Zu früh zu sein ist auch eine Art der Unpünktlichkeit, oder? Wenn eine große Veranstaltung stattfindet und man zu einem bestimmten Zeitpunkt eingeladen ist, dann mag es eine Reihe von Ausreden Gründen geben, aufgrund derer man zu spät kommt, aber es gibt keinen einzigen Grund, zu früh zu kommen und den Gastgeber oder die Gastgeberin zu desavouieren, weil er oder sie noch keine Zeit für die Gäste hat, sondern noch mit den letzten Vorbereitungen (gerne auch an sich selbst, Stichwort Lockenwickler oder Bartbinde…) beschäftigt ist.
Was aber, wenn man mehrere Monate zu früh dran ist? Ist das dann Unpünktlichkeit? Oder Dummheit? Oder einfach nur ein ärgerlicher Zufall?
Fakt ist jedenfalls: Wir sind am 11. Juli 2017 mehrere Monate zu früh dran…
Eine größere berufliche Veranstaltung in der Slowakei. Zwei Stunden Busfahrt hin, dann ein mehrstündiges Programm ohne Pausen, dann zwei Stunden Busfahrt zurück. Beziehungsweise nach einer Stunde das erste Gemaule der Hinterbänkler: Hunger, Durst, Pipi… Das übliche halt. Auch Vierzig- bis Fünfzigjährige sind in dieser Beziehung nicht besser als eine Busladung Kindergartenkinder. Also schnell der Blick ins schlaue Telefon.
Gasthausbrauerei?
„Ping!“
Panský Pivovar Bojnice. Nur sechs Kilometer querab, kein nennenswerter Umweg. Jemand was dagegen? Stille. Jemand dafür? Lautes Gejohle der Herrenfraktion, freundliches Nicken der Damen. Komisch, bei aller Gleichberechtigung in unserem Team, manchmal brechen die Geschlechterklischees doch durch…
Links ab also, sechs Kilometer über die Dörfer, und da taucht das berühmte Schloss Weinitz (Bojnice) schon vor uns auf, und nur wenige hundert Meter weiter in Richtung Ortsmitte die Panský Pivovar Bojnice, die Herrschaftliche Brauerei Weinitz. Gegründet 2016. Na, prima, damit dürfte für alles gesorgt sein, was eingefordert wurde: Hunger, Durst, Pipi…
Die Mittagszeit ist fast rum, wir finden problemlos mit der ganzen Gruppe Platz, und blitzschnell kümmern sich zwei junge und freundliche Kellnerinnen um uns. Und überbringen zunächst die schlechte Nachricht.
Die ganz schlechte…
Dass wir nämlich ein paar Monate zu früh dran seien…
Es gebe nämlich noch kein eigenes Bier. Die Konstruktion der Brauerei habe sich verzögert, die Genehmigungen länger gedauert als geplant. Das Geld habe umgeschichtet werden müssen, die Handwerker, man wisse das ja, kämen nie pünktlich, und im Endeffekt sei zwar eigentlich schon alles da, was man für das Sudhaus brauche, aber das Puzzle sei noch zusammenzusetzen, gebraut werde, leider, leider, noch nicht.
Aber, so folgt die gute Nachricht prompt, man habe natürlich den Restaurantbetrieb schon aufgenommen, das sei ja klar, und weil man die Erwartungshaltung der Gäste natürlich kenne, die würden schließlich gutes und außergewöhnliches Bier wollen, habe man ausgesuchte Biere aus kleinen und kleinsten tschechischen und slowakischen Handwerksbrauereien am Hahn.
Na gut, das versöhnt uns, und wir genießen unseren preiswerten Mittagstisch und die durchaus leckeren Biere dazu. Das Barcamp Session Red India Pale Ale aus der kleinen Brauerei Lucky Bastard in Brno gefällt gut. Ein rötlich-braune Farbe, kräftige Hopfenbittere, aber nur 4,7% Alkohol – ein schönes Bier zum Mittagessen. Viel Geschmack, und nicht so viel Alkohol, dass danach der Rest des Tages bereits gelaufen ist. Fein.
