurig, aber es geht nicht anders.
„Das nächste Bier ist ein Collab-Brew mit Martin Seidl. Der hat einen eigenen Hof, zieht seine eigene Braugerste. Und die hat er dann auch selber geröstet. Wie geil ist das denn?“, sprudelt Kirsten. „Den Martin musst Du unbedingt auch einmal kennenlernen. So ein netter Typ.“ Ich kenne Martin zwar, aber nur aus dem Internet. Noch nicht persönlich. Und jetzt kenne ich auch eines seiner Biere. Zum Glück hat Flo jetzt tatsächlich nur einen winzigen Probierschluck gezwickelt, ich brauche nicht erneut den Rest in der Rinne zu entsorgen. Glück gehabt, Martin, Dein Bier geht seinen vorbestimmten Weg durch die Gurgel. Das Röstmalz ist deutlich zu spüren, ohne dass es zu sehr dominiert. Keine Schwefelnoten, also entweder schon deutlich länger in der Lagerung, oder mit einer anderen Hefe gebraut. Und im Hintergrund noch eine ganz spezielle Note, die das Ganze abrundet und interessant macht, aber ich komme nicht drauf, was es ist. „Irgendwas ist da noch drin. Kirsten, was ist das?“, doch Kirsten ist schon weitergestürmt, hat die Tür zum Nachbarkeller geöffnet.
Wir laufen an alten Whiskyfässern vorbei, in denen Bier gelagert werden soll, schauen kurz in den Kühlraum mit dem Hopfen – „Schau mal hier, ich habe sogar etwas Vic Secret!“, zeigt uns Kirsten ihre Raritäten – und weiter geht’s. An den Plastikbehältern mit den Reinigungschemikalien vorbei, dann der Kühlraum mit Fässern und Flaschen, anschließend die offenen Gärbottiche. In einem schwimmt noch ein Rest Hefe, das Jungbier ist gerade vor einigen Minuten erst abgezogen worden. Und weiter geht’s, in atemraubendem Tempo. „Dahinten steht ein Mini-Sudwerk, da können wir auch mal jenseits des Reinheitsgebots rumexperimentieren!“
Und endlich, viele Treppen und Wege später, stehen wir im eigentlichen Sudhaus. Nur noch durch eine Glaswand vom Schankraum getrennt. „Fünf Hektoliter, meine Jungs müssen also immer einen Doppelsud fahren, um einen Gär- und Lagertank voll zu bekommen“, erzählt Kirsten, und Flo ergänzt: „Dann dauert so ein Arbeitstag locker zwölf Stunden – wir machen dann gegen Mittag Schichtwechsel, und der zweite Sud wird vom anderen Team gefahren.“ Beide loben noch die Konstruktion der Anlage, die eine einfache Steuerung aller wichtigen Prozesse von Hand erlaubt, aber mit Elektronik dort unterstützt, wo es langweilig wäre, ständig nur selbst zu messen.
„Und hiermit lockern wir beim Abläutern den Treberkuchen auf“, tönt Kirsten, taucht hinter der Brauerei ab und kommt wieder mit … einer Mistgabel. Sie grinst von einem Ohr bis zum anderen und posiert mit dem Gerät vor den Braukesseln.
„So, zurück jetzt in den Hof, die Munich Cowboys warten auf uns und auf das nächste Bier!“ Keinen Widerspruch duldend, jagt Kirsten uns weiter, und schließlich landen wir wieder im Hof, wo der atemraubende Ritt durch die Brauerei vor einer Stunde begonnen hat.
„Und jetzt, one of the rarest beers in the world”, posaunt Kirsten, und Flo stellt ein kleines Fünf-Liter-Fässchen auf den Tisch. „Im Whiskyfass gereift, fast zwei Jahre lang, und dieses kleine Fässchen ist alles, was noch geblieben ist!“ Das Anzapfen gestaltet sich problematisch, das Bier hat einen gewaltigen Druck aufgebaut und widersetzt sich dem Zapfhahn. Vorsichtig lässt Flo den Druck ab, viel Schaum und Bier geht durch das Ventil verloren, schade. Endlich aber sitzt der Zapfhahn fest, und die Verkostung kann beginnen. Die Cowboys sind mit der Bahn da, sie können sich ganze Gläser dieses wunderbaren Biers gönnen, während ich mich auf ein leicht angefeuchtetes Glas beschränken muss.
Ach, es ist ein Jammer. Dieses Bier ist so grandios. Ein echtes Fünf-Sterne-Bier. Ein voller, süßer Malzkörper, der geschmeidig dem Gaumen schmeichelt, und dazu die Whisky- und Holznoten vom Fass. Eigentlich kein Bier, um es in der warmen Sonne zu trinken, eher etwas für einen langen Winterabend vor dem Kaminfeuer. Aber egal, das tut der Genialität dieses Biers keinen Abbruch.
Auch wenn es nur zwei oder drei Teelöffel sind, aber die Verkostung dieses Biers bringt die Ruhe zurück. Die Ruhe, die nach dem Parforceritt durch die Brauerei jetzt dringend nötig ist. Für einen Moment ist es still hier im Hof. Alle schnuppern bedächtig, betrachten das Bier, halten die Gläser in die Sonne, genießen winzige Schlucke. Genuss pur. Höhepunkt eines wunderbaren Brauereibesuchs.
Gnadenlos summt das Telefon in der Brusttasche, holt mich in die Realität zurück. Drei Stunden sind um, ich muss weiter. Statt mit diesem großen Bier hier den Tag ausklingen zu lassen und mich dann in Bad Tölz in irgendein Hotelbett zu legen, geht der Alltag für mich weiter. Die Achterbahnfahrt durch die Brauerei und der Spaß mit den Munich Cowboys geht zu Ende, das Auto wartet. Toll war’s. Trotz, oder gerade wegen des Volldampfs, unter dem Kirsten uns alles gezeigt hat?
Ein paar Flaschen noch zum Mitnehmen, und dann hat die Straße mich wieder…
Die Tölzer Mühlfeldbräu GmbH ist 2008 erst gegründet worden, Eigner Achim Bürklin hat damit wieder an die alte Brautradition in der Region angeknüpft. Head-Brewer Kirsten Rhein sorgt für moderne Impulse und das Marketing. Führungen werden auf Anfrage angeboten. Im benachbarten Brauereirestaurant Gasthaus Tölz kann man die Biere in angenehmer Atmosphäre verkosten – geöffnet ist täglich von 09:00 bis 01:00 Uhr; dienstags ist Ruhetag. Man kann in der Nähe der Brauerei gebührenpflichtig parken (bis zu drei Stunden lang), aber besser ist es, wenn man mit dem Zug kommt. Der Bahnhof der Bayerischen Oberlandbahn ist gerade 300 m zu Fuß entfernt.
Tölzer Mühlfeldbräu GmbH
Bahnhofstraße 4
83 646 Bad Tölz
Bayern
Deutschland
Herllich bin so gerne dort auch wenn ich 2 Stunden fahren muss !!
Hallo, Martin,
ich glaube, diese Brauerei lohnt fast jede Anreise! Toll dort!
Mit bestem Gruß,
Volker
Danke Volker! Wir haben uns so auf deinen Besuch gefreut! Lustig war es! Hoffentlich kommst du mal wieder! Cheers, Kirsten
Gerne! Wann immer ich wieder in der Region bin, Kirsten!
Gruß & Cheers,
Volker
Danke Martin!