Die belgische Bierkultur ist wunderbar vielfältig. Viele hunderte von verschiedenen Bieren werden in diesem Land auf zum Teil bizarre Art und Weise gebraut, und es wird niemals langweilig werden, von einem typischen Biercafé ins nächste zu ziehen. Nicht ohne Grund ist die belgische Bierkultur unlängst in die Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen worden.
Und doch: Ab und an regen sich kritische Stimmen. Ob die belgische Bierszene nicht gelegentlich zu sehr auf sich selbst fokussiert sei, ob man die große Craftbierrevolution, die da draußen stattfindet, nicht vor lauter Bauchnabelschau verpassen würde?
Aber nein. Es gibt sie, die kleinen Brauereien und die kleinen Bars, die jenseits der belgischen Szene nach Besonderheiten suchen. Vielleicht übersieht man sie im Alltag einfach nur zu oft, weil es halt so viele wunderschöne, klassisch belgische Biercafés gibt.
Die Dynamo – Bar de Soif in Brüssel ist eine davon. Ein gutes Stück außerhalb der von Touristen überschwemmten Altstadt gelegen bietet sie an insgesamt achtzehn Zapfhähnen Spezialitäten jenseits der belgischen Klassik.
Bereits beim Betreten der von außen eigentlich unauffälligen Bar springen diese Zapfhähne sofort ins Auge: Gebürsteter Edelstahl, blitzsauber glänzend. V-förmig angeordnet, wie auch die ganze Bar sich wie ein V vor dem Besucher öffnet. Ich laufe genau auf den spitzen Winkel zu und kann mir aussuchen, ob ich in den linken oder den rechten Flügel abbiege.
Die Tische sind aus hellem Holz, in die Oberfläche sind Biernamen, -stile und -marken eingraviert. Über mir hängt … nein, keine schwarze Tafel, sondern eine riesige Holztafel mit achtzehn Holzleisten, in die jeweils weiße Schilder eingesteckt werden, die das aktuelle Angebot auflisten. Eine willkommene Abwechslung zum ewigen Einerlei der weißen Kreide auf schwarzem Grund.
Ich studiere die Liste und stutze. Dundulis, Apynys, Sakiskie – keiner dieser Brauereinamen sagt mir etwas, aber es klingt nach Litauen. „Wir hatten gerade ein Tap-Takeover“, lässt sich der junge Barmann vernehmen, der genau beobachtet hat, wie ich die Liste gelesen und meine Stirn gerunzelt habe. „Ganz viel von Sakiskie, und noch ein paar andere Biere aus Litauen.“
„Bist Du sauer, wenn ich mir trotzdem etwas Belgisches bestelle?“ frage ich ihn lachend und ordere ein Vermontoise Saison der Brauerei Blaugies. „Nee, natürlich nicht“, lacht er zurück und zapft mir ein kleines Glas.
Die Bar hat eigene Gläser mit eigenem Logo und umgeht so auf pfiffige Art den Druck, nach alter belgischer Tradition zu jedem Bier ein passendes Glas anbieten zu müssen. Ein neutrales, aber hübsches Bierglas.
Das Saison schmeckt mir gut. Kräftige Hefearomen, deutlich phenolisch, aber nicht zu dominierend, paaren sich mit kräftigen Hopfennoten und einer deutlichen Bittere. Eine recht ungewöhnliche Interpretation des Saison-Stils. Viel zu schnell habe ich das Glas alle und müsste mich jetzt eigentlich zum Gehen wenden. Ein einziges Bier habe ich mir nur zugestanden, ich muss morgen in aller Frühe raus.
Langsam gehe ich aus dem linken V-Flügel wieder zurück in Richtung Bar und bezahle mein Bier, da sehe ich hinter mir auf einem Brett am Fenster ein paar Bücher über das Brauen, unter anderem von Stan Hieronymus. Ich möchte ihm zeigen, wie weit seine Bücher gereist sind und mache ein rasches Foto. „Aha, Du braust auch?“, fragt der Barmann, und es kommt, wie es kommen muss. Ich bleibe an der Theke hängen, und wir verquasseln uns. Jeden ersten Mittwoch des Monats sei hier in der Bar ein Hobbybrauertreff, bei dem nicht nur Brüsseler Hobbybrauer willkommen seien, sondern selbstverständlich auch Gäste von überall her, erfahre ich. Man dürfe sogar sein eigenes Bier mitbringen zum Tauschen oder zum Verkosten. Also, wenn ich das nächste Mal in Brüssel sei, dann wohl hoffentlich an einem ersten Mittwoch, grinst der Barmann.
Während wir uns unterhalten, zapft er mir einen winzigen Probierschluck eines Black IPAs, des In The Dark We Live der Brauerei Tempest. Kräftig hopfig, leicht röstig, tiefschwarz – ein spannendes Bier. „Ein ganzes großes Glas könnte ich davon aber nicht trinken“, stelle ich fest. „Das wäre mir zu anstrengend. Das ist eher etwas zum Nippen, aber nicht gegen den Durst!“
„Naja“, schmunzelt der junge Mann. „Wenn Du ein Bier probieren möchtest, das definitiv nicht gegen den Durst ist, dann nimm doch dieses hier mal!“ Spricht’s und zapft ein weiteres, kleines Pröbchen.
Neugierig mustere ich das Glas und den rötlichen Schimmer des kleinen Schlucks. „Das ist aus Litauen, vom Tap-Takover. Aus der Sakiskie-Brauerei. Eine Gose, und zwar die Bloody Mary Gose. Es hat nur etwa dreieinhalb Prozent Alkohol.“ Vorsichtig koste ich eine Winzigkeit, und sofort belegen sich meine Zunge und mein Gaumen mit einem intensiven, kremigen und leicht salzigen Tomatenmark-Aroma. Kräftiges Umami spüre ich noch, bevor das Geschmacksempfinden ganz dicht macht. Nein, das ist von allem zu viel, das wäre definitiv kein Bier für mich. Ganz im Gegenteil, das geht ganz nahe an die Grenzen dessen, was selbst ich nicht mehr als Bier bezeichnen wollen würde.
„Liebe es oder hasse es“, heißt es. „Beim Tap-Takeover gab es ein paar wenige, die es richtig gemocht haben, aber die meisten haben die Nase gerümpft.“
„Na, das war dann quasi ein Rausschmeißer“, lache ich und wende mich nun endgültig zum Gehen. Noch einmal ein kurzer Blick zurück. Helle Farben, bunte Deko-Akzente, Überbleibsel vom Karneval vermutlich, eine nette Atmosphäre und eine große Auswahl von außerbelgischen, europäischen Bieren. Die gerade erst zwei Jahre alte Bar hat mich überzeugt. Schön!
Die Dynamo – Bar de Soif ist mittwochs bis sonnabends ab 17:00 Uhr, sonntags schon ab 16:00 Uhr geöffnet. Montags und dienstags ist Ruhetag. Mit den Straßenbahnen 3, 4 und 51 ist sie gut zu erreichen; die Haltestelle Albert ist gerade um die Ecke, keine hundert Meter entfernt.
Dynamo – Bar de Soif
Chaussée d’Alsemberg, 130
1060 Brüssel – Saint-Gilles
Belgien
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