Wenn es sie je gegeben haben sollte, die „gute, alte Zeit“, dann ist sie hier recht gut konserviert worden, in Gampern in Oberösterreich, im Brauhaus zum Gugg.
Mitten im Ortszentrum liegt dieser große Gasthof, und er spielt seine Rolle, so wie die großen Gasthöfe in den Zentren kleiner Dörfer immer schon ihre Rolle gespielt haben: Als Kommunikationszentrum, als Anlaufpunkt in der Mittagspause oder nach Feierabend, als Festsaal, als Veranstaltungszentrum, als Dorfgemeinschaftshaus. Seit 200 Jahren wird er von der Familie Gugg betrieben, seit 200 Jahren finden hier Hochzeiten, Kindstaufen, Beerdigungen oder Vereinsfeste statt.
Und seit einiger Zeit wird hier auch eigenes Bier gebraut. Klassisch, ohne Firlefanz oder neumodische Bierstile.
Wir stellen das Auto auf dem riesigen Parkplatz direkt vor dem Gasthof ab und schauen auf die eindrucksvolle Fassade. Gleich nach der Kirche dürfte dies das größte Gebäude in der kleinen, vielleicht dreitausend Einwohner zählenden Gemeinde sein.
Als wir durch die Tür kommen, sehen wir links die Türen zu einem großen Saal offen stehen. Alles ist fein in weiß eingedeckt, und ein kleiner, die Offensichtlichkeit noch einmal betonender Zettel macht uns darauf aufmerksam: „Geschlossene Gesellschaft!“ Zum Glück gilt dies nur für den Saal, und die kleineren Gasträume rechter Hand sind heute trotz der großen Feier bewirtschaftet. Wir können uns also für eine gemütliche Mittagspause setzen und etwas entspannen.
Die Einrichtung ist zwar neu, lange kann die letzte Grundrenovierung nicht her sein, aber in ihrer klassischen Eleganz der „guten, alten Zeit“ verhaftet. Ob es die schlichten Tischdecken sind, die dezenten Leuchten oder die Tatsache, dass ganz altmodisch auf jedem Tisch eine kleine Vase mit einer frischen Rose steht – alles atmet gutbürgerliche Atmosphäre. Die Kellnerinnen und Kellner passen perfekt in dieses Ambiente. Höflich und zurückhaltend, nach klassischer Art selbstbewusst und überkorrekt bedienen sie uns, fragen nach unseren Wünschen, gleiten unauffällig zwischen den Tischen entlang.
Wir blättern durch die Speisekarte und finden regionale Küche. Überlieferte Gerichte vom Land. Keine Experimente, kein internationaler Einfluss, kein modernes Schickimicki, sondern das, was man in einem traditionsbewussten Dorfgasthof erwartet. Auch die Preise passen dazu, wir sind positiv überrascht. Gute Küche auch für den kleinen Geldbeutel.
Der Kellner serviert uns ein Märzen. Ein österreichisches Märzen, muss man dazu sagen, denn während in Deutschland Märzen ein etwas kräftigeres, bernsteinfarbenes und sehr vollmundiges Bier bezeichnet, ist in Österreich der Begriff Märzen ein Synonym für ein helles, durchaus schlankes und spritziges Lager. Kräftig gelb ist es, gleichmäßig trüb, und im hohen, schlanken Glas krönt eine weiße Schaumkrone das Bier. Es schmeckt süffig, ist sehr dezent gehopft, tendiert eher ins leicht süßliche, und verschwindet in der Kehle, ohne einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Unauffällig und schlicht, 5,2% Alkohol, ein zurückhaltender Begleiter zum Essen. Ich bin nicht enttäuscht, aber auch nicht begeistert. Ein solides Alltagsbier zur soliden, vom Brauhaus zum Gugg auf seiner Website selbst so genannten „klassischen Wirtshausküche“.
Als Dessert bestelle ich mir noch das Dunkle, ebenfalls mit 5,2% Alkohol. Während es gezapft wird, erkunde ich die anderen Räumlichkeiten und finde das Sudwerk im sogenannten Brauhaus, dem Saal im hinteren Bereich des Gasthofs. Dicke Holzbalken und eine offene Architektur über zwei Stockwerke lassen vermuten, dass dies einst eine Scheune gewesen ist. Nun steht mitten in diesem Raum das kupferne Zwei-Geräte-Sudwerk, und rundherum finden sich rustikale Holztische, an denen das vor Ort gebraute Bier an zünftigen Abenden bestimmt besonders mundet. Sonderlich hübsch ist das Sudwerk nicht, aber trotzdem nett anzuschauen, wie es hier als Blickfänger zentral installiert ist.
Gasträume, Hochzeitssaal, Brauhaus – insgesamt können hier im Gasthof wohl mehrere hundert Gäste ihren Platz finden und verköstigt werden, und einen kleinen Innenhof, der bei gutem Wetter als Biergarten dient, gibt es auch noch.
Ich gehe wieder zurück in den Restaurantbereich und sehe, wie sich der weiß geschmückte Saal langsam füllt. In der Tat, eine Hochzeit. Es ist ordentlich was los, die Dorffeuerwehr feiert auch mit (entweder Bräutigam oder Braut sind dort wohl engagiert), und der Parkplatz vor dem Gasthof ist mittlerweile rappelvoll.
Der Service im Restaurantbereich bleibt aber unverändert gut und auf angenehme, entspannte Art gelassen. Das Dunkle, das mir mittlerweile serviert worden ist, bestätigt den Eindruck, den das Märzen bereits gemacht hat: Unauffällig, solide, sehr klassisch. Keine Geschmacksfehler, aber es fehlt ein bisschen das Besondere. So schön es ist, vor Ort gebrautes Bier zu trinken, es bleibt die Frage offen: Wenn es sich nicht von den Bieren der umliegenden Regionalbrauereien unterscheidet, ist es dann den Aufwand eines eigenen Sudhauses wert?
Wer das Lokale, des Selbstgemachte schätzt, wird diese Frage immer mit „Ja!“ beantworten; wem es jedoch nur um den Konsum eines fehlerfreien Produkts geht, mag dies anders sehen.
In der kleinen Gemeinde Gampern kommt das Bier aber gut an, und vielleicht ist es gerade hier, in der Provinz, in der es die „gute, alte Zeit“ noch gibt, wichtig, die konservativen Gäste nicht zu verschrecken.
So sitze ich mit meinem Bier und sinniere. Alltagsphilosophie. Und wer bin ich schon, als durchreisender Piefke, dass ich beurteilen darf, was die Einheimischen lieben und wie der Gasthof im Zentrum des Orts diesen Vorlieben gerecht wird… Ein Dorfgasthof, der die Tradition aufrecht hält, der seine Rolle wie vor hundert oder gar zweihundert Jahren spielt und der sein eigenes Bier braut. Es ist alles richtig, so wie es ist.
Das Brauhaus zum Gugg ist mittwochs bis sonntags ab 10:30 Uhr geöffnet. Mittwochs und donnerstags macht man von 14:00 bis 17:00 Uhr am Nachmittag nochmal zu, an den anderen Tagen ist durchgehend geöffnet. Sonnabends beginnt man eine halbe Stunde später, also erst um 11:00 Uhr. Montags und dienstags ist Ruhetag. Der Gasthof liegt im Zentrum des Orts – von der Autobahn A1 braucht man nicht mehr als fünf Minuten hierher. Wer unbedingt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln kommen will, hat vom Bahnhof Neukirchen-Gampern der Westbahn fast eine Stunde Fußweg vor sich.
Brauhaus zum Gugg
Braugasse 5
4851 Gampern
Österreich
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