„Zwei Dinge braucht Washington D.C. – mehr preiswerte Restaurants in der Nachbarschaft, und mindestens eine Gasthausbrauerei, die von Einheimischen betrieben wird.“ So heißt es sinngemäß auf der Website, und so sind unter dem Namen Right Proper Brewing Company, also „die genau richtige Brauerei“, mittlerweile zwei Brauereien im District of Columbia entstanden: Eine etwas größere, schon recht weit vom Zentrum entfernt (wenn auch immer noch bequem mit der Metro erreichbar), und eine etwas kleinere, im Stadtteil Shaw, Shaw Brewpub & Kitchen genannt.
Vor letzterer stehen wir jetzt. Ein langer Tag in Downtown Washington D.C. liegt hinter uns. Wir haben gefühlt wirklich alle Denkmäler rund um die National Mall und das Tidal Basin abgeklappert, uns einen kräftigen Sonnenbrand geholt und uns einen ordentlichen Durst erschwitzt. Da kommt eine kleine Brauerei gerade recht!
Wir öffnen die Tür und haben das Gefühl, eine Zeitreise fast fünfzig Jahre in die Vergangenheit zu machen – zurück in eine knallbunte Studentencommunity der frühen Siebziger. Bunte und impressionistische, psychedelische Bilder sind auf die rohen Ziegelwände gemalt, und ein großes Wandbild zeigt eine Schlacht zwischen bewaffneten Tieren über der Silhouette Washingtons, eine Szenerie die mich an die Covergestaltung des Emerson, Lake & Palmer Albums „Tarkus“ erinnert. Ach ja, von den Dreien, deren Musik, deren Bombast-Rock meine Jugend geprägt hat, lebt auch nur noch Carl Palmer – Keith Emerson und Greg Lake sind beide letztes Jahr von uns gegangen. Also doch: Eine Zeitreise. Fast fünfzig Jahre…
Lustig bunt ist es hier also, und das betrifft nicht nur die Wandbemalung, sondern auch die Mischung des Publikums. Alle Altersgruppen sind vertreten, viele verschiedene soziale Schichten, und Hautfarbe oder Abstammung spielen keine Rolle – alles ist bunt gemischt. Eine fröhliche Atmosphäre, begleitet von zeitloser Rockmusik.
Die gutgelaunte, etwas dralle Bedienung im kurzen Sommerkleidchen mit schweren Kampfstiefeln kommt an unseren Tisch, bringt uns die Karte und fragt nach unseren Bierwünschen. Zehn verschiedene Biere gebe es, leider keinen Tasting-Flight, aber die kleinste Glasgröße sei so bemessen, dass man trotzdem fast alle Biere verkosten könne.
Wir blicken auf die Bierkarte. Die Namen der Biere sind originell; jedes Bier ist detailliert beschrieben, nicht nur technische Details wie der Alkoholgehalt finden sich hier, sondern auch detaillierte Geschmacksprofile und ähnliches. Wir bitten um ein wenig Geduld, und die Bedienung grinst, als hätte sie diese Reaktion schon erwartet.
Wir beginnen mit dem Wonkey Moon, einem kaltgehopften Wild Ale, das mit Milchsäurebakterien gesäuert und mit einer eigenen Hefe vergoren ist. 4,6% Alkohol und eine spürbare, deutlich adstringierende Säure. Ein guter Durstlöscher für die Sommerhitze. Und auch das Raised by Wolves, ein fruchtaromatisches Pale Ale mit 5,0% passt gut zum Wetter. Ein guter Auftakt.
The Invisible City of Bladensburg erregt meine Aufmerksamkeit. Ein American Primitive Beer soll es sein, gebraut im Stil von vor 200 Jahren, mit Brettanomyces, Milchsäurebakterien und Trieben der nordamerikanischen Blaufichte (Blue Spruce), die seinerzeit gegen Skorbut helfen sollten. Nur 3,3% Alkohol, dafür aber ein spannender Geschmack, insbesondere die Fichtenspitzen kommen deutlich raus. Ich bin begeistert.
