Mit etwas gemischten Gefühlen verlasse ich den Schankraum des Paulaner am Nockherberg, blicke noch einmal zurück auf das große Paulaner-Wappen, das über den Kupfergeräten des hübschen Sudwerks hängt. Sollte das einer weltberühmten Brauerei nicht maßlos peinlich sein, was ich gerade erlebt habe?
Doch der Reihe nach:
Ich bin beruflich unterwegs, heute einmal in München. Staufrei bin ich hergekommen, und so ist glücklicherweise etwas mehr Zeit für die Mittagspause als sonst so oft. Kein rasches Brötchen mit einer Frikadelle dazwischen, sondern die Chance, richtig zu essen. Einzukehren und für einen kurzen Moment innezuhalten.
Der Nockherberg ist nicht allzu weit weg, und nachdem seit Anfang des Jahres, seit Februar, um genau zu sein, sich hier nicht mehr nur der klassische Ausschank und der Salvatorkeller befinden, sondern nach Umbau und großen Investitionen auch vor Ort gebraut wird, lohnt es sich sicherlich, den kleinen Umweg zu fahren.
Ich muss zugeben: Beim Betreten des Schankraums, wenn der Blick direkt auf das auf Hochglanz polierte kupferne Sudwerk fällt, das sich auf einer großen Bühne zentral im Raum präsentiert und alles dominiert, bin ich schon beeindruckt. Hier haben Designer und Innenarchitekten in professioneller Weise eine Bier-Kathedrale geschaffen, deren Dominanz sich wohl kaum ein Gast entziehen kann. Der großzügig geschmückte Weihnachtsbaum zwischen den beiden Kesseln trägt auch dazu bei, dass eigentlich jeder, der den Schankraum betritt, als allererstes in die Jackentasche greift, das Telefon herauszieht und ein Bild macht.
„Kein schlechter Auftakt“, denke ich mir und suche nach einem schönen Platz am Fenster, von dem aus ich durch die laublosen Bäume und Büsche auf der anderen Straßenseite auch noch ein wenig das Panorama der Stadt München genießen kann. Vor dem grauen Hintergrund die Türme der Frauenkirche, davor allerdings auch die leuchtend gelben, riesigen Kräne, die das Gebiet der alten Paulaner Brauerei komplett umbauen – die Bierfabrik ist an den Stadtrand gezogen, wo die Verkehrsinfrastruktur besser ist und mehr Platz zur Verfügung steht.
Kaum habe ich Platz genommen, steht auch schon die Kellnerin im klassischen, tief ausgeschnittenen Dirndl bei mir am Tisch und bringt die Speisekarte. Das Bier ist rasch bestellt („Ein kleines Helles von hier, bitte!“), und dann blättere ich erst einmal durch das durchaus spannende Speisenangebot. Bodenständiges und Raffiniertes, lokal Bayerisches wie auch Internationales. Es ist für jeden Geschmack etwas dabei. Ich entscheide mich für Reh, das mit Nudeln und auf mediterrane Art mit viel Kräutern serviert wird, und nehme den ersten Schluck vom mittlerweile servierten Hellen.
Nockherberger Münchner Hell, unfiltriert, nennt es sich. Eine goldgelbe Farbe, gleichmäßige Trübung, viel kremiger und weißer Schaum. Eigentlich sogar zu viel, denn vom Eichstrich ist der Bierpegel weit entfernt. Schon merkwürdig, wenn in einer Brauerei vor Ort mit dem Bier so übersparsam umgegangen wird. Der gute Eindruck bekommt erste Risse.
Das Bier schmeckt ordentlich, absolut fehlerfrei, glatt, etwas malzsüßlich, süffig und todsterbenslangweilig. Wohl ein Zugeständnis an den Münchner Geschmack, an die typische Münchner Szene: Wir machen jede Mode mit, um mitreden zu können, aber sie darf trotzdem nicht vom Althergebrachten abweichen. Schicki-Micki mit gebremstem Schaum, oder so. „Einmal Pizza Diabolo mit viel Chili, aber bitte nicht so scharf“, lautet das Motto der Möchtegern-Adabeis. Und so auch hier: Handwerklich gebrautes Bier, bitteschön, aber es muss doch schon so schmecken, wie das, was man aus den Bierfabriken gewohnt ist…
Nach einigen Momenten der Alltagsphilosophie wende ich mich dem Reh zu. Wunderbar zartes Fleisch, sehr ansprechend gewürzt, die Kräuter kommen schön zur Geltung. Die Nudeln sind allerdings viel zu weich gekocht und die Soße verwässert – da hat der Koch die Nudeln wohl nicht sorgfältig abtropfen lassen. Sei’s drum, ich esse mit großem Appetit.
