Ein Haus mit Geschichte und eine niegelnagelneue Minibrauerei – diese Kombination finden wir in Litoměřice (Leitmeritz), nur ein paar Schritte vom Stadtzentrum entfernt.
1858 ist das herrschaftlich wirkende Gebäude errichtet worden – zunächst als Sitz des Instituts für Taubstumme. Nach ein paar Wechseln in seiner Nutzung wurde es nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst Sitz des Priesterseminars der Diözese Litoměřice und dient seit 2002 als Diözesanhaus. Nach und nach wurde die Nutzung erweitert, es kam ein Hostel hinzu, und 2015 ein Restaurant mit angeschlossener Minibrauerei: Die bischöfliche Brauerei St. Stephan – Biskupský Pivovar U Sv. Štěpána.
Mit knurrendem Magen gehen wir durch das Tor unter dem eisernen Wappen der Brauerei hindurch in den Biergarten. Die Mittagszeit ist bereits vorbei, und wir haben Sorge, ob es jetzt, am frühen Nachmittag noch etwas Warmes zu essen gibt.
Allzu viel ist im Biergarten nicht los – es ist die ruhige Stunde zwischen Mittagessenszeit und dem späteren Nachmittag, wenn die Menschen auf ein Feierabendbier einkehren. Eine Speisekarte liegt herum, und beim Durchblättern registrieren wir, dass die Küche durchgehend geöffnet ist – Erleichterung macht sich breit. Noch leisten sich fast alle Restaurants in Tschechien diesen Luxus, das Küchenpersonal auch für die Zeit vorzuhalten, in der nur wenige Gäste da sind.
Wir blättern ein wenig in der Karte und kämpfen uns durch die tschechischen Bezeichnungen für die verschiedenen Gerichte. Es dauert nicht lang, und eine freundliche junge Dame kommt zu uns und fragt nach unseren Wünschen. Sie spricht zwar kaum englisch oder deutsch, aber sie gibt sich viel Mühe, mein zusammengestottertes Pidgin-Tschechisch zu verstehen, und wenige Augenblicke später kommt tatsächlich das gewünschte auf den Tisch: Einmal das simple, aber schmackhafte Tagesgericht und ein Glas Helles. Das Světlá 11°, ein elfgrädiges Helles, Děkan genannt, erweist sich als typisch tschechisches Trinkbier. Nicht allzu hoch gespundet, mit nur 11° Stammwürze auch relativ niedrig im Alkoholgehalt (es dürfte so knapp 4,5% haben), leicht hopfig, leicht malzig, schön ausbalanciert und dadurch enorm süffig. Ein schöner, neutraler Begleiter zum Essen.
Ein junger Mann kommt zu uns an den Tisch, um das Geschirr abzuräumen, und wir bestellen bei ihm noch einen Kaffee. Auch er spricht kaum englisch oder deutsch, ist aber genauso freundlich wie seine Kollegin. Er verschwindet nach drinnen, und ich gehe ihm nach, um mir mal das Innere des Restaurants anzusehen.
Im Schankraum gehen mir die Augen über. Rechter Hand erstreckt sich der Restaurantbereich, mit einfachem und schlichtem Mobiliar. Über jedem Tisch hängt eine Lampe, deren gewölbter Kupferschirm einem Braukessel nachempfunden ist – ein sehr nettes Detail. Ebenfalls rechter Hand die langgestreckte Theke, die mit Kreidezeichnungen verziert ist – Biergläser, verschiedene Gerichte, Getränke. Quasi eine Speisekarte für die, die des Tschechischen nicht mächtig sind. Ein Fingerzeig auf die passende Zeichnung ersetzt die Bestellung.
Linker Hand des Eingangs aber das eigentlich beeindruckende, nämlich das Sudwerk. Im Tiefgeschoss steht es und ragt bis in das Hochparterre hinein. Schwarze, auf alt getrimmte Kacheln, davor das zwar schlichte, aber liebevoll auf Hochglanz polierte Kupfersudwerk, dessen Brüdenabzüge hoch aufragen und dann in der gefliesten Wand verschwinden – es ist eine wahre Augenweide.
