Belgische Bierkultur? Klar, das ist doch bekannt:
Schwere und reichhaltige Abteibiere, die mit hohem Alkoholgehalt und breitem Aromaprofil den Fernsehbiertrinker vor echte Herausforderungen stellen. Biere, die definitiv nicht dafür geeignet sind, gegen den Durst getrunken zu werden, sondern wie ein kräftiger Rotwein zu langsamem und bewusstem Genuss einladen.
Spontan vergorene Lambik-Biere. In ihrer Extremform nahezu kohlensäurefrei, kräftig sauer, mit einer komplexen Geschmacksmatrix, die je nach Alter von beißend essigsauer bis zu weich und balsamico-artig seidiger Säure reichen kann. Etwas, das mit unserer deutschen Vorstellung von Bier geschmacklich eigentlich nichts mehr zu tun hat.
Saison-Biere, die mit einem ungestümen und kernigen Hefecharakter aufwarten, mit deutlich phenolischen Aromen. Durchaus auch leicht im Alkohol und als Durstlöscher geeignet, aber charakterstark, kantig, unangepasst.
Fruchtbiere, deren Spektrum von zuckrig süß bis säuerlich trocken reicht, klassisch mit Sauerkirschen oder Himbeeren, neuerdings auch mit allem anderen, was der Obststand auf dem Markt anbietet, gebraut.
Eine bunte Vielfalt, ein aromen- und farbenfroher Reigen, und dahinter eine Kultur, die Bier in den Alltag integriert. Die Art, wie man Bier trinkt, die Allgegenwart des Biers im täglichen Leben, seine Tradition, all das hat sogar dazu geführt, dass die belgische Bierkultur von der UNESCO als immaterielles Kulturerbe der Menschheit anerkannt worden ist.
Ist da noch Raum für etwas Neues?
Man sollte es kaum glauben, aber: Ja! Es gibt noch Raum für Neues. Es gibt Bierstile, die selbst in Belgien noch nicht lange verbreitet sind. Nicht nur das India Pale Ale etwa. Junge, bunte und aufmüpfige kleine Brauereien bringen andere Akzente, erdreisten sich, jenseits der Traditionen aufzutrumpfen. Und das sogar mitten in Brüssel.
Mit dem Brussels Beer Project, BBP, ist so eine kleine aufmüpfige Brauerei am Westrand der Innenstadt entstanden. Vor gerade einmal zwei Jahren habe ich erstmals Bier von diesen jungen Brauern getrunken, die damals noch nicht über eine eigene Brauerei verfügten, sondern sich als Wanderbrauer bei etablierten Brauern eingemietet hatten. Aber schon kurze Zeit später haben sie eine Halle gefunden, groß genug, um dort nicht nur eine zweckmäßige und recht effiziente Kleinbrauerei einzurichten, sondern auch einen Taproom, in dem sie ihre Biere nun am Ort des Entstehens auch direkt ausschenken können.
Etwa zehn Minuten Fußweg vom Grote Markt waren es, die mich hierher geführt haben, und nun stehe ich vor dem türkisfarben dekorierten Fenster. Brussels Beer Project, co-created 2015, steht hier unübersehbar, und dahinter sehe ich schon den Taproom. Linker Hand ein Metallregal mit Holzfässern, dahinter wiederum eine kleine Theke mit insgesamt 14 Zapfhähnen. Rechter Hand ein paar wackelig aussehende Holzregale mit Bierflaschen.
An der Theke geht es vorbei durch einen schmalen Gang, und dann öffnet sich eine große Halle, das Sudhaus. Ein schlichtes Edelstahlsudwerk, daneben die Gär- und Lagertanks, die Abfüllgeräte. Alles steht mehr oder weniger offen herum, und es wirkt, als könne man die gesamte Architektur mit recht wenig Aufwand an geänderte Herstellungsprozesse anpassen. Nichts ist festgemauert oder dauerhaft installiert, überall können Verbindungen und Verankerungen gelöst und geändert werden.
Direkt neben der Brauerei beginnt der Verkostungsbereich. Einfache, große Tische mit ebenso einfachen Stühlen stehen in der Halle herum. Um Gemütlichkeit geht es nicht, die entsteht durch die Gespräche mit den Tischnachbarn, nicht durch die Einrichtung. Man holt sich vorne an der Theke sein Bier, oder gleich mehrere, schlendert nach hinten und setzt sich an einen der Tische. Mit Panorama-Blick auf das Sudwerk.