Zum Essen gehört natürlich noch einmal ein feines Bier, und so winke ich nach der Kellnerin, die auch blitzschnell wieder an den Tisch kommt. „Was gibt’s denn sonst noch Feines aus Euren Braukesseln?“, frage ich gut gelaunt. Tiefes Bedauern legt sich auf das eben noch offene und fröhlich lachende Gesicht der netten Dame. „Nichts. Das heißt, schon noch etwas, aber nur die normalen Paulaner Biere. Nichts von hier. Wir haben zur Zeit nur die eine Sorte.“ – „Der Brauer braucht auch mal Urlaub!“, fügt sie noch entschuldigend hinzu.
Für einen Moment glaube ich, mich verhört zu haben. „Nur eine Sorte hier gebrautes Bier?“
Sie nickt und zuckt mit den Achseln.
Nun, ganz ohne Bier schmeckt mir das Reh jetzt auch nicht, und so bestelle ich noch ein kleines Paulaner Münchner Dunkel, aber begeistert bin ich nicht. Eher überrascht von dieser Peinlichkeit. Da werden hunderttausende Euro, wenn nicht sogar ein Millionenbetrag in den Umbau des Nockherbergs investiert, eine sündteure und edle Brauerei installiert, und dann gibt es nur eine einzige, langweilige Biersorte?
Ach, Paulaner. Ich erinnere mich noch an die Sprüche aus der Reklame. „Gut. Besser. Paulaner.“ Alles Gewäsch – hier läuft offensichtlich etwas völlig verkehrt. Ich bin tief enttäuscht.
Da kann jetzt auch das ausgezeichnete Dessert nichts mehr retten. So vorzüglich die Bayerische Kreme mit dem Pflaumenkompott und dem köstlichen Eis auch ist, die Enttäuschung sitzt tief. Einmal mehr entpuppt sich München als hohle Fassade.
Das überall im Brauhaus beworbene Bruder Barnabas Münchner Dunkel oder das Bruder Aloisius Weissbier mit Citra-Hopfen – nicht verfügbar, weil der Brauer Urlaub hat? Kann man nix auf Vorrat brauen? Oder ist es alles nur Kundenfängerei? Wurde bei all dem Investment die notwendige Größe der Lagertanks unterschätzt? Wie ich es drehe und wende, es bleibt eine üble Peinlichkeit. Schörghuber, Schottenhamel oder Lechner – egal, wie Ihr auch heißt, die Ihr hier verantwortlich seid… Ihr wirkt dann doch recht provinziell, wenn das, was Ihr mit hohem Werbeaufwand und großem Wort anpreist, sich als eine einzige vor Ort gebraute Biersorte entpuppt.
Ich blicke also noch einmal zurück auf das große Paulaner-Wappen, das über den Kupfergeräten des hübschen Sudwerks hängt. Ist es den Betreibern maßlos peinlich? Mir jedenfalls wäre es das…
Das Paulaner am Nockherberg ist täglich von 11:00 bis 24:00 Uhr durchgehend geöffnet; kein Ruhetag. Man erreicht es bequem mit der Straßenbahn, Linie 15 oder 25, Haltestelle Ostfriedhof. Von dort sind es drei Minuten zu Fuß. Möchte man wirklich mit dem Auto kommen, was in München nie eine gute Option ist, gibt es direkt unter dem Bräuhaus eine Tiefgarage.
Paulaner am Nockherberg
Hochstraße 77
81 541 München
Bayern
Deutschland
Man könnte mit einer einzigen Sorte auch Erfolg haben, wie beim Uerige, im U Fleku oder bei den Kommunbrauern in Neuhaus a. d. Pegnitz
Damit hast Du gewiss recht, Gernot, aber um mit nur einer einzigen Sorte Erfolg zu haben, sollte diese eine Sorte auch etwas Besonderes sein, und nicht nur ein müder Abklatsch dessen, was es in jeder anderen Gasthausbrauerei auch gibt. Mit bestem Gruß, VQ
Wir haben im Oktober 2020 das Aloisius Weißbier getrunken- ich würde es so gerne mal wieder trinken können! Der Aufenthalt war super- das Essen hat spitze geschmeckt- leider viel zu weit weg von der Ostsee
Hallo, Barbara,
es freut mich sehr, dass Dir das Bier und das Essen dort auf dem Nockherberg geschmeckt haben. Bestimmt findest Du mal wieder Zeit, in den Süden zu reisen.
Mit bestem Gruß,
VQ