Wie gewaltige Ventile mit unterschiedlich weit geöffneten Klappen stehen vier Milchbottiche in einer Reihe nebeneinander. Gewaltige Basspfeifen einer Orgel, auf der das Aromaspiel des Hopfens beginnen soll. Der Besucher horcht aufmerksam, ob er einen unendlichen tiefen Bass hören kann, der dem Durchmesser dieser Orgelpfeifen gerecht würde. Aber es herrscht Stille. Absolute Ruhe. Lediglich aus dem Nachbarraum hört man Julia Wesseloh mit Papieren rascheln. Büroarbeit.
Noch kein einziger Liter Bier ist in diesen ehemaligen Milchbottichen gebraut worden, aber es kann nur noch wenige Wochen dauern. Ein paar Handgriffe noch. Eine Verrohrung hier, eine Verschraubung dort. Der Kühlraum muss noch aufgebaut werden; die Bauteile lehnen an der Wand der großen Halle. Auch der Flaschenfüller ist noch eingepackt. Aber die wesentlichen Arbeiten sind erledigt. Endlich.
Lange hatte es gedauert. Die Pläne waren da, Rezepte auch. Und der Erfolg. Die ersten Biere der Kehrwieder Kreativbrauerei waren in Dänemark im Fanø Bryghus entstanden, später wurde dann in Deutschland wandergebraut. Mit dem Prototyp schlug das Brot-und-Butter-Bier der Kehrwieder wie eine Bombe ein. So schnell konnte gar nicht gebraut werden, wie sich das Bier verkaufte. Parallel dazu entstand die SHIPA-Serie – Single Hop India Pale Ale. Immer wieder mit einer neuen Hopfensorte. Amarillo, Cascade, Simcoe, Polaris, Hüll Melon, Equinox, Ella, Mandarina – ein Parforce-Ritt durch die Welt der neuen Hopfensorten. Jedes Bier für sich ein Erlebnis.
Und dann waren da noch Sondersude. Feuchter Traum, ein Bier mit frisch gepflücktem, grünem Hopfen. Der Senatsbock, die Wiederbelebung eines alten Hamburger Biers, gemeinsam mit vier anderen Hamburger Brauereien. Das Moll, ebenfalls eine Wiederbelebung eines alten, ausgestorben scheinenden Stils, gemeinsam mit Alexander Himburg vom BrauKunstKeller. Und, und, und… Ideen über Ideen. Und so wenig Zeit!
Gleichzeitig wollte Oliver Wesseloh sich eine eigene Brauerei aufbauen. Eine geeignete Halle musste gefunden werden, Braukessel, ‑pfannen und ‑bottiche beschafft werden. Beides für sich – Bier brauen und Brauerei planen – jeweils genug Arbeit, um den ganzen Tag beschäftigt zu sein. Das „Pech“ wollte es, und hier sind die Anführungszeichen wirklich einmal angebracht, dass Oliver 2013 die Weltmeisterschaft der Biersommeliers gewann. Genial, eigentlich, denn fortan reiste er um die Welt, durfte mal hier, mal dort für die Idee wirklich guten Biers werben. Fernsehen, Radio, Zeitungen, Internet – es gab kein Medium, dass sich nicht für ihn interessiert hätte.
Aber der Fortschritt mit der eigenen Brauerei verzögerte sich. Erst musste wieder ein Fernsehtermin absolviert, dann ein Zeitungsinterview gegeben werden, dann musste – natürlich! – auch wieder gebraut werden. In Dänemark oder sonstwo. Nicht auszudenken, wenn das Bier plötzlich knapp geworden wäre, der Prototyp auf einmal „aus!“ gewesen wäre.
Jetzt aber, am 5. Juni 2015, jetzt steht die Brauerei endlich. Man hat eine Halle gefunden, am äußersten Stadtrand Hamburgs, schon richtig ländliche Lage. Hundert Meter weiter grasen Kühe und Pferde auf der Weide. Die Anlage steht, und ungeduldig öffnen die ehemaligen Milchbottiche ihre Mäuler und warten auf den ersten richtigen Sud.
Fünf Hektoliter sollen hier pro Sud entstehen. Die Tanks für Gärung und Lagerung stehen ebenfalls schon bereit. Für die Flaschenreinigung steht ein schon historischer Flaschenwäscher bereit, der auch tatsächlich genutzt werden und nicht nur zur Dekoration benutzt werden soll. Der Flaschenfüller ist dann schon wieder etwas moderner.
Und vorne, in der Ecke, steht eine Theke mit Hausbrauer-Utensilien. Ein Einkochtopf, ein 50-l-Braumeister, Schubladen mit verschiedenen Malzsorten. Hier finden derzeit schon Brauseminare statt. Viele Liter Bier hat die Halle also schon entstehen sehen – aber noch nicht einen einzigen kommerziellen, auf der neuen Sudanlage.
„Spätestens im Spätsommer soll es soweit sein“, erzählt Praktikant Christian, der mich durch die Brauerei geführt hat, als wir wieder im Vorraum der Brauerei stehen. „Und es ist höchste Zeit“, ergänzt Julia. „Wir sind alle schon ungeduldig.“
„Am meisten wohl die Kunden…“ füge ich in Gedanken hinzu und sehe mich noch einmal im zukünftigen Schalander um. Exotische Bierflaschen stehen im Regal, ein kleines Stillleben aus Kronkorken und Teelichtern auf dem Tisch. Auf der Fensterbank das Modell einer Kogge. Kein Laut ist zu hören. Da ist sie wieder – diese Ruhe. Die Ruhe vor dem Sturm? Dem Ansturm der Bierfans, wenn endlich der erste Sud gefahren ist?
Die Kehrwieder Kreativbrauerei befindet sich in Sinstorf am Südrand Hamburgs, zwei Minuten mit dem Auto von der Autobahnabfahrt A7 – Marmstorf entfernt in einem Gewerbegebiet. Zu Beginn des Sinstorfer Kirchwegs gleich links in die Einfahrt, und dann ist an der ersten großen Halle bereits alles ausgeschildert. Mit der Buslinie 143 (Haltestelle Hirschkäferweg) geht es genauso komfortabel, dauert aber deutlich länger. Feste Öffnungszeiten gibt es noch nicht – die Brauerei ist noch nicht in Betrieb.
Kehrwieder Kreativbrauerei
Sinsdorfer Kirchweg 74 – 92
21 077 Hamburg
Hamburg
Deutschland
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