Einer der Brauer hantiert noch herum, räumt auf, putzt, spritzt den Boden mit Wasser ab, aber nach einer Weile kehrt Ruhe ein. Der letzte Handgriff gilt der Absperrung. Routiniert wird ein langes Band quer durch die Halle gezogen. Man kann nun zwar immer noch die gesamte Brauerei einsehen, aber nicht mehr zwischen den Installationen herumlaufen und Unfug anrichten.
Mit Blick auf die Lagertanks genieße ich meine Biere. Kleine Kostproben, 100 ml nur, so dass ich mehr als nur ein oder zwei Gläser trinken kann.
Ich beginne mit dem Eternity Cucumber and Juniper Gin Sour, einem Bier mit Gurken und Wacholder, leicht sauer und durch den Wacholder auch knochentrocken, adstringierend bitter sogar. 4,1% nur, sehr leicht also. Schmeckt spannend, wahrscheinlich könnte ich sogar einen halben Liter davon trinken, allerdings wäre es dann wohl aber auch genug von dieser Aromen- und Geschmacksintensität.
Dann das Red My Lips, ein Belgian Session. Soll heißen, das Bier enthält die ganze komplexe Aromatik, die die typischen belgischen Hefen zu bieten haben. Phenole, Ester, alles ist drin. Das Ganze aber bei gerade einmal 4,7% Alkohol, also noch gut trinkbar. Gerne ebenfalls in etwas größerer Menge.
Das folgende Bier ist ein Experiment, jedenfalls lässt sein Name darauf schließen: EXP 0039. Ein American India Pale Ale mit 6,3%. Kräftige Hopfenaromen, die aber trotz des Hinweises auf die amerikanische Richtung dieses Biers eher ins Erdige, Harzige tendieren. Fruchtige Aromen sind zwar spürbar, aber nicht so dominant. Trotzdem ein sehr schönes Bier, das auch mit seinem Malzkörper und der kräftigen, fast schon kupfernen Farbe überzeugen kann.
Das vierte Bier schließlich ist nur noch für den schluckweisen Genuss, auf keinen Fall, um einen halben Liter davon zu trinken. Night Drift, nach Angaben der Brauerei ein Double Chocolate Salted Caramel Imperial Stout mit 9,9% Alkohol. Kräftige Schokoladenaromen finde ich, ebenso etwas Lakritze. Caramel und Salz sind auch zu spüren, aber nur dezent im Hintergrund. Die Brauer haben der Versuchung widerstanden, von allem etwas zu viel zu nehmen, sondern haben trotz der Vielfalt an Zutaten noch ein gutes Maß an Ausgewogenheit erreicht. Ein eindrucksvolles Bier, aber auch eins, bei dem 100 ml, höchstens 200 ml das Maß aller Dinge sind. Alles darüber hinaus wäre genauso ermüdend, sättigend, vielleicht sogar Übelkeit aus Überdruss erregend wie eine Drei-Liter-Schüssel Wackelpudding für eine Person allein. Zu viel des Guten.
Aus dem winzigen Probierglas aber prima – eine spannende und gute Erfahrung.
Das Publikum ist bunt gemischt. Vorwiegend junge Leute, Studenten wohl meistens, aber auch Personen im mittleren Alter, und an einem Tisch sitzt eine ganze Familie, mit Kindern und Oma und Opa. Niemand wirkt deplatziert oder wird scheel angekuckt. Wer Bier mag und mit allen Sinnen genießt, ist in Belgien immer und überall willkommen.
Ein ganz neuer, ganz ungewöhnlicher Aspekt belgischer Bierkultur, also. Ein kleiner Schuss Hipstertum in der eher barocken belgischen Bierwelt. Sehr schön. Brussels Beer Project.
Einen Besuch wert!
Der Taproom des Brussels Beer Project ist donnerstags bis sonnabends von 14:00 bis 22:00 Uhr geöffnet; zum Teil findet parallel zu den Öffnungszeiten auch Brauereibetrieb statt. Die Biere können auch in Flaschen erworben und mitgenommen werden. Zu erreichen ist die Brauerei in etwa zehn Minuten zu Fuß vom Grote Markt in der Mitte der Stadt, gerne aber auch mit der Stadtbahn, Linien 51 und 82, Haltestelle Vlaamsepoort, gerade um die Ecke neben der Brauerei.
Brussels Beer Project
Rue Antoine Dansaert 188
1000 Bruxelles
Belgien
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