Manchmal muss man nicht lange nach exotischen Beschreibungen suchen oder auf eine exaltierte Wortwahl zurückgreifen, um zu beschreiben, was man vorfindet. Gelegentlich reichen einfache, klare Worte. „Feinkostladen“, zum Beispiel, oder „gutes Essen“. Und würde unsere Gesellschaft nicht mit Lob immer gleich so übertrieben und verschwenderisch umgehen und alles in bester schlimmster amerikanischer Tradition schon „outstanding“ finden, wenn das Essen ausnahmsweise mal nicht angebrannt ist, dann wäre mit diesen Begriffen eigentlich schon alles gesagt, wenn es um das Verde 1080 in der Wiener Josefstadt geht.
Einst ein Reformhaus, entwickelte sich das kleine Lädchen in der Josefstädter Straße zunächst zu einem respektablen Feinkostladen. Fein – Kost – Laden, also ein Geschäft, in dem es im Gegensatz zum Discounter feine Kost gibt. Leider mittlerweile ein inflationär gebrauchter Begriff, in Zeiten, in denen das aus Pressfleisch zusammengesetzte Schinkenstück ja schon als Delikatesse aus der Gourmet-Edition angepriesen wird. Feinkost im Verde 1080 aber nicht nur zum Mitnehmen, sondern auch zum Vor-Ort-Essen. Als Mittagstisch oder als kleiner Imbiss zwischendurch.
Dann kamen – und das ist der Grund, warum wir jetzt davor stehen – leckere und besondere Biere dazu. Keine Allerweltspilsener, österreichische Märzen oder Fernsehbiere, sondern kreative Sorten, die nicht zum raschen Wegzischen, sondern zum bewussten Genuss auffordern. Zum Genuss gemeinsam mit den eben schon erwähnten Speisen.
Wir schauen noch einmal auf die grüne Markise, über der es noch einmal bekräftigt wird: „…. gutes essen“ steht dort, und nun gehen wir hinein.
Groß ist das Lädchen nicht, und doch erinnert es auf den wenigen Quadratmetern an eine wuselige Markthalle. Linker Hand eine kleine Theke mit Salaten, links daneben auf einem kleinen Tischchen, etwas beengt, die Kassa, versteckt hinter großen Gläsern, aus denen man Bonbons kaufen kann. Einzeln. Leckere, feine Bonbons zum Stückpreis von 50 ct. Hinter der Theke, an der Rückwand, Regale, gefüllt mit Lebensmitteln. Zwischen Theke und Eingang und an den Wänden gegenüber der Theke ebenfalls Regale mit Leckereien aus aller Welt. Und nach hinten sieht man in eine kleine Küche hinein.
Mittendrin stehen eine Handvoll kleine Tische, an denen die Gäste, wenn sie viel Glück haben, sogar noch einen Stehplatz finden können.
Und überall zwischendrin, wo noch ein Meter Platz war, stehen Kühlschränke, randvoll mit Bier. Exotische Biere, aufwändig verpackte Biere, Biere in großen Flaschen, Biere in kleinen Flaschen. Trappistenbiere, holzfassgelagerte Biere, Bockbiere. Amerikanische Biere, belgische, österreichische, italienische, tschechische, deutsche. Und nicht nur in den Kühlschränken, sondern auch in den Regalen: Auf jedem freien Quadratzentimeter stehen Bierflaschen.
Für einen Moment stehen wir unentschlossen im Gewühl. Es ist voll, es ist eng, es ist warm. Aber es ist auch lustig. Die Menschen lachen, reißen Witze, albern mit dem jungen Mann herum, der versucht, in diesem Gedränge zu bedienen. Plötzlich werden direkt vor uns zwei Stehplätze an einem Tisch frei, und Sekundenbruchteile später haben wir sie uns gesichert.
Jetzt kommt die Herausforderung: Wie zur Theke gelangen und etwas zum essen und ein leckeres Bier aussuchen, ohne dass der Platz sofort wieder verloren geht, von jemand anderem rasch besetzt wird? Ich mache einen langen Hals und stelle fest, dass ich zumindest einen der Kühlschränke im Blick habe und schon einmal nach einem guten Bier Ausschau halten kann. Meine holde Ehefrau äugt stattdessen in die Glastheke und entdeckt Salate und kleine Vorspeisen.
