Irgendwie hat es diese wunderbare kleine Bierbar im Herzen der Metzer Altstadt nicht verdient, nur so schlecht dokumentiert zu werden – Asche über mein Haupt! Aber vor lauter Spaß an diesem Abend habe ich das Fotografieren fast völlig vergessen.
Ich bummele durch die Gassen der Altstadt, und wie ich so bummele und bummele, taucht vor mir ein langgestreckter Bogengang auf, und unter diesen Arkaden Tische und Stühle. Voll besetzt, was vielleicht jetzt gerade, mitten im Advent, nicht wirklich selbstverständlich ist. Zwar bieten die Arkaden etwas Schutz vor dem ekligen Nieselregen, aber die Temperaturen von gerade einmal ganz knapp über dem Gefrierpunkt werden davon auch nicht besser.
Neugierig trete ich näher. Eine kleine Bar scheint es zu sein: Aux Paraiges. Und sie ist rappelvoll. Nein, sie ist sogar übervoll, denn eine Menschenschlange windet sich von der Theke durch die ganze kleine Bar bis zum Eingang und durch diesen hindurch – die letzten in der Reihe stehen schon außerhalb, unter dem Bogengang.
Fast wie einem spätsozialistischen Reflex folgend stelle ich mich erst einmal an – schlecht kann das Bierangebot hier nicht sein, wenn es so voll ist, und frage meinen Vordermann höflich, ob dies, erstens, auch wirklich das Ende der Schlange zur Theke sei, und warum, zweitens, diese denn gar so lang sei. In gebrochenem Englisch erklärt er mir, dass, erstens, ja, dies das Ende der Schlange sei, ich mir aber keine Sorgen zu machen brauche, denn zum einen ginge es vorne an der Theke recht rasch, und zum anderen sei ich ja schon gar nicht mehr der Letzte – er wedelt mit der Hand unbestimmt in Richtung Straße, und siehe da: Hinter mir stehen mittlerweile schon drei weitere junge Leute.
Und zweitens, so fährt er fort, sei der Grund für die lange Schlange die Happy Hour. Die gebe es zwar jeden Tag zwischen 18:30 und 21.00 Uhr, 365 Tage im Jahr, und so sollte man meinen, die Leute hätten sich daran gewöhnt und der Effekt würde sich abnutzen, aber weit gefehlt. Wie ich sicherlich bemerken würde, könne von einem Gewöhnungseffekt nun ganz und gar keine Rede sein, und es sähe in der Tat jeden Tag so aus wie heute: Eine Schlange bis auf die Straße.
Mittlerweile sind wir schon bis ins Innere der Bar vorgerückt, es ist gemütlich und warm, und langsam, in Trippelschritten, geht es immer weiter auf die Bar zu. Zeit, das Getränkeangebot zu studieren. Langsam schiebe ich mich an zwei schwarzen Brettern entlang, die eine Reihe interessanter belgischer Biere anbieten. Nichts wirklich Exotisches, aber durchweg leckere Biere, die tolle Geschmackserlebnisse versprechen.
Ich treffe meine Wahl der Jahreszeit entsprechend: Das Delirium de Noël möge es bitte sein, erkläre ich dem Barmann, denn ich bin mittlerweile tatsächlich schon bis an die Theke vorgerückt. Aber wegen der 10% Alkohol bitte nur ein kleines Glas. Der Barmann nickt, nimmt das abgezählte Geld entgegen und zapft mir ein Halbliterglas bis zum Rand voll. „Happy Hour! Ein Großes für den Preis eines Kleinen – viel Spaß!“, wünscht er mir noch und wendet sich dem nächsten Gast zu. Die drei jungen Leute hinter mir feixen.
Da stehe ich nun mit meinem Halbliterglas. Das Glas ist für den großen Durst gedacht, der Inhalt eher nicht. Etwas ratlos sehe ich mich um. Natürlich ist nicht nur die Schlange lang, sondern es sind auch alle Tische besetzt. Doch Glück hat nur der Tüchtige, in diesem Falle der unermüdliche Bierreisende. Direkt vor mir steht eine Gruppe auf, und in Windeseile habe ich mir einen Platz gesichert. Die drei jungen Leute aus der Schlange hinter mir ebenfalls, und mit großem Hallo machen wir uns nun daran, die Halblitergläser mit dem hochprozentigen Inhalt langsam und bedächtig zu leeren. Herrlicher Genuss in winzigen Schlucken. Ein Glas reicht für den Abend.
Aux Paraiges, der Name der Bar, bezieht sich auf die alten Patrizierfamilien der Stadt Metz, die Paraiges. Die Familienverbände der Paraiges formten über die Jahrhunderte hinweg eine Oligarchie, die alle großen Wirtschaftszweige der Stadt fest in ihren Händen hielt und die Rechte von Generation zu Generation weitervererbte, so lerne ich in den folgenden Gesprächen.
Jetzt sei dies alles aber nur noch Geschichte, und mit dem Namen Paraiges würden die Metzer eigentlich nur noch diese wunderbare Bar verbinden. Zwanzig Fassbiere gebe es hier, und unendliche viele Flaschenbiere. Wenn ich wolle, könne ich mich durch die gesamte Bierkultur Belgiens trinken, heißt es weiter.
Für heute habe ich mit dem Delirium de Noël zumindest schon mal einen guten Anfang gemacht. Rubinrot steht es in meinem Glas, ein wenig unpassend, so als Pint serviert. Seine Aromakomplexität, seine fruchtig-estrigen Komponenten, die fein moussierende Spritzigkeit und die alkoholische Wärme, alles ist zusammengequetscht und hinter dickes Glas gesperrt. Wie eine Ballerina in Springerstiefeln, so kommt mir mein Bier vor. Aber als das Glas halb geleert ist, sich das Bier langsam erwärmt hat und weitere Aromen freisetzt und diese nun auch den Raum haben, sich in der oberen Glashälfte zu entfalten, wird der Genuss immer größer, und ich bin von meinem Bier begeistert.
Genauso, wie von der Atmosphäre in der Bar. Es ist packevoll, es herrscht eine fröhliche und ausgelassene Stimmung. Ein gewaltiges Stimmengewirr, und das starke, belgische Bier fließt in Strömen. Wie schön, dass das riesige Bierglas mir einen guten Grund gibt, hier noch lange sitzen zu bleiben, mich von der Fröhlichkeit anstecken zu lassen und einen wunderbaren Abend zu genießen.
Die Bar Aux Paraiges ist täglich ab 11:00 Uhr durchgehend bis mindestens Mitternacht, meist aber länger, geöffnet; kein Ruhetag. Sie liegt mitten in der Altstadt, etwa eine Viertelstunde Fußweg vom Hauptbahnhof entfernt.
Aux Paraiges
27 Rue du Change
57000 Metz
Frankreich
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