The Wharf Rat
Baltimore
USA

Eine schon über 30 Jahre alte Hafenkneipe in einem noch viel älteren Gebäude in Baltimore, das ist The Wharf Rat, sinngemäß vielleicht mit Hafenratte übersetzt. Nur wenige Schritte vom Wasser entfernt an der Ecke einer Kreuzung gelegen, strahlt das auffällig dunkelgrün gestrichene Haus genau diese englische Atmosphäre aus, die mich unwiderstehlich anzieht.

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The Wharf Rat

In leuchtend gelben Buchstaben steht neben dem Namen der Kneipe noch groß „Oliver – Only The Best Beers“, und diese Werbung verleiht dem Gebäude noch die letzte Anmutung, derer es bedurfte, hier auch ganz gewiss unseren Stadtspaziergang zu unterbrechen.

„Sailors Welcome“ steht schließlich noch auf einem Schild über der Tür, daneben eine rote Rose und im kleinen Fenster rechts daneben leuchtet eine rote Laterne. Für einen kleinen Moment zögere ich nun doch – vielleicht ist es eher ein Etablissement, in das ich meine holde Ehefrau nicht mit hineinnehmen sollte? Ach, einen Versuch ist es wert – schlimmstenfalls ergreifen wir schnell wieder die Flucht.

Die Sorgen erweisen sich als unbegründet. Uns begrüßt ein zwar dunkler, aber farbenfroh geschmückter Schankraum mit zwei großen Theken, einer direkt rechts hinter dem Eingang und einer zweiten weiter hinten. An der vorderen Theke eine lange Reihe von verschiedenen, bunt gestalteten Tap Handles, an der hinteren eine etwas kürzere Reihe von englischen Bierpumpen.

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bunte Tap Handles

Bunte LEDs und ein Sammelsurium von Bierdeckeln, Emailleschildern und Nippes aus aller Herren Länder, auf kleinen Regalbrettchen oder an den Deckenbalken befestigt, bedecken jeden freien Quadratzentimeter, 1000 kleine Details könnten hier die Aufmerksamkeit fesseln, und wahrscheinlich gibt es zu jedem einzelnen Gegenstand eine kurze Geschichte, die erzählt, wie er hierhergekommen ist, wer ihn mitgebracht hat und warum.

Noch mehr als die kleinen Geschichtchen interessiert mich aber die Kreidetafel mit den angebotenen Bieren. Zwanzig Stück finden sich hier, zum Teil kleinere amerikanische Brauereien, zum Teil sehr unbekannte, aber auch Guinness ist im Angebot, in einer Hafenkneipe scheinbar ein Muss. Zwei Biere heißen wie das Pub, Wharf Rat, und ich frage den Barmann, ob sie hier im Haus gebraut würden.

Er lacht. „Nein, leider nicht, dafür ist hier kein Platz.“ Er deutet in den Schankraum. „Wo denn? – Aber es sind echte Hausbiere, extra für uns gebraut und ausschließlich hier erhältlich. Willst Du sie probieren?“ Er bietet mir kleine Sets mit jeweils drei Gläsern an, keine echten Tasting Flights, aber fast, und ich willige ein. Gemeinsam mit meiner Frau testen wir uns also durch ein halbes Dutzend der angebotenen Biere.

Sowohl das Wharf Rat Ale mit 6,0% als auch das Wharf Rat Best Bitter mit 5,0% erweisen sich als recht solide, aber eigentlich zu alkoholstarke Vertreter ihres jeweils eigenen englischen Stils. Gute Biere gegen den großen Durst, die man wegen der recht geringen Spundung auch in größeren Zügen trinken kann.

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bunte, farbenfrohe Dekoration

Nachdem der erste Durst gelöscht ist, bestellen wir uns Pizza – Spazierengehen und Biertrinken machen hungrig. Getreu dem hauseigenen und auch im Internet verlautbarten Motto „Your bartender is your cook. Your cook is your bartender.“ macht sich der junge Mann hinter der Theke ans Werk, stellt das Zapfen ein und schiebt stattdessen die Pizzen in den Ofen. Die anderen Gäste, die mittlerweile das Pub betreten haben und gerne ein Bier haben wollen würden, müssen sich gedulden, sehen mit ihren geschätzt jeweils drei Zentnern allerdings so aus, als hätten sie großes Verständnis dafür, dass jemand etwas zu essen haben möchte…

Angesichts der etwas improvisiert wirkenden Zubereitung erweisen sich die Pizzen als erstaunlich gut, knuspriger Teig, aromatischer, aber nicht mit zentnerweise Oregano überwürzter Belag. Keine Haute Cuisine, aber soweit in Ordnung.

Leider können wir das vom nächsten Bier, dem Smooth Sail von Heavy Seas nicht behaupten. Mit seinen 4,5% Alkohol schwappt es lust- und geschmacklos im Glas, ist eher dumpf denn smooth und kann so gar nicht begeistern. Und nur wenig besser präsentiert sich das Powder Monkey Ale der gleichen Brauerei, mit 4,8% einen Hauch stärker. Letzteres ist aus dem Cask gepumpt, daher auch eher zimmerwarm, was an einem heißen und schwülen Sommertag in Baltimore vielleicht nicht unbedingt die beste Wahl ist.

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leider zu warm: die Biere aus dem Cask

Unter dem gleichen Problem leiden auch die letzten beiden Biere, ebenfalls aus dem zu warmen Cask gepumpt: Das 6,0%ige Single Cannon India Pale Ale von Heavy Seas und das Citrus Pale Ale der Yards Brewing Company. Beide Biere wären eigentlich recht lecker, wenn sie denn ein bisschen gekühlt oder vielleicht wenigstens kellerkalt wären.

Vom Bier her sind wir also nicht so wirklich begeistert.

Die Atmosphäre jedoch ist ansprechend: Cool, sehr tolerant, bunt gemischt. Ähnlich bunt wie die Dekoration. Zwei junge Mädchen in hauchdünnen und kurzen, bunten Sommerkleidchen kommen herein; eines der beiden entpuppt sich aber bei genauerem Hinsehen als transsexuell oder queer, bestellt sein / ihr Bier mit brummigem Bass, der so überhaupt nicht zu seiner / ihrer zierlichen Erscheinung passt. Schön, wenn wir dann irgendwann auch einmal so weit sein werden, dies nicht nur in den großen (Hafen-)Städten ganz gelassen als völlig normal hinzunehmen, sondern auch auf dem Land, in den Kleinstädten und Dörfern. Aber bis zu dieser Toleranz ist es wohl noch ein weiter Weg, und allein die Tatsache, dass es hier Erwähnung findet, zeigt ja, dass wir uns mit dieser Normalität leider immer noch schwer tun…

Zurück zum Bier, jedoch:

Auf weitere zu warme Biere haben wir keine Lust mehr, und der Tag ist noch lang genug, andere Möglichkeiten in Baltimore auszuprobieren. Insofern lassen wir es gut sein, freuen uns noch einmal an der netten und bunten Atmosphäre, lassen die Bierqualität Bierqualität sein und machen uns achselzuckend wieder auf den Weg.

Das Sailor’s Pub The Wharf Rat ist täglich ab 11:00 Uhr durchgehend geöffnet; kein Ruhetag. Zu erreichen ist es (gratis!) mit dem Charm City Circulator, dem Gratis-Stadtbus in Baltimore, grüne Linie, Haltestelle Broadway, und von dort aus etwa 200 m Fußweg.

Bilder

The Wharf Rat
801 S Ann Street
Baltimore
MD 21231
USA

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