Ich war noch nie in Fürth. Und – die Fürther mögen es mir bitte verzeihen – hatte bisher auch noch nicht das Gefühl, deswegen etwas verpasst zu haben.
Brauereien in Fürth? Fehlanzeige. Warum soll ich also dorthin?
(War da gerade ein Zwischenruf? „Was ist mit Tucher?“ – Den ignorieren wir doch besser. Tucher ist keine Brauerei, sondern eine Bierfabrik!)
Seit heute weiß ich aber, dass es sich lohnt, nach Fürth zu kommen. Jedenfalls ab und an.
Die Kofferfabrik, ein altes Fabrikgebäude, in dem früher, nun ja, Koffer hergestellt wurden, ist heute ein Kultur- und Veranstaltungszentrum, und eben eine solche Veranstaltung hat mich hierhergelockt: Der Fränkische Degustationsabend, Folge 3: Im Nabel der Welt.
Norbert Krines und Martin Droschke, die Autoren, die schon mehrere Bücher über Franken und Bier und fränkisches Bier geschrieben haben, sollten ihr neuestes Werk vorstellen – 111 Deutsche Craft Biere die man getrunken haben muss – und Jörg Binkert, vom Brauhaus Binkert, sollte mit seinen Mainseidla-Bieren für den passenden Genuss sorgen.
Aus drei mach zwei – kurz vor der Veranstaltung erhielt ich leider von Martin eine eMail: Fieber statt Lesung, Bett statt Kofferfabrik, und Tee statt Bier. Norbert und Jörg würden den Abend also alleine wuppen. Schade. Auch wenn es trotzdem eine schöne und unterhaltsame Verkostung sein würde, so fehlt natürlich etwas, wenn vom Autoren-Duo nur rund 50% anwesend sind…
Geschätzt mehr als dreißig Gäste haben sich im Nebenraum des Restaurants in der Kofferfabrik versammelt, vorne auf der Bühne steht ein bequemes Ledersofa, davor, auf einem niedrigen Tisch, eine Reihe von Bierflaschen, und auf dem Ledersofa sitzen sie nun, Norbert und Jörg. Noch bevor es das erste Bier gibt, begrüßt uns Norbert mit dem Text des Vorwortes aus seinem neuesten Buch und bereitet uns mental darauf vor, dass der heutige Abend für den eingefleischten fränkischen Lagerbiertrinker (Laacherbierdringger) die eine oder andere Überraschung, wenn nicht gar Herausforderung bereithalten würde.
Zunächst geht es aber dezent los. Während Norbert noch erzählt, schenkt Jörg das erste Bier ein, das Mainseidla Helles (4,9%), ein außerordentlich mildes, fast schon süßliches und nur schwach gehopftes Lagerbier. Mild und weich rinnt es die Kehle hinunter, malzbetont und rund. Ein zahmer Auftakt.
Von jetzt an wechseln sich Norbert und Jörg ab. Norbert liest aus seinen verschiedenen Büchern und berichtet von seinen Erlebnissen mit den jeweiligen Bieren und Brauereien, Jörg liefert Hintergründe zu den Bieren und zahlreiche Anekdoten über seine Brauerei in Breitengüßbach. Zwei junge Mitarbeiter der Kofferfabrik kümmern sich derweil um die Versorgung mit den zu verkostenden Bieren. Rasch zeigt sich, dass die Organisatoren von der Kofferfabrik sich zwar Mühe gegeben, aber eine Sache vergessen haben: Dass die Gäste für jedes neue Bier auch ein neues Glas haben wollen. Aromen und Geschmack wollen immer wieder neu und frisch bewertet werden und sich nicht mit den Resten des Vorgängerbiers mischen. Dafür sind aber nicht genug Gläser da, und der junge Mann mit seiner ebenso jungen Kollegin rennen sich fortan für den Rest des Abends die Hacken ab, um die leeren Gläser zur Spüle zu bringen und rechtzeitig für die nächste Biersorte wieder verfügbar zu haben.
