In den letzten Jahren haben nicht nur in den USA, sondern mittlerweile auch in Deutschland zahlreiche Bierbars aufgemacht, die mit einer großen Bierauswahl beeindrucken. Meistens sind sie auch sehr schön eingerichtet, und man merkt, dass sich die Macher Gedanken gemacht haben, damit es von Anfang an gemütlich wirkt und trotzdem originell ist. Spannend ist es, zu sehen, wie genau durch dieses Bestreben eine gewisse Verwechselbarkeit Einzug hält und viele Bars aussehen, als seien sie aus den Bausteinen eines Hipster-Baukastens zusammengesetzt. Aber egal, wie man die Bausteine kombiniert, um wie viel Originalität man sich auch bemüht – eines merkt man den Bars trotzdem immer an: Dass sie neu sind.
Alte und etablierte Bierbars hingegen – oh, ja, auch die gibt es, aber eben nicht so oft – fallen sofort ins Auge, weil man der Dekoration ansieht, dass sie über die Jahre gewachsen ist. Mal wurde hier etwas hinzugefügt, und mal dort. Ob es der Eigner, der Barkeeper oder einer der Gäste war, der seinerzeit dieses Teil der Dekoration mitgebracht hat – keiner weiß es mehr, aber nun steht oder hängt es da, wo es ist, und dann bleibt es da auch. Im Laufe der Zeit entsteht so ein buntes Sammelsurium, und was einst vielleicht einmal ein einheitlich gestyltes Interieur war, präsentiert sich heute als abwechslungsreiches und farbenfrohes Durcheinander von Stilelementen.
So offensichtlich auch in Max’s Taphouse in Baltimore, das es schon seit drei Jahrzehnten gibt.
Nur ein paar Schritte vom Hafen entfernt laufen wir an einer Reihe von alten Ziegelhäusern entlang, als uns die Bar mit ihrer Holzfassade im englischen Stil ins Auge sticht. Warmes, leicht rötliches Braun, die Scheiben mit bunten Plakaten und Tap Handles dekoriert, darüber der Schriftzug „Explore the Land of Beer“.
Wir betreten Max’s Taphouse durch die Ecktür und tauchen ein in eine bunte Welt. Rechter Hand eine schier unendlich lange Theke, links und geradeaus ein erstaunlich großer, im Winkel angelegter Schankraum, der an allen Ecken und Enden mit neuen Deko-Elementen überrascht. Bereits am Eingang grüßt eine aus Bierdosenblech zusammengesetzte, lebensgroße Figur und weist darauf hin, dass es in dieser Bar nur Selbstbedienung an der Theke gibt. Ein paar Schritte weiter der Sicherungskasten der Elektrik ist über und über mit Werbeschildern und Aufklebern von Brauereien bedeckt. Noch ein paar Schritte weiter steht in einer Ecke eine Lichtinstallation, bestehend aus fünf ehemaligen KEGs, die nun von bunten LEDs illuminiert den Winkel in immer neuen Farben erstrahlen lassen.
Die Säulen im Schankraum sind – wie der Sicherungskasten – mit bunter Brauereiwerbung über und über bedeckt. An einer begrüßt uns ein Totenschädel eines Piraten, und ganz am Ende des Schankraums kann man auf einer Sitzbank Platz nehmen, die in das Vorderteil eines Linienbusses integriert und dann hier aufgestellt worden ist.
Allein die Deko könnte uns heute, am späten Nachmittag, eine geraume Zeit beschäftigen. Hier gibt es etwas zu entdecken, da auch was, und – „Schau mal, dort!“ – etwas völlig Anderes.
Aber wir sind nicht wegen der Dekoration hier, sondern wegen des Biers – „Explore the Land of Beer“! Und da sind wir im ersten Moment überwältigt. Nicht von der strammen Behauptung, die auf die Kühlschränke hinter der Theke geschrieben worden ist: „Rated Best Beer Bar in the World“. Das kann sowieso niemand überprüfen, und wenn man einen Amerikaner fragt, bekommt man auch nur endlose Kaskaden von Superlativen zur Antwort. (Was ich mich dann in letzter Zeit allerdings immer fragen muss: Wenn hier sowieso alles nur „Best of the World“, „outstanding“, „awesome“, „perfect“, „second to none“ ist – warum läuft das blöde Stimmvieh bei den Präsidentschaftswahlen dann einem Slogan wie „Make America great again!“ hinterher?)
Nein, um zum Thema zurückzukommen: Überwältigt sind wir nicht vom zur Schau gestellten Selbstbewusstsein, sondern vielmehr von der Anzahl der angebotenen Biere: 102 Zapfhähne, fünf Handpumpen für Casks und viele, viele hundert Flaschenbiere. Ein Angebot, dass uns im ersten Moment fast überfordert, denn alleine die Bierliste zu lesen würde länger dauern, als wir eigentlich hier einkehren wollten, und dann hätten wir ja noch nicht einmal bestellt und getrunken…
Wir überfliegen die Liste also nur diagonal und schalten dann mental einen Filter ein. Lecker und aromatisch, nicht zu hoch im Alkohol, erfrischend soll es sein. Ein Durstlöscher, der trotzdem noch geschmacklichen Charakter hat. Der Auswahlprozess endet beim Bierstil Saison. Passiert mir in letzter Zeit immer öfter – Schritt für Schritt entwickelt sich dieser Stil zu meinem bevorzugten. Aromatisch und spannend, dabei aber nicht zu alkoholstark, so dass man auch mal einen Schluck mehr trinken und seinen Durst löschen kann, und vor allem: Nicht ermüdend. Auch nach einem großen Glas bleibt die Lust auf mehr.
Saison, also! Der Barmann deutet auf die Tafel hinter sich, wir nicken, und eine Minute später stehen zwei Gläser vor uns. Ein Saison Kriek mit 3,8% Alkohol. Leuchtend rot, fruchtig, frisch, ziemlich trocken und ganz leicht säuerlich, aber auch deutlich geprägt von der etwas phenolischen Saison-Hefe. Sehr schön! Und ein Saison Lemongrass, 4,0% Alkohol, strahlend goldgelb. Ebenfalls fruchtig frisch, die Lemongrass-Noten deutlich identifizierbar, aber nicht zu dominierend, etwas weniger Säure als das Kriek, und ebenfalls die spannenden Hefe-Aromen eines typischen Saisons. Auch sehr schön. Dass beide Biere jetzt aus Großbritannien stammen und nicht aus den USA, nehmen wir mal einfach so hin – die Partizan Brewery befindet sich irgendwo in der Nähe von London und nicht in Baltimore…
Genau die richtige Wahl am Ende eines schweißtreibenden Stadtspaziergangs durch das sommerlich heiße und schwüle Baltimore.
Max’s Taphouse wurde 1986 als Max’s on Broadway eröffnet, und zwar als Musikbar. 1994 wurde das Konzept geändert, der Name angepasst, und aus der Musikbar wurde eine Bierbar. Von Anfang an überzeugte sie mit einer gewaltigen Auswahl, an der bis heute sorgfältig gearbeitet wird. Die Bar ist täglich ab 11:00 Uhr durchgehend bis tief in die Nacht hinein geöffnet; kein Ruhetag. Zu erreichen ist sie zu Fuß vom Hafen in wenigen Minuten oder alternativ mit dem Charm City Circulator, dem Gratis-Stadtbus in Baltimore, grüne Linie, Haltestelle Broadway, und von dort aus etwa 150 m Fußweg.
Max’s Taphouse
737 S Broadway
Baltimore
MD 21231
USA
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