Eine winzige Dorfbrauerei, weit weg vom Trubel der Großstadt. Ein kleines, unscheinbares Bürgerhaus, klein und unauffällig der Eingang, und dahinter eine Gaststube, in der die Zeit vor vielen, wirklich vielen Jahrzehnten stehengeblieben zu sein scheint. Kaum ein Tourist scheint hier je den Fuß über die Schwelle gesetzt zu haben, stattdessen sitzen hier die Stammgäste, die immer schon hier gesessen haben und wohl auch für immer hier sitzen werden. Irgendwo im Nirgendwo.
Doch halt, irgendetwas ist doch falsch an diesem Bild der kleinen Pivovar U Bulovky…
Sind wir nicht eben erst, zwei Minuten von hier, aus der Straßenbahn ausgestiegen, nach gerade einmal zwanzig Minuten Fahrt vom Prager Wenzelsplatz? Das hier ist doch noch Hauptstadt, ist doch noch Prager Stadtgebiet, oder etwa nicht?
Der Stadtbezirk Prag 8, Libeň, ist in der Tat gerade einmal vier Kilometer Luftlinie von der Prager Altstadt entfernt, doch es scheint eine andere Welt zu sein, in die wir hier gerade eingetaucht sind. Keine Hektik und kein Touristenrummel mehr, keine buntgekleideten Junggesellen- und Junggesellinnen-Abschiede, keine grölenden Horden von Besaufskis, keine Gruppen von kamerabewaffneten Asiaten, Russen oder Arabern. Der Straßenbahnwagen war eben fast leer, und ebenso leer ist der Bürgersteig, der uns zu unserer kleinen Brauerei führt.
Rasch sind wir zweihundert Meter die Bulovka-Straße hinuntergelaufen, stehen vor der altrosa gestrichenen Fassade und drücken die kleine Holztür auf. Die Schankstube ist nicht besonders groß und von auffallender Schlichtheit. Die Wände zwei Meter hoch mit dunklem Holz verkleidet, die Wand darüber und die Decke in messingfarbenem getupftem Dekor. Die indirekte Beleuchtung, die hinter den Holzverkleidungen installiert ist, spendet nur wenig Helligkeit, und durch die Milchglasfenster dringt auch von außen nur wenig Licht ein. Auf dem simplen Fliesenboden stehen ganz einfache Holzstühle und Holztische, auch sie vorwiegend aus dunklerem Holz. Der einzige Schmuck, die einzige Dekoration in diesem Raum sind kleine Emaille-Tafeln mit Bierreklame und mehr oder weniger unterhaltsamen Sprüchen rund ums Bier – und die kleine, kupferne Brauerei, die, ganz in die Ecke gezwängt, hinten im Raum steht.
Es ist nicht viel los. An einem der Tische sitzen zwei junge Männer beim Bier, der kleine Zettel an ihrem Tisch weist eine beachtlich lange Strichliste auf – schon einige Halbliterkrüge sind darauf vermerkt.
An einem anderen Tisch ein junger Mann, schmal, noch ganz jugendlich wirkend; neben ihm eine etwas ältere, deutlich robustere Frau. Auch die beiden sitzen wohl schon eine Weile hier, haben ebenfalls schon einige Halbliter-Striche auf dem Zettelchen.
Hinten in der Ecke sitzt die junge Kellnerin und spielt gelangweilt mit ihrem Mobiltelefon, das einzige Element hier im Schankraum, das an die Neuzeit erinnert. Alles andere sieht so aus, als sei es seit fünfzig Jahren unverändert.
Als wir uns setzen, unterbricht sie ihr Spiel, bringt uns die Speisekarte und deutet auf die kleine Kreidetafel. Drei Biere hätte sie anzubieten, Helles, Dunkles und Weizen. Bezeichnend, dass es ihr gar nicht in den Sinn kommt, dass wir vielleicht nach anderen Getränken hätten fragen können – nichts liegt ihr ferner, als dieser Gedanke. Aber warum auch nicht – wir sind schließlich in Tschechien.