Das Essen ist scharf gewürzt, und so bleibt es trotz guter Vorsätze dann doch nicht bei dem einen Bier, sondern es folgt noch ein Summer American Pale Ale 12° der Pivovar Matuška. Etwas stärker, 5,3%, deutlich heller natürlich, strohgelb, aber ebenfalls hopfenbetont. Etwas weniger bitter, etwas kräftiger im Hopfenaroma. Ebenfalls ein sehr gutes Bier. Und es bleibt ja noch eine gute Stunde Busfahrt, so dass bis zur Ankunft auf unserem Parkplatz die Müdigkeit hoffentlich wieder verflogen ist…
Der Restaurantbetrieb der – zukünftigen… – Gasthausbrauerei hat also schon mal überzeugt. Netter Service, gutes und preiswertes Essen, leckere Gastbiere und ein schlichtes, aber nicht unangenehmes Ambiente.
Die große Panoramascheibe, hinter der irgendwann in Zukunft mal das Sudwerk zu sehen sein soll, ist derzeit noch mit Papierfahnen verklebt. Das klingt aber schlimmer, als es ist, denn auf die Fahnen ist eine bildliche Darstellung des Brauprozesses gedruckt – eine große und klar gegliederte Übersicht über die verschiedenen Schritte beim Bierbrauen. Lehrreich für meine Mitreisenden, unterhaltsam und dekorativ für mich.
Und vor dem Restaurant hätte es auch noch ein kleines Biergärtchen gehabt, aber das war uns heute in der prallen Sonne etwas zu warm. Nach der Fahrt im nichtklimatisierten Bus haben wir uns auf den kühlen Innenraum gefreut, so schön es draußen auch gewesen wäre…
Die Panský Pivovar Bojnice, derzeit „nur“ ein Restaurant mit Craftbier-Ausschank, ist täglich ab 10:30 Uhr durchgehend geöffnet; sonnabends und sonntags ab 11:00 Uhr. Kein Ruhetag. Die Brauerei liegt unterhalb des Schlosses; eine Anfahrt mit dem Auto ist möglich, Parkmöglichkeiten sind aber begrenzt (am Schloss kann man aber parken und dann zu Fuß in die Stadt laufen). Theoretisch kann man auch mit der Bahn kommen, bis Prievidza, aber von dort aus sind es gute anderthalb Kilometer zu Fuß, das zieht sich. Vor allem auf dem Rückweg…
Nachtrag 13. September 2019: Gute zwei Jahre später ergibt sich erneut eine Reise in den Westen der Slowakei mit Einkehr in der Panský Pivovar Bojnice. Das Sudhaus ist mittlerweile fertig, man braut seit geraumer Zeit eigenes Bier.
Wir setzen uns in das kleine Biergärtchen in die Spätsommersonne und studieren die Bierkarte. Die Auswahl liest sich spannend – man hat sich mit einem schönen Portfolio etabliert. Die jungen Damen im Service sind sehr freundlich und aufmerksam, sie geben sich viel Mühe, uns das Angebot zu erklären, und ich bestelle mir zu Beginn ein Bier gegen den Durst in der Sommerhitze. Nicht zu stark, sondern einfach nur zum Wegzischen: Das Výr Světlé 10°. Mit nur zehn Prozent Stammwürze und 4,3% Alkohol jetzt das Richtige für einen schnellen, großen Schluck.
Derart entspannt bietet sich nun ein Blick auf das Sudhaus an. Ich gehe in den Schankraum, an dem sich seit dem Besuch vor zwei Jahren nichts verändert hat. Aber die große Panoramascheibe an der Stirnseite des Raums ist nicht mehr abgeklebt. Durch das Glas sehe ich auf das wenig schmucke, eher zweckmäßige Sudwerk. Gebürstete Edelstahloberflächen machen deutlich weniger Arbeit als poliertes Kupfer, aber eben auch deutlich weniger Eindruck. Es wirkt eher, als blicke man in eine Maschinenhalle. Es ist sauber und ordentlich, aber auch recht vollgestellt mit PET-Fässern und Utensilien – eine Arbeitsbrauerei, keine Schaubrauerei.
