Ein unauffälliges Buch. Kaum größer als ein Taschenbuch, aber mit festem Kartoneinband. Dezent ockergelb. Das einzige, was sofort ins Auge sticht, ist der erste Teil des Titels: BIER.
In schwarzen Majuskeln. Mit Punkt am Ende. Der Name des Autors, der erste Untertitel und der zweite Untertitel – das alles ist zurückhaltend in brauner Farbe auf dem ockergelben Untergrund so in den Hintergrund gerückt, dass das Auge vom Blickfang BIER. unverzüglich zum zentral platzierten Bild wandert, einem beleibten Herrn in altmodischer Kleidung. Ein Mönch vielleicht, jedenfalls sieht seine kuttenartige Bekleidung so aus. Zufrieden sitzt er im Sessel, die Hände auf dem gewaltigen Bauch gefaltet. Eine Zigarette im Mundwinkel, vor sich auf dem Tisch einen angeschnittenen Laib Brot, ein paar Scheiben Fleisch, Radieschen, Zwiebeln und … einen großen Krug dunklen Biers. Purer Genuss nach einem arbeitsreichen Tag?
„BIER. Was die Welt im Innersten zusammenhält. Von der Menschwerdung, zügellosem Weiberzechen, sozialdemokratischem Saft und alltäglichem Durst.“ So lautet der vollständige Titel des Buchs. Ein Schlagwort, zwei Untertitel.
Ich blättere es einmal geschwind mit dem Daumen durch. Einfaches, nicht gebleichtes Papier. Ein paar Illustrationen hier und da. Alles in schwarz-weiß. Doch halt, kurz vor Ende des Buchs ein wenig unmotiviert vier Seiten auf Glanzpapier, vollfarbig: Ein paar Etiketten und Bierdeckel. Ohne weitere Erläuterung, einfach nur so als farbige Auflockerung des ansonsten sehr schlichten Buchs.
Also eher etwas für die konzentrierte Lektüre, weniger für den entspannt künstlerischen Genuss. Nichts für’s Auge.
Und worum geht’s? Um nicht weniger als eine alltagsphilosophische Kulturgeschichte des Biers. Auf etwas über 200 Seiten nimmt der Autor seine Leser mit auf eine Reise durch die Zeit. Vom Altertum bis in die Neuzeit beleuchtet er die Rolle des Biers, manchmal auch anderer, ähnlicher berauschender Getränke, im Alltag der Menschen. Bier als Nahrung und Medizin. Bier im Zentrum von Ritualen und Trinkkulturen. Bier in der Politik – als Mittel zur Politik, als zungenlösender Trunk beim Politisieren, als Objekt der Politik, als Machtinstrument. Und natürlich: Bier als Rauschmittel, als legale Droge.
Jacob Blume beschreibt ausgewogen und abwägend, philosophiert hier ein bisschen, beschränkt sich dort auf Faktendarstellungen. Mal wiederholt er die alten Geschichten, die offensichtlich in keinem Bierbuch fehlen dürfen (der Ursprung des Biers in Mesopotamien), mal wartet er mit neuen, noch nicht so bekannten Anekdoten und Betrachtungen auf (die Gelage der Frauen in Skandinavien angesichts einer Geburt, der „Frauenkindbiertrunk“). Sein Stil liest sich angenehm, und er führt seine zahlreichen Quellen, die er mit Fußnoten kennzeichnet, erst am Ende des Buchs auf, stört so den Lesefluss nicht.
Lediglich der Anhang enttäuscht ein wenig. Ob das Bierlexikon wirklich sein musste? Eine willkürliche Auswahl von Begriffen, vieles Wichtige fehlt, anderes ist zu kurz und damit fast schon verfälschend beschrieben: „Maibock. Bock, im Mai gebraut.“ Falsch. Gebraut wird er eher im Winter, damit er im Mai trinkfertig ist. Und überhaupt, warum wird dieses Stichwort aufgeführt, wenn es mehr als diese lapidare Feststellung nicht zu sagen gibt? Ähnlich überflüssig die Liste der Biersorten in Deutschland und die Doppelseite mit Bieradressen, von denen zahlreiche vermutlich kurz nach Drucklegung des Buchs schon wieder veraltet waren.
Sehr schön und zukunftsweisend, geradezu visionär hingegen das kurze, nur zwei Seiten umfassende Kapitel „Das Bier muss einen Namen haben“. Ein paar Betrachtungen über sprechende Namen. Plastische Spitznamen in der Vergangenheit, wie „Saure Maidt“, „Spülekanne“ oder „O Jammer“, eher moderne Bezeichnungen wie „Bölkstoff“ oder „Schluckspecht“, und ein Blick über den Atlantik, wo schon Phantasiebezeichnungen wie „Titanic Wreckage“ oder „Moonraker“ üblich sind (das Buch ist im Jahr 2000 erschienen). Heute erscheinen uns diese Biernamen weit weniger originell, als sie es seinerzeit waren – Kunststück angesichts solcher Merkwürdigkeiten wie „Boom Shakalaka“, „Imperial Mexican Biscotti Cake Break Imperial Stout“ oder „No Sky in the Clouds Berliner with Cloudberries“…
In der zweiten Auflage (2009) ist das Buch für wohlfeile 8,99 EUR erhältlich – und bei so kleinem Geld darf man dann auch nicht zu enttäuscht sein, wenn die Bindung des Buches nach der ersten ausgiebigen Lektüre bereits versagt und sich die Seiten blockweise vom Rücken lösen.
Jacob Blume
Bier. Was die Welt im Innersten zusammenhält
Verlag die Werkstatt GmbH
Göttingen, 2000
ISBN 3-89533-278-X
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