Wir bestellen uns ein Helles, also ein Ležák 12°, und ein Weizen, laut Kreidetafel Weissbier genannt, und, autsch!, outen uns sofort als Touristen, als wir hinzufügen: „Aber kleine, bitte!“ 0,3 Liter nur – keinem Tschechen käme das in den Sinn, und tatsächlich, das Pärchen am Nachbartisch schaut auf und zu uns herüber. Getuschelt wird zwar nicht, aber es wurde registriert: Da haben zwei Leute kleine Biere bestellt!
Das Helle erweist sich als ausgezeichnetes Alltagsbier. Nur gering gespundet, mit einem ganz dezenten Hauch buttrigen Diacetyls, ohne das es in Tschechien offensichtlich nicht geht. Malzig und rund, aber nicht zu mastig, nicht zu sättigend. Wunderbar süffig. Egal, ob es eine kleines oder ein großes Glas ist – die Versuchung ist da, es mit ein oder zwei kräftigen Zügen zu leeren und schnell ein neues zu bestellen. Wunderbar.
Auch das Weissbier macht zunächst einen sehr guten Eindruck – ein intensives Bananenaroma macht Appetit auf den ersten Schluck. Aber ach, schon nach kurzer Zeit verwandelt sich das zunächst so attraktive Aroma, wird chemisch, erinnert gar an Aceton, also an Nagellackentferner. Je wärmer das Bier wird, je länger es steht, desto intensiver wird dieser Geruch und macht das Bier, leider, leider, irgendwann sogar untrinkbar. Seltsam. Und schade!
Die Salatteller, die wir uns dazu bestellen, outen uns erneut als Touristen. Welcher echte Tscheche würde in einer Brauerei einen Salatteller bestellen? Wo doch Schweinshaxen und Rippchen locken und viel besser zum süffigen Bier passen… Aber die Salatteller entpuppen sich dann doch als typisch tschechisch: Der eine ist garniert mit ein paar panierten und gebackenen Käsestücken, der andere mit vier kleinen Schweineschnitzeln in kräftiger Panade. Auf dass es nicht gar so gesund aussieht…
Wir probieren noch das Dunkle, das Tmavý Ležák 14°. Kräftig malzig, nur ganz fein und dezent röstig und mit einer ordentlichen Restsüße – so, wie ein klassisches böhmisches Dunkles halt schmeckt. Süffig und nahrhaft. Wie das Helle auch, ein Bier für den großen Schluck. Ein Bier, um den ganzen Tag daran hängen zu bleiben. Den Tag hier in der Gaststube zu verbringen. Draußen geht die Sonne unter, es wird dunkel, der Sonntag neigt sich langsam seinem Ende zu. Völlig problemlos hätte man hier schon seit dem Frühschoppen sitzen können, einfach nur sitzen, ein wenig erzählen, eine „Kleinigkeit“ essen und ein Bier nach dem anderen trinken. Den Tag verstreichen lassen. Fernab vom Trubel der Großstadt.
Eine Brauerei und ein Bier, um dann, wenn man am Montagmorgen gefragt wird „Na, was hast Du denn am Sonntag Spannendes gemacht?“, antworten zu können: „Ach, eigentlich gar nichts!“ Und tief im Innern spürt man, dass das gelogen ist. Gar nichts? Nein, ganz im Gegenteil, es war viel. Sehr viel sogar. Es war ein Tag in einer anderen Welt. Ein Tag ganz bei sich. Und seinem Bier.
Manchmal bedarf es wirklich wenig, um zufrieden zu sein.
Die Pivovar U Bulovky ist täglich ab 11:00 Uhr, sonnabends und sonntags ab 12:00 Uhr durchgehend geöffnet; kein Ruhetag. Zu erreichen ist sie ganz komfortabel mit der Straßenbahnlinie 3, Haltestelle Bulovka, in etwa zwanzig Minuten von der Innenstadt. Von der Straßenbahn bis zur Brauerei sind es gerade einmal zwei Minuten zu Fuß.
Pivovar U Bulovky
Bulovka 17
180 00 Praha
Tschechien
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