Noch spüren wir aber nichts von Stockungen in der Bierversorgung und können uns unbeschwert der zweiten Bierprobe zuwenden, dem Mainseidla Harvest Moon (4,9%). Gebraut mit Gersten-, Dinkel- und Hafermalz, gehopft unter anderem mit Ariana, und vergoren mit einer obergärigen Weißbierhefe wartet es mit einer gewaltigen Aromenvielfalt auf: Rote Früchte und Beeren, Wassermelone, Stachelbeere, Cassis geben sich vom ersten Schnuppern bis nach dem Schluck ein Stelldichein und tanzen Ringelreihen auf der Zunge.
Bier Nummer 3: Mainseidla Amber Spezial (5,9%). Ein Wiener Lager, gebraut mit 100% Wiener Malz. Sehr wuchtig und intensiv im Aroma. Mir persönlich zu viel, ich bin kein Fan vom Wiener Malz und seinen Aromen, aber es ist sehr sauber und stilecht gebraut. Die Masse der Gäste ist hochzufrieden, und auch ich zolle Respekt ob der Stiltreue dieses Biers.
Immer wieder unterbrochen von Anekdoten und Kapitelchen aus den Büchern, wenden wir uns nun eher moderneren Stilen und Stilinterpretationen zu. Zunächst dem Mainseidla Craft Pale Ale (5,2%), von vielen Einheimischen als Pahle Ahle bestellt, also deutsch ausgesprochen. Jörg erzählt von den gemischten Reaktionen, die das Publikum angesichts des „neumodischen Zeugs“ zeigte. Aber es ist ein Bier, das noch gar nicht so sehr polarisiert. Deutlich, aber nicht übermäßig gehopft, sehr schön ausbalanciert und ausgewogen, nur leicht fruchtig mit ein paar harzigen Noten. Ein Bier, perfekt dafür geeignet, den Anfänger an die exotischeren Bierstile behutsam und sachte heranzuführen.
Ein fünftes Bier gibt es noch, bevor eine kurze Verkostungspause eingelegt wird, das Mainseidla Craft India Pale Ale (6,2%), gewissermaßen der große Bruder des Pale Ales. Gar nicht so fürchterlich stark, aber doch spürbar kräftiger. Ein etwas malzigerer Körper, die Hopfennoten noch stärker ins Harzige tendierend, weniger Früchtecocktail in der Nase, aber trotzdem noch eine hervorragend maskierte Bittere, schöne Ausgewogenheit und hohe Trinkbarkeit (Drinkability, wie der Fachmann sagt, wenn er mit seinem Wissen protzen möchte).
Die Pause danach ist jetzt dringend nötig. Die Konzentration hatte schon ein wenig nachgelassen, die Biere hatten schon erste Wirkung gezeigt und den Lärmpegel ansteigen lassen, der Harnstandsanzeiger hatte schon „Blase voll, bitte Ablassventil öffnen“ gemeldet, und die – zum Glück wenigen – Raucher wollten noch schnell mit einer rasch durchgezogenen Fluppe ihre Geschmacksnerven ruinieren, bevor die wirklich exotischen Biere kommen.