An der Wand hängt das Wappen der Brauerei, so, wie es uns auch schon am Eingangstor zum Biergarten begrüßt hat. „Dej Bůh Štěstí!“ – „Gott gebe Glück!“ steht darunter – der Segensspruch der tschechischen Brauer, der dem „Gott gebe Glück und Segen drein!“ der deutschen Brauer entspricht.
Begeistert stehe ich ein Weilchen am Treppengeländer und schaue mir das Sudwerk von allen Seiten an. Eine weitere junge Kellnerin tritt an mich heran, und mich erstaunt einmal wieder, wie hoch nach wie vor der Personalaufwand ist, der in den Restaurants, Kneipen und Bars in der tschechischen Provinz betrieben wird. „Darf es denn noch ein Bier sein?“, fragt sie, und angesichts der freundlichen Frage und der Panoramablicks auf die Brauerei werde ich schwach. Na gut, ein kleines Zwölfer geht noch.
Das zwölfgrädige Helle, Světlá 12°, nennt sich Štěpán. Es wird in einem rundlichen Glaskrug serviert – man achtet sehr auf die Tradition, dass die leichten Trinkbiere im Glas, die „normal starken“ Biere mit 12° oder 13° hingegen im Krug serviert werden. Geschmacklich unterscheidet es sich gar nicht so sehr vom etwas leichteren Elfer. Ein bisschen mehr Geschmack, ein kleines bisschen vollmundiger, aber ebenfalls ein unauffälliger Begleiter all dessen, was man hier im Restaurant oder Biergarten essen oder sonst wie zu sich nehmen mag. Ein Bier für den schönen, schnellen Schluck.
Fast hätte ich meinen Kaffee vergessen. Richtig heiß ist er nicht mehr, als ich nach meinem kleinen Rundgang mit dem Bierkrug in der Hand zurück in den Biergarten kommen. Aber nötig ist er, denn die beiden Biere und das gute Essen machen jetzt müde. Die Sommerhitze tut ihren Teil dazu, und auch wenn ich nur Beifahrer bin – ein zu tiefer und langer Schlaf im Auto bringt nichts außer einem verspannten Nacken. Dann doch lieber wach bleiben, die Landschaft genießen und vielleicht ein wenig lesen. Beispielsweise von der Geschichte der Kleinbrauereien in Böhmen – eine Geschichte, die noch lange nicht zu Ende geschrieben ist:
Nach wie vor entstehen fast in wöchentlichem Rhythmus neue Brauereien in ganz Tschechien. Garagenbrauer, Restaurantbrauereien oder kleine, regionale Handwerksbrauereien. Ab und an wird auch eine stillgelegte größere Braustätte wieder in Betrieb genommen oder ein Investor nimmt all sein Geld und seinen Mut zusammen und baut eine respektable Brauerei auf der grünen Wiese von der Pieke auf neu. Spannend, dies zu beobachten und mitzuerleben. Auch die vor vier Jahren gegründete Biskupský Pivovar U Sv. Štěpána ist Teil dieser Geschichte und zeigt, dass sich auch die Kirche dieser Bewegung nicht verschließt.
Die Biskupský Pivovar U Sv. Štěpána ist täglich ab 11:00 Uhr durchgehend geöffnet; kein Ruhetag. Bei gutem Wetter ist Biergartenbetrieb vor dem Gebäude, und bei großem Andrang wird dort in einer kleinen Hütte auch ein separater Ausschank geöffnet. Zu erreichen ist die Brauerei in wenigen Minuten von der Altstadt; sie liegt ein paar Schritte nordwestlich des Schlosses Leitmeritz (Hrad Litoměřice).
Biskupský Pivovar U Sv. Štěpána
Komenského 748/4
412 01 Litoměřice
Tschechien
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