Als in Wien vor einigen Jahren der Entschluss gefasst wurde, einen neuen, zentralen Bahnhof zu errichten, hatte das zwei größere, unmittelbar erlebbare Konsequenzen. Zum einen verlor der Westbahnhof, kaum dass sein großer Umbau abgeschlossen war, schlagartig an Bedeutung, und zum anderen entstand im Süden der Stadt zunächst eine gigantische Baustelle und anschließend rund um den neuen Hauptbahnhof ein ganz neuer Stadtteil aus der Retorte.
Schön ist anders, mag der oder die eine oder andere nun bemängeln, wenn er oder sie die klotzige Architektur mit viel Glas und Stahl sieht, und in der Tat scheint die Wohnlichkeit und Gemütlichkeit auf der Strecke geblieben zu sein.
Immerhin haben die Planer aber daran gedacht, Räume und Plätze für die Gastronomie zu schaffen und die Fehler der Betonarchitektur der sechziger und siebziger Jahre zu vermeiden, wo vor lauter Funktionsgebäuden kein Raum mehr für das eigentliche Leben geblieben war.
Das Campus Bräu ist eine dieser Gastronomien. Betrieben von der Salzburger Stiegl-Brauerei ist es ein Bierrestaurant, wo man sich gemütlich tagsüber in einer Arbeitspause treffen, schnell mal eine Kleinigkeit zu Mittag essen oder ein After-Work-Meeting veranstalten kann. Letzteres hieß übrigens mal Feierabendbier, aber mit dieser Bezeichnung scheint die junge Generation zunehmend Schwierigkeiten zu haben – speziell in Österreich, wo das Assimilieren englischer Worte in die eigene Sprache viel verbreiteter ist als bei uns in Deutschland.
Die Orientierung an den in den umliegenden Hochhäusern arbeitenden Menschen wird besonders an den Öffnungszeiten deutlich, denn das Campus Bräu ist nicht nur an Sonn- und Feiertagen geschlossen, sondern auch an Sonnabenden. Nur an ganz normalen Arbeitstagen kann man hier einkehren – dann allerdings recht großzügig zwischen 10:00 und 02:00 Uhr.
Heute ist Freitag, und so nutzen wir die Gelegenheit einer Übernachtung im nahegelegenen Hotel und kehren hier auf ein kleines Absackerbierchen ein.
Der Biergarten draußen ist verwaist – ausgerechnet heute hat es zum ersten Mal seit vielen Wochen ein wenig geregnet. Nicht wirklich viel, aber genug, um die wenigen Gäste, die zum Ende der Woche hierhergekommen sind, in die Schankräume im Inneren zu verjagen. Diese sind recht abwechslungsreich gestaltet, aber den Stil muss man schon mögen, denn alles wirkt sehr neu und künstlich und lässt das Flair einer über die Jahre gewachsenen Wirtshausatmosphäre vermissen.
Gleich rechter Hand ist eine Art Bibliothek mit viel hellem Holz, aber bei näherem Hinsehen wird rasch deutlich, dass es sich um Bücherattrappen handelt, die schön nach ihrer hellen, weißlichen Farbe ausgesucht und in die Regale gestellt wurden. Künstliche Ikea-Atmosphäre. Etwas wärmer, etwas ansprechender der Raucherbereich zur linken, und ebenfalls etwas gemütlicher und nicht ganz so kühl der große Gastraum, in dem sich auch die Theke befindet.
Wir suchen uns dort einen Platz, und nur Sekunden später steht die freundliche Bedienung neben uns und fragt nach unseren Getränkewünschen. Es gibt Stiegl-Bier – die Standard-Sorten, aber auch ein paar in eher kleiner Auflage gebraute Bierspezialitäten. Man bemüht sich in Salzburg, auf den Craftbier-Zug aufzuspringen und eine Reihe von interessanten und kreativen Bieren anzubieten.
Wir entscheiden uns für Max Glaner’s IPA, ein schön hopfenaromatisches und kräftig bitteres India Pale Ale. Ein bisschen geglättet wirkt es zwar in seiner gefälligen Aromatik und seiner tendenziell doch recht runden Bittere, aber vielleicht ist es gerade diese Harmonie, die es schön trinkbar macht. Wir sind jedenfalls nicht unzufrieden.
Sieben silbrig glänzende Zapfhähne stehen dekorativ auf der Theke, und trotzdem bekommen wir unser Bier aus der Flasche. Eine genauere Inaugenscheinnahme erklärt, warum: Sechs der sieben Zapfhähne bieten unterschiedliche Biere, allesamt aber recht kommerzielle Marken aus ganz Österreich. Die kreativen Biere gibt es samt und sonders nur aus der Flasche. Und wer jetzt meint, dass dann wenigstens der siebte Zapfhahn eine besondere Kreation offerieren würde, der irrt leider. Zapfhahn Nummer 7 bietet … Weißwein.
Was für eine Ironie. Jahrzehntelang hat man in Bars und Restaurants eine ausführliche Weinkarte vorgefunden, und das Thema Bier wurde binär abgehandelt. Gab’s oder gab’s nicht. Und wenn’s das gab, dann gab es genau das: Ein Bier. Stil? Egal, meistens Märzen oder Pils. Brauerei? Noch egaler, denn die Biere schmeckten eh alle gleich. Beim Wein hingegen wurde abgewogen, verkostet, das Haupt gewiegt, geschmeckt und diskutiert.
Hier und heute im Campus Bräu ist es umgekehrt. Eine Reihe verschiedener Biere, um zu verkosten und zu diskutieren. Wer stattdessen einen Wein möchte, der bekommt genau das: Einen Wein. Süß? Trocken? Fruchtig? Blumig? Und aus welchem Anbaugebiet? Egal. Weißwein steht am Zapfhahn. Weißwein wird serviert, wenn man Weißwein bestellt.
Amüsiert nehmen wir das zur Kenntnis, genießen unseren Max Glaner und trollen uns dann irgendwann wieder. Vielleicht ist es nicht unbedingt die erste Adresse, um in Wien spannende Biere zu trinken, aber es ist immerhin eine schöne Anlaufstelle für ein gepflegtes und gerne auch kreatives Bier, wenn man unmittelbar in der Nähe des Hauptbahnhofes in einem der Hotels gestrandet ist und nicht genug Zeit oder Lust hat, noch weiter in der Stadt umher zu fahren.
Das Campus Bräu ist montags bis freitags von 10:00 bis 02:00 Uhr geöffnet; an Sams-, Sonn- und Feiertagen ist geschlossen. Zu erreichen ist das Bierlokal am besten mit den öffentlichen Verkehrsmitteln – von der großen Halle des Wiener Hauptbahnhofs sind es gerade einmal drei, vier Minuten zu Fuß.
Campus Bräu
Wiedner Gürtel 1
1100 Wien
Österreich
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