Kein Amerikaner kann es richtig aussprechen, geschweige denn buchstabieren, aber dennoch: Hofbräu und Hofbräuhaus sind in den USA Kult. Nach Neuschwanstein und Heidelberg ist das Hofbräuhaus in München die wichtigste Destination in Deutschland. Oder sogar schon vor?
Was liegt also näher, als sich einen Hauch von Hofbräu auch nach New York zu holen?
So stehen wir denn mitten in Manhattan und schauen entgeistert auf eine Fassade, die die Stereotypen unter einem Dach vereinigt: Wendy’s, Dunkin‘ Donuts und … Hofbräu München. Quietschbunt die amerikanischen Imbisse, eher zurückhaltend blau das Hofbräu Bierhaus NYC, wie es sich offiziell nennt.
Ein großer Balkon, Holzverkleidung – das obere Stockwerk sieht aus, als sei es in irgendeinem oberbayerischen Dorf abgekupfert worden (was vermutlich auch stimmt). Durch die offenen Türen dringen Musik und Geschrei.
Na gut, jetzt ein ordentliches Bier, und nach all den Burgern der letzten Wochen gerne auch eine deftige Schweinshaxe. Nichts wie hinein also; benehmen wir uns doch mal wie richtige Touristen!
Es geht eine überraschend schmale und steile Treppe hinauf, links und rechts an den Wänden begrüßen uns schon folkloristische Utensilien. Oben angekommen blicken wir in eine große Bierhalle, deren Dekoration einer klassischen Münchner Schwemme nicht unähnlich ist. Es ist unglaublich voll und unglaublich laut. Hunderte von Gästen sitzen und stehen überall und unterhalten sich in einer Lautstärke, die die Posaunen von Jericho vor Neid erblassen lassen würde.
Wie in fast allen amerikanischen Restaurants werden die Sitzplätze auch hier von den Platzanweiserinnen zugewiesen, aber die junge Dame schüttelt heute bedauernd ihren Kopf. Alles besetzt oder reserviert. Nicht einmal für zwei Personen sei irgendwo Platz, wir könnten uns höchstens an die Theke stellen und dort unser Bier im Stehen trinken.
Was sollen wir machen? Jetzt sind wir schon mal hier, also gönnen wir uns auch ein Bier. Wir drängen uns mühsam durch die Menschenmassen, kommen irgendwann an der Theke an. Hinter der Bar steht zum Glück ein Genie. Ohren, die eigentlich in einer Abhöranlage der NSA besser aufgehoben wären, Augen, die jedes kleine Zwinkern der Gäste sehen, und eine Energie, die ihn befähigt, in einer Geschwindigkeit die Bestellungen aufnehmen, zu zapfen und zu servieren, parallel dazu auch noch die Kreditkarten durch die Lesegeräte zu schieben, wie ich es noch nie gesehen habe.
Ich bin noch gar nicht bis in die erste Reihe an der Bar vorgedrungen, als er mich schon fixiert und mir meine Bestellung von den Lippen abliest. Ein Weizen und ein Helles. Helles Weizen sei aus, sagt er, ob auch dunkles ginge, und als ich nicke, blickt er einmal links, einmal rechts auf die beiden Zapfsäulen an der Theke. Links gibt’s das Weißbier, rechts das Helles, und so macht er die Arme lang und zapft an beiden Säulen gleichzeitig je ein Glas. Präzise und bis zum Eichstrich. Parallel dazu nimmt er bereits die nächste Bestellung der Dame neben mir auf. Während er die Gläser zu mir rüberschiebt, greift er meine Kreditkarte, und mit links macht er die Abrechnung, mit rechts zapft er bereits das Bier für die Dame.
Ich mag mir nicht vorstellen, wie müde er nach einer ganzen Schicht ist, wenn er durchgehend so konzentriert und effizient arbeitet, aber für den Moment ist es das Beste, um des Andrangs Herr zu werden. Wie gesagt: Ein Genie. Ein Zapfgenie.
Meine holde Ehefrau hat unterdessen freie Plätze entdeckt. An einem großen, reservierten Tisch sind von den eingeplanten Gästen nicht alle gekommen; wir dürfen uns dazusetzen. Aber, und das ist jetzt eine große Überraschung: Wir dürfen nichts zu essen bestellen. Die ansonsten freundliche Bedienung besteht darauf, dass wir uns die Plätze erst durch die Anweiserin zuteilen lassen. Ich frage also vorne am Eingang noch einmal nach, bekomme aber zur Antwort, dass das nicht ginge, schließlich sei alles reserviert. Aber wir säßen doch da, es sei Platz, es seien nicht alle, die zu der Gruppe gehören, gekommen, man hätte uns erlaubt, dort zu sitzen. Kopfschütteln. Nein, der Tisch sei für eine Gruppe reserviert, und wenn von der Gruppe nicht alle kämen, dann hieße das noch lange nicht, dass sich andere dazusetzen dürften. Diese Plätze könnten nicht vergeben werden.
Hirn aus!
Ich habe das Gefühl, ich stehe einer Beamtin am Einwanderungsschalter am Flughafen gegenüber – die können, wollen oder dürfen genauso wenig ihren gesunden Menschenverstand einsetzen, wie die junge Dame hier. Ergebnis typisch amerikanischer Ausbildung und Einweisung. Vorschriftenbuch auf, Hirn aus, Lächeln an. Die Sorte Arbeitsplätze, die man problemlos – und berechtigterweise – wegrationalisieren und durch Automaten ersetzen könnte. Was im Falle der Einwanderungsbehörde an einigen Flughäfen ja auch schon stattfindet. Wenn es sowieso keinen Ermessensspielraum gibt, dann reicht auch ein Automat, der Reisepass und Reisenden biometrisch miteinander ver- und mit den NSA-Datenbanken abgleicht.
Seufz. Wir bleiben stur sitzen, genießen unser Bier in aller Ruhe, aber zu Essen bekommen wir nichts.
Stattdessen gibt’s ordentlich was auf die Ohren. Musik, Gläserklirren, Geschrei – nach einer halben Stunde reicht es uns. Bevor wir jetzt einen Tinnitus entwickeln, ergreifen wir doch lieber die Flucht, blicken uns noch einmal um, schauen auf die weiß-blaue Dekoration, sehen das Schild „Stammtisch“ und dahinter, gerade wie in München am Platzl, ein Regal mit abschließbaren Fächern für die individuellen, privateigenen Maßkrüge. Recht nahe am Original, das alles. Bis auf die fehlende Flexibilität der Platzanweiserin…
Obwohl … München ist in dieser Beziehung ja auch gelegentlich zu Recht verschrien.
Das Hofbräu Bierhaus NYC ist täglich ab 11:30 Uhr, sonntags erst ab 12:00 Uhr geöffnet; kein Ruhetag. Hier herrscht „Oktoberfest all year long“, wie die Website stolz vermeldet. Man erreicht das Hofbräu am besten mit den grünen Linien der Metro, Bahnen 4 und 6, 51st Street Station – von dort sind es dann etwa 300 m in südlicher Richtung.
Hofbräu Bierhaus NYC
712 3rd Avenue
New York City
NY 10017
USA
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