Die Brauerei Yankee & Kraut, zwei Wanderbrauer ohne eigene Brauerei, der eine Amerikaner, der andere Bayer, haben im Brauhaus Binkert ihr Bier Hopulenz gebraut, ein India Pale Lager. Wie ein India Pale Ale mit reichlich Hopfen, einem kräftigen Malzkörper, intensiv gestopft, aber mit einer Lagerhefe untergärig vergoren, so dass die fruchtigen Noten tatsächlich alle vom Hopfen stammen und nicht aus der Gärung. 7,5% Alkohol sind eine Ansage, aber man merkt sie in der Hopfen- und Malzmatrix überhaupt nicht, was das Hopulenz zu einem richtig gefährlichen Getränk macht. Schön, dass die beiden den Konsumenten recht drastisch darauf aufmerksam machen, dass ein Bier eigentlich eine ähnlich sorgfältige Behandlung verdient hat, wie frischer Fisch zum Beispiel: „Kühl und dunkel lagern, sonst staubt’s!“, wird auf dem Halsetikett gedroht. Und zu Recht. Auch mir ist immer wieder unverständlich, warum Bier im Heizungskeller, in der prallen Sonne, im tiefen Frost auf der Terrasse oder sonst wo gelagert wird und sich der Konsument dann hinterher wundert, warum es doch nicht so prall schmeckt und so gar nicht mit dem Bier vergleichbar zu sein scheint, was es während der Brauereibesichtigung perfekt gepflegt und super-frisch aus dem Ausschanktank gab…
Zu den Superfreunden aus Berlin geht es nun, die ihr Old School Ale mit dem Namen Till Death und 5,5% Alkohol ebenfalls im Brauhaus Binkert eingebraut haben. Eine spannende Interpretation des klassischen Düsseldorfer Altbiers ist es. Fruchtiger und blumiger, völlig anders gehopft, mit einer weniger kernigen, sondern eher vollmundigen Malznote. Ein sympathisches Bier, aber doch schon recht weit vom Düsseldorfer Original entfernt.
Zurück zur eigenen Marke Mainseidla führt uns Jörg mit dem vorletzten Bier, seinem Brown Ale (6,2%). Ebenfalls eine ungewöhnliche Interpretation eines klassischen, diesmal englischen Bierstils. Zarte Rauchnoten geben dem fülligen, recht stark sättigenden Bier einen besonderen Akzent. Nicht mein persönlicher Lieblingsstil, aber gleichwohl: Gut gelungen!
Die einzige Enttäuschung des Abends folgt mit dem Evora Export (5,3%), das unter der Marke St. Erhard im Brauhaus Binkert für die Bierothek® Fürth gebraut wurde und mit seinem Namen an die längst geschlossene und so gut wie vergessene Fürther Brauerei Evora & Meyer erinnern soll. Leider ist das Bier wohl schon ein bisschen zu alt, es weist einen merkwürdigen Beigeschmack auf, bei dem wir uns nicht sicher sind, ob es Spätfolgen von Oxidation sind oder doch DMS oder eine andere Schwefelverbindung ist, die diesen Beigeschmack verursacht.
Den gelungenen Abend vermag dies nicht zu trüben, das Bier ist ja beileibe nicht schlecht. Aber wenn nach acht Meisterwerken nun ein schon sehr durchschnittliches Bier auf den Tisch kommt, fällt es halt ein wenig auf.
Drei Stunden lang haben wir nun einen Parforce-Ritt durch die in Breitengüßbach produzierten Biere hinter uns gebracht, begleitet von immer wieder neuen Geschichten und Geschichtchen aus der Feder von Norbert und Martin oder aus dem reichen Erfahrungsschatz von Jörg.
Wer will (und sie tatsächlich noch nicht hat!), kann sich die Bücher von Norbert und Martin noch vor Ort kaufen und signieren lassen, oder einfach noch ein Schwätzchen mit Jörg halten und sich noch mehr über die Brauerei erzählen lassen. Oder langsam hinaus diffundieren, die Kofferfabrik wieder hinter sich lassen und in der kühlen Abendluft wieder einen klaren Kopf bekommen. Neun Biere – das war schon eine (schöne!) Herausforderung.
Ein gelungener Abend.
(Und die Kofferfabrik lernt für’s nächste Mal: Nehmt doppelt so viel Gläser, wie Ihr denkt, dass Ihr braucht, dann sind es wenigstens halb so viele, wie wirklich nötig sind!)
Fränkischer Bierdegustationsabend Folge 3: Im Nabel der Welt
Kofferfabrik
Lange Straße 81
90 762 Fürth
Bayern
Deutschland
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