Schon spannend, was man so alles findet, wenn man im Bücherregal einmal herumstöbert und die staubigen Bände neu sortiert: Ein kleines Büchlein aus dem Jahr 1987. 80 Seiten, fester Kartoneinband. Sogar mit richtiger Fadenheftung, also recht aufwändig hergestellt.
„Enzyklopädie für den Verbraucher“ steht in der obersten Zeile auf dem Einband. Das drückt natürlich einen hohen Anspruch aus, ist doch eine Enzyklopädie ein umfangreiches und ein bestimmtes Thema nach Möglichkeit umfassend abhandelndes Nachschlagewerk.
„Bier – Wissenswertes für Genießer“ lautet dann der Titel des Buchs, und statt eines Autors ist auf dem Umschlag die Brauerei Beck & Co angegeben, sowie der Verlagsname Nathan International. Der Name des Autors findet sich erst irgendwo versteckt im Inneren des Buches.
Nachdenklich drehe ich das Buch um und schlage die allerletzte Inhaltsseite auf, schließlich will ich wissen, was es mit dieser „Enzyklopädie“ auf sich hat. Siehe da: Es handelt sich um eine Reihe kleiner Bücher zu unterschiedlichen Themen, die für den Verbraucher interessant sein könnten. Das Thema „Sparen“ beispielsweise, präsentiert von der Commerzbank. Die Themen „Integrierte Kommunikation – ISDN“ von der Firma Siemens, „Autoradio – Auto HiFi“ von Blaupunkt, „Die moderne Trockenrasur“ von Braun. Eine Enzyklopädie? Ha, wohl eher eine Art Werbung, für die der Verbraucher auch noch bezahlt!
Im vorliegenden Fall also Werbung für die Brauerei Beck & Co.
Ein Blick auf die Umschlagsrückseite: „Informativ“ soll das Büchlein sein, „praktisch“ und „anregend“, kurzum, ein „Buch für alle, die den schäumenden Gerstensaft lieben“.
Spätestens bei dieser Metapher sollte ich das Buch eigentlich wieder weglegen. „Gerstensaft“, „Hopfenkaltschale“, „flüssiges Brot“, „Bölkstoff“ oder auch ganz einfach nur „Bierchen“ – wer diese abwertenden Synonyme für Bier benutzt, zeigt, dass es ihm (oder ihr) nicht um den Genuss oder die Aromen- und Geschmacksvielfalt geht, sondern nur um den Konsum als solches, und den dann am besten in großen Mengen.
Blättern wir aber trotzdem einmal durch die 80 Seiten. Es ist nicht übermäßig viel Text. Ein überbreiter Seitenrand nimmt Zwischenüberschriften auf, so dass der eigentliche Text in einer nur noch recht schmalen Spalte Platz finden muss. Aber wenigstens ist die Druckqualität in Ordnung. Ein klares Schriftbild, farbige Bilder, glänzendes Papier – für ein so kleines Bändchen ist das mehr als akzeptabel.
Und der Inhalt?
Es fällt sehr rasch auf, dass Bier hier nur mit streng (west-)deutschem Blickwinkel betrachtet wird. Die kurz beschriebenen Biersorten listen ausschließlich Bierstile auf, die es in der Bundesrepublik Deutschland vor dem Mauerfall gibt. Englische Ales? Nicht erwähnt. Belgische Klosterbiere? Existieren nicht. American Pale Ales oder gar India Pale Ales? Fehlanzeige. Sie alle werden vor den strengen Augen des voreingenommenen Autors aussortiert. All sie sind aus Sicht des deutschen Biertrinkers der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts ja gar keine richtigen Biere.
Und so verwundert es denn auch nicht, dass das sogenannte „Reinheitsgebot“ in diesem Buch genauso einseitig wie im Detail unrichtig dargestellt wird wie in allen Büchern dieser Zeit. Das Buch macht sich so zu einem weiteren Werkzeug perfekter Gehirnwäsche.
Aber auch der Rest ist für eine „Enzyklopädie“ erstaunlich wenig informativ. Der Brauprozess wird unter der Überschrift „Wie Bier entsteht“ auf immerhin 20 Seiten und damit einem Viertel des ganzen Buchs abgehandelt, aber über eine vage Beschreibung dessen, was dabei passiert, geht der Text nicht hinaus. In den achtziger Jahren war es in Deutschland nicht ohne weiteres legal, eine nutzbare Brauanleitung zu vertreiben, insofern ist verständlich, dass nicht alle Schritte im Detail nachvollziehbar beschrieben werden, aber die Maischearbeit auf einen Text zu reduzieren, der lediglich darlegt, dass es darauf ankommt, „das Verhältnis von Malz zu Wasser und die Temperaturen so zu bestimmen, daß optimale Bedingungen für die Wirkung der beim Keimen gebildeten Enzyme geschaffen werden“, ist zwar nicht falsch, aber inhaltlich völlig wertlos.
Ärgerlich auch der Hinweis, dass ein gutes Pils fünf Minuten gezapft werden muss, um eine „standfeste Pils-Krone“ zu bekommen. Das ist zwar besser als die unsägliche Forderung nach einem Sieben-Minuten-Pils, die andernorts zu lesen ist, aber immer noch viel zu lang. Es sei dann, man mag kohlensäurearmes, flaches und dann meistens auch schon nicht mehr richtig kühles Bier…
Auch dort, wo es inhaltlich nichts zu kritisieren gibt, bleibt das Buch aber an der Oberfläche. Es stellt Allgemeinwissen dar und verkauft es als Expertentum. Noch nicht einmal das kurze Kapitel „Kuriositäten rund um das Bier“ zündet, beschränkt es sich doch auf ein paar altbekannte Bestleistungen aus dem Guinness-Buch der Rekorde und vermeidet es angestrengt, Dinge zu schildern, die wirklich kurios wären.
Nicht zu vergessen schließlich, dass die Bebilderung immer wieder Produkte der Brauerei Beck & Co zeigt und fast schon wie eine Werbebroschüre daherkommt.
Dem eigenen Anspruch der Buchreihe, wie sie auf der Seite 4 formuliert ist („… dem Leser zum ersten Mal in einer umfassenden Buchreihe alle Informationen, die er braucht, um Produkte und Dienstleistungen unserer modernen Gesellschaft besser zu verstehen und zu nutzen“, zu liefern), wird der Band über Bier also nicht gerecht – und das selbst im Kontext einer Bierwelt der achtziger Jahre, die aus heutiger Sicht merkwürdig genug anmuten mag.
Auch vor dreißig Jahren hätte mein Fazit also gelautet: Keine Kaufempfehlung. Es sei denn, man sammelt Bierbücher und möchte den Band der Vollständigkeit halber der Sammlung einverleiben.
Hermann Gutmann
Enzyklopädie für den Verbraucher: Bier – Wissenswertes für Genießer
Nathan Verlag GmbH
München, 1987
ISBN 3-8230-0854-4
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