Warpigs Brewpub
København
DNK

Langsam legt sich eine schwarz behandschuhte Hand auf die Schulter des Opfers. Für einen Augenblick nur verharrt sie dort, liegt auf der nackten Haut, streicht fast zärtlich über die Wölbung am Schlüsselbein. Dann, plötzlich, spannen sich die Finger an. Durch das schwarze Gummi sieht man, wie die Sehnen am Handrücken hervortreten. Die Fingerkuppen pressen sich auf das Fleisch, drücken tief hinein. Die Haut platzt auf, dunkle Flüssigkeitstropfen treten hervor. Gnadenlos krümmen sich die Finger weiter. Mit einem schmatzenden Geräusch dringen sie tief in das Gewebe, durchstoßen die gelblich-weiße Fettschicht bis in den Muskel hinein. Die nun schon fast geschlossene Faust reißt einen großen Fetzen heraus. Durch die klaffende Öffnung sieht man die Struktur des Unterhautgewebes, des Fleisches, des bleichen, nun offen liegenden Knochens. Langsam formt der Handschuh den Gewebefetzen zu einem kleinen Ball, drückt und knetet ihn für einen Moment und klatscht ihn mit Schwung auf das nur von einem dünnen, bräunlichen Blatt Papier abgedeckte Aluminiumblech. Es spritzt. Stahlblaue Augen fixieren den Klumpen, der langsam seine Form verliert, auseinanderfällt. Der Atem geht schwer. Ich sehe Schweißtropfen auf der Stirn meines Gegenübers, langsam rinnen sie ihm über die Augenbrauen. Er hebt den Kopf, unsere Blicke treffen sich. Erwartungsvoll schaut er mich an, holt noch einmal tief Luft: „Na? Zufrieden?“ Ich nicke, nachdenklich. Betrachte noch einmal den mittlerweile wieder unförmigen Fetzen Fleisch. „Ja“, erwidere ich lächelnd, „zufrieden!“

Was sich wie die Einleitung zu einem Horrorroman liest, spielt sich am Tresen der offenen und gut einsehbaren Küche des Warpigs Brewpub in Kopenhagen täglich einige Dutzend Male ab. Pulled Pork, frisch von der stundenlang gegarten Schweineschulter. Mit der Hand vom Knochen gerissen, in großzügigen Portionen direkt auf das Tablett geworfen. Dazu ein paar kleine Schüsseln und Becher mit Salat, Soßen, sonstigen Beilagen. Und natürlich Bier. Viel Bier. Eine große Auswahl an Bier, das genauso wie die Speisen hier vor Ort hergestellt wird.

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Bier. Viel Bier.

Mikkel Borg Bjergsø, der weltberühmte Brauer hinter Mikkeller hat sich Gedanken gemacht, was er in seiner Heimat Kopenhagen über den normalen Ansatz einer Craftbierbar hinaus Originelles anbieten kann. Burger & Bier? Gibt’s überall. Zwei Dutzend Zapfhähne mit eigenen Bierkreationen? Hat Mikkeller schon, in seiner Bar in der Viktoriagade.

Es war das alte Schlachthofareal westlich des Hauptbahnhofs, das ihn schließlich auf den Gedanken brachte, Bier und Fleisch, viel Bier und viel Fleisch miteinander zu kombinieren, und nach verhältnismäßig kurzer Planungsphase eröffneten Mikkeller und die amerikanische Brauerei Three Floyds hier in einer alten Halle gemeinsam das Warpigs Brewpub, benannt nach einem uralten Black-Sabbath-Song, vom Album Paranoid aus dem Jahr 1970.

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Fleisch aus der offenen Küche

Ich schnappe mir mein Blechtablett mit den Fleischfetzen, greife mein Bier und setze mich auf eine der langen, schwarzen Bierbänke vor der Halle. Es ist trocken und noch verhältnismäßig mild, vermutlich einer der letzten angenehmen Spätsommerabende, bevor die Regenzeit beginnt. Zweiundzwanzig Zapfhähne habe ich eben an der Theke gezählt, phantasievolle Namen, geheimnisvolle Rezepturen. Vom simplen Pilsner, Weißbier oder Mild über zahlreiche India Pale Ale Variationen bis hin zu experimentellen Kreationen wie einem Earl Grey Bier, einem Imperial Maple Stout oder einer Watermelon Gose – die Auswahl ist nicht einfach. Nachdem ich mich endlich für ein Bier entschieden hatte, ging der gleiche Entscheidungsprozess an dem kleinen Küchenfenster wieder von vorn los. Die Anzahl der Gerichte ist zwar überschaubar, aber da alle Komponenten separat angeboten werden, gibt es fast unendlich viele Kombinationsmöglichkeiten. Und so, wie die Biere alle hier vor Ort auf einem schmucklosen Stahlsudwerk an einem Ende der Halle entstehen, werden die Speisen in einer offenen, verglasten Küche am anderen Ende frisch zubereitet.