Als ich zurück in den Biergarten kommen, haben die anderen mitgedacht: „Wir haben Dir schon mal ein Summer Ale mitbestellt, recht so?“ Ja, sehr recht sogar. Das Summer Ale ist laut Beschreibung ein elfgrädiges Helles, wirkt aber für ein Helles verhältnismäßig dunkel – fast schon bernsteinfarbig. Leider wirkt es ein bisschen unausgewogen und seine leichte Bittere ein wenig kratzig.
Ich bestelle mir rasch noch ein Sokol Polotmavé, ein Halbdunkles mit ungewöhnlich niedriger Stammwürze – lediglich 11°. Sonst sind die Halbdunklen in der Region mit 12° oder 13° etwas kräftiger und vollmundiger. Leider wirkt sich die niedrige Stammwürze auch im Geschmack aus. Das Bier hat zwar keine Geschmacksfehler, wirkt aber ein bisschen wässrig, als habe man es herunterverdünnt. Bestimmt ein schöner Durstlöscher, wenn man hart körperlich arbeiten muss, aber eigentlich jetzt nicht so doll für den langsamen Genuss im Biergarten.
Mit dem Vicišpán IPA, einem vierzehngrädigen Bier, macht die Panský Pivovar Bojnice jetzt aber alles wieder wett. Kräftige, fruchtige und auch leicht harzige Aromen, ein voller runder Geschmack und eine kernige, aber nie kratzige Bittere machen dieses Bier zu einem richtig schönen Vertreter seines Stils.
Und zu einem schönen Begleiter zum deftigen Essen. Mit diesem verhält es sich ähnlich wie mit dem Sudwerk: Man legt nicht wirklich viel Wert auf hübsches Anrichten und Dekorieren. Es ist schmackhaft, es ist deftig, es ist sehr, sehr preiswert, aber eben auch, nun ja, vielleicht nicht lieblos, aber doch ein wenig gedankenlos auf den Teller gepackt. Das Auge isst mit, heißt es, doch daran hat der Koch heute nicht gedacht.
Nun gut, der Geschmack stimmt ja, und die Kombination mit dem India Pale Ale auch, insofern will ich zufrieden sein.
Noch ein zweites IPA offeriert die Bierliste – das Hedviga Svetlá IPA 13°. Etwas schwächer als das Vicišpán, ihm sonst aber recht ähnlich. Die Hopfenaromen sind ein bisschen fruchtiger, weniger kräuterige und harzige Aromen, aber sonst ist der Unterschied gering. Ebenfalls also ein sehr schönes und sympathisches Bier.
Die Sonne senkt sich langsam und taucht den Biergarten in lange Schatten. Es wird kühl. Für heute haben wir genug gegessen und getrunken – jetzt noch in den Schankraum hineinzugehen, dazu haben wir keine Lust mehr. Der Tag war lang genug.
Mit einer schönen Überraschung beschließen wir den Besuch in der Brauerei, nämlich mit einem Rechnungsbetrag, der deutlich niedriger ist als das, was wir erwartet haben. Hier in der Panský Pivovar Bojnice lässt es ich gut und preiswert einkehren, stellen wir zufrieden fest. Da spielt die fehlende Dekoration der Speisen plötzlich gar keine so große Rolle mehr…
Die Panský Pivovar Bojnice ist unverändert täglich ab 10:30 Uhr durchgehend geöffnet; sonnabends und sonntags erst ab 11:00 Uhr. Kein Ruhetag.
Panský Pivovar Bojnice
Hurbanovo Námestie 49/40
972 01 Bojnice
Slowakei
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