Das Blanc Slager mit 4,7% Alkohol erweist sich als gutes und klassisches Pilsner im deutschen Stil. Frisches, sauberes Lagerbier. Große Braukunst!
Das Lifehouse, ein neo-traditional Farmhouse Ale mit 6,0%, entpuppt sich als ausgezeichnetes belgisches Saison. Raue und ungestüme Hefenoten, leicht phenolischer Charakter, schön ausbalanciert. Prima!
Am Nachbartisch war mittlerweile Schichtwechsel – eine Besuchergruppe ist gegangen, eine andere neu gekommen. Offensichtlich aus der LGBT-Szene. Nicht schrill und auffällig, dafür aber sehr bunt gemischt.
Beim ersten Toilettengang merke ich auch, dass sich die Right Proper Brewing Company diesen Gästen auch bereitwillig öffnet – die Toiletten sind nicht mit „male“ und „female“ markiert, sondern lassen die Wahl, geben lediglich „sitting“ und „standing“ vor. So ist denn auch die Schlange der Wartenden vor „sitting“ bunt über die Geschlechter hinweg gemischt.
Zurück am Tisch regt sich ein erster Hunger, und als kleinen Snack zum Bier bestellen wir uns eine kleine Käseplatte. Drei Sorten werden auf einer Schieferplatte serviert, begleitet von Oliven, Blaubeeren in Honig, rotem Fruchtgelee, süßem Senf und leckeren Mandeln. Genau das richtige Geschmackerlebnis zu den vielfältigen Bieren.
Mit denen geht es jetzt auch weiter. Nach dem Lifehouse folgt nun das Flightless Bird, ein Imperial Stout, 9,3% Alkohol und mächtig im Geschmack. Der Absacker für meine holde Ehefrau, die sich entschließt, bei diesem kleinen Gläschen länger zu verweilen, es in winzigen Schlucken zu genießen und damit den Abend zu beschließen.
Ich gönne mir stattdessen den Baron Corvo, ein Rustic Bière de Garde mit 7,0% Alkohol, das zwar leckere Aromen aufweist, aber ein wenig unausgewogen, nicht ausbalanciert wirkt. Da gefällt mir das 5,7%ige Range Life, ein Pale Ale aus Weizen und einer neuen Hopfensorte, Denali, schon besser.
Den Abschluss bildet das Strictly Observant, ein Belgisches Blonde mit 5,9% Alkohol. Recht schmackhaft zwar, aber für ein Blonde mit zu deutlichen phenolischen Aromen. Nicht hundertprozentig mein Fall, wenn auch gewiss kein schlechtes Bier.
Neun winzige Biergläschen – bis auf die Berliner Weisse haben wir alle angebotenen Biere verkostet und sind hochzufrieden. Hochzufrieden mit den Bieren, mit der Käseplatte, mit der Freundlichkeit der Bedienungen, mit der lockeren und bunten Atmosphäre – es hat einfach alles gestimmt. Die eingangs zitierte Forderung, Washington brauche preiswerte Restaurants in der Nachbarschaft … hier wird sie erfüllt. Das Shaw Brewpub & Kitchen ist definitiv eine schöne Nachbarschaftskneipe. Und das mit dem preiswert – nun, das muss man im Washingtoner Kontext sehen. Bei uns liefe es unter hochpreisig, hier ist es im Vergleich mit vielen anderen überteuerten Bars und Restaurants in der Tat preiswert…
Das Shaw Brewpub & Kitchen der Right Proper Brewing Company ist täglich ab 17:00 Uhr geöffnet; freitags, sonnabends und sonntags bereits ab 11:30 Uhr. Kein Ruhetag. Zu erreichen ist das Pub komfortabel mit der Metro, grüne oder gelbe Linie, Station Shaw – Howard University, und von dort einmal um den Häuserblock herum, nicht länger als drei Minuten.
Right Proper Brewing Company – Shaw Brewpub & Kitchen
624 T Street, NW
Washington
DC 20001
USA
Hinterlasse jetzt einen Kommentar