1000 m² umfasst der weitläufige Sitzbereich in der Halle, und draußen finden auch einige Dutzend Gäste Platz. Fleisch und Bier, Bier und Fleisch. Gesund ist das alles vermutlich nicht, und Veganer werden einen großen Bogen machen um dieses Brewpub, in dem bis zu 200 hl Bier pro Jahr entstehen können und in Spitzenzeiten bis zu einer Tonne Fleisch pro Tag zubereitet werden kann. Vorzugsweise im Smoker. Zwölf bis vierzehn Stunden im Smoker machen das Fleisch weich und zart, so dass es fast von selbst auseinanderfällt und vom Koch dann ganz einfach mit den Händen in mundgerechte Stückchen zerrissen werden kann.

Es ist also keine Szene aus einem Zombiefilm, sondern tägliche Routine, wenn die hygienisch in Kunststoffhandschuhe verpackten Hände das Rind-, Schweine- oder Geflügelfleisch zerteilen und auf dem Aluminiumbrett verteilen. So schön es aber ist, ohne Teller zu arbeiten (und dadurch sowohl Spülaufwand als auch Geschirrbruch zu vermeiden), so merkwürdig wirkt es dann aber, wenn die weiteren Zutaten, Soßen, Beilagen in Papiertüten und Pappbecher auf das Tablett kommen und den Müllberg anwachsen lassen.

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das schlichte, fast schon unattraktive Sudwerk

Genug sinniert. Ich nehme einen ersten Schluck von meinem Bier, dem Snack Family American Pale Ale. Lediglich 5,0% Alkohol, eine schöne fruchtige Hopfennote, spürbar, aber nicht übermäßig bitter. Eine schöne Erfrischung zum zarten, frischgerupften Schweinefleisch. Das zweite Bier, das Power Move Session India Pale Ale, ebenfalls mit 5,0% Alkohol, aber wesentlich herber und kerniger als das erste, passt ähnlich gut zu den scharfen Buffalo-Wings und dem Blauschimmelkäsedip. Ich muss mich selbst loben. Gut kombiniert!

Nach den zwei eher gemäßigten Bieren darf es jetzt etwas Spannenderes sein. Ein Nitro Coffee Stout. Allein der Name verspricht schon viel Geschmack und Originalität: You Fucked Me Up & I’m Furious. 6,0% Alkohol, kräftig-röstiges Aroma und ausgeprägte Kaffeenoten. Dazu bedarf es keines weiteren Essens mehr – das Bier ist Geschmackserlebnis genug und in seiner Intensität ein echter Einzelgänger.

Locker könnte ich hier noch eine Weile sitzen bleiben, noch ein paar von den exotischen Bieren verkosten – aber drei Sorten sollen für heute genug sein. Der Geldbeutel wird es mir danken, denn selbst für dänische Verhältnisse sind die Bierpreise hier im Warpigs empfindlich hoch. Man zahlt für die Originalität mit, kann sich dann aber auch darauf verlassen, dass die Qualität stimmt. Hut ab!

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einer der letzten milden Abende des Jahres?

Wer es sich leisten kann und möchte, und wer daran Spaß findet: Bei Warpigs kann man auch eine Art Klubmitgliedschaft erwerben und eine pseudomilitärische Biertrinkerkarriere starten. Vom Feldwebel über den Leutnant und den Major bis zum Oberst kann man sich die Ränge hochtrinken. Während es lediglich 5000,- DKK kostet, zum Leutnant befördert zu werden, bedarf es einer glatten Million, um zum Warpigs-General aufzusteigen. Eine stattliche Summe, allerdings auch nicht mehr als ein luxuriöser Mittelklassewagen zu dänischen Preisen… Und der Dienstgrad schließt lebenslanges Freibier mit ein.

Sollte ich eine solche Beer-Trooper-Karriere starten? Ach, natürlich nicht. Ich hätte ja gar keine Chance, meine hart erworbenen Rabatte zu verkonsumieren oder meinen personalisierten Bierkrug hinter der Theke hervorholen zu lassen – wann bin ich schon einmal in Kopenhagen? Da reicht es völlig, als Private 1st Class hier zu sitzen, das Bier (und das Fleisch!) zu genießen und sich von sauberem Hardrock (von Black Sabbath – na klar! – bis Metallica) die Ohren durchblasen zu lassen.

Warpigs! Trinken bis zum jüngsten Gericht:

„Day of judgement, God is calling
On their knees the war pig’s crawling
Begging mercy for their sins
Satan laughing spreads his wings
oh lord yeah!”

Das Warpigs Brewpub ist täglich ab 11:30 Uhr durchgehend geöffnet, sonnabends und sonntags bereits ab 11:00 Uhr; kein Ruhetag. Vom Hauptbahnhof aus sind es etwa vierhundert Meter zu Fuß bis in das alte Schlachthofareal, in deren Mitte die Halle mit dem Brewpub steht.

Bilder

Warpigs Brewpub
Flæsketorvet 25
1711 København
Dänemark

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