Na bitte. Als der junge Mann sich an unserem Tisch vorbeischlängelt, können wir ihm schon unsere Bestellung zuraunen: „Das Samichlaus Barrique, bitte, mit zwei Gläsern, und dann stell uns mal einen großen gemischten Vorspeisenteller zusammen, einmal quer durch die kleine Kühltheke!“
Blitzschnell steht die Bierflasche mit den beiden Gläsern vor uns, und auch der Vorspeisenteller lässt nicht lange auf sich warten. Vorsichtig gießen wir uns die ersten Schlucke ein. Das Samichlaus, einst bei Hürlimann in der Schweiz, seit einigen Jahren nun aber in der Schlossbrauerei Eggenberg in Österreich hergestellt, galt lange Zeit als stärkstes Lagerbier der Welt. Es wurde nur einmal im Jahr gebraut, dann ein ganzes Jahr gelagert und am Nikolaustag abgefüllt. Daher auch der Name – Samichlaus. Sankt Nikolaus. Seine 14% Alkohol sind auch heute noch eine Ansage, auch wenn einige kleine Kreativbrauer schon längst ganz andere Alkoholrekorde zusammenbrauen.
Die Flasche, die wir heute vor uns stehen haben, ist aber eine ganz besondere. Sie trägt nicht das dunkelbraune Etikett des normalen Samichlaus (soweit man beim Samichlaus überhaupt von normal sprechen kann), sondern ein leuchtend gelbes. Dieses Samichlaus ist im Barrique-Fass ausgebaut worden und wartet zusätzlich zu den schweren und malzigen Noten des Originals noch mit feinen, holzigen Aromakomponenten auf. Ein wunderbares Bier, das wir in winzigen Schlucken genussvoll verkosten.
Der leckere Vorspeisenteller verschwindet fast im Glanze dieses Biers, und wir essen ihn fast nur nebenbei. Was er eigentlich nicht verdient hat, denn auch er schmeckt ganz ausgezeichnet.
Aber jetzt und hier geben wir uns voll und ganz dem herrlichen Bier hin. Es ist erst früher Nachmittag, aber trotzdem ist jeder einzelne Schluck ein voller Genuss. Langsam zaubern uns die 14% eine feine Röte auf die Wangen, und wir sind uns einig: So unbeschwert kann man dieses Bier eigentlich nur hier, nur in Wien und in diesem Feinkostgeschäft genießen.
‘zig andere Biere ähnlicher Qualität könnten wir hier noch verkosten. Und dazu nicht nur Vorspeisenteller naschen. Das Verde 1080 ist für seine gewaltigen und ausgezeichneten Burger bekannt, aber es bietet auch jeden Tag aufs Neue besondere Spezialitäten an. Gelbe Linsensuppe, heute, beispielsweise. Klingt rustikal, ist aber fein. Oder die Meat Balls, die Fleischbällchen. Anderswo aus gemischten Hackfleischresten zusammengerollt, werden sie hier aus Rindfleisch vom Angus-Rind hergestellt und ganz besonders fein gewürzt. Und so gibt es jeden Tag etwas anderes zu entdecken.
Hier müsste man in der Nachbarschaft wohnen. Nicht nur, dass die Josefstadt einer der schöneren Bezirke Wiens ist, sondern eben auch, weil man dann an jedem Wochentag hier einlaufen, sich von den Leckereien überraschen lassen und immer wieder neue Biere dazu verkosten könnte. Viele, viele Monate lang täglich ein anderes. Aber man müsste natürlich auch täglich neu geduldig auf ein kleines Stehplätzchen warten, an das man sich quetschen kann.
Gesättigt und zufrieden verlassen wir das kleine Lädchen wieder. So viele Biere hätte es hier gegeben, aber die Vernunft hat gesiegt, wir haben uns am helllichten Tag auf eines beschränkt. Wir blicken noch einmal zurück: „…. gutes essen“ Zwei so einfache Worte, und im Fall des Verde 1080 sagen sie doch alles. Naja, fast, denn gutes Bier kommt ja auch noch hinzu.
Das Verde 1080 ist montags bis freitags von 10:00 bis 18:00 Uhr geöffnet; sonnabends und sonntags ist zu. Reservierungen sind nicht möglich, man muss auf sein Glück oder seine Geduld vertrauen. Zu erreichen ist es problemlos mit der Straßenbahn, die Linie 2 hält gerade zwei Häuser weiter.
Verde 1080
Josefstädter Straße 27
1080 Wien
Österreich
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