Wrocław. Ein paar Schritte westlich der Altstadt, auf der anderen Seite des sechsspurigen Altstadtrings, aber noch diesseits des Stadtgrabens Podwale, befindet sich ein kleines Kneipen- und Ausgehviertel. Bars, Restaurants, Nachtclubs, Cafes – wer hier nichts findet, um sich zu vergnügen und eine unbeschwerte Zeit zu verbringen, dem ist nicht zu helfen. Und dass sich die alte Synagoge und eine große katholische Kirche mittendrin befinden – nun ja, das mag bewerten, wer mag.
An einer Straßenecke, gegenüber einem veganen Geschäft und neben einer asiatischen Fusionsküche findet sich hier der Brauereiausschank AleBrowar Wrocław. Wobei der Begriff Brauereiausschank gleichermaßen fachlich korrekt wie irreführend ist. Brauereiausschank – da denkt der Deutsche an rustikale Wirtshäuser. An eine klassische Bierstube mit dunklen, holzvertäfelten Wänden, an barocke Bedienungen im tief ausgeschnittenen Dirndl, an gewaltige Maßkrüge und an deftige Schweinshaxen.
Wer jedoch diese krachlederne Gemütlichkeit erwartet, ist hier fehl am Platz. AleBrowar, das sind die Pioniere der polnischen Craftbier-Bewegung. Gemeinsam mit Artezan und Pinta waren sie die ersten, die 2012 begannen, mit spannenden, hopfenaromatischen Bieren den polnischen Biermarkt aufzumischen. Was war es seinerzeit für eine Revolution, als mit dem Rowing Jack ein India Pale Ale auf den Markt kam. Kernig und hopfig, 6,2% stark, aromatisch, bitter und trotzdem noch süffig. Die Bierliebhaber standen Schlange auf den Bierfestivals, warteten geduldig, bis sie endlich auch ein Glas abbekamen und liefen dann mit dem Glas in der Hand kreuz und quer über das Festivalgelände und missionierten: „Hier, das musst Du unbedingt probieren. Das ist sensationell. So etwas hast Du in Polen noch nicht getrunken.“
Gerade sechseinhalb Jahre ist das jetzt her, und doch erscheint es uns fern wie eine Erzählung aus Großvaters Kriegserinnerungen. Obwohl Rowing Jack nach wie vor ein ausgezeichnetes India Pale Ale ist, so würde man doch heute mit diesem Bier keinen Hund mehr hinter dem Ofen vorlocken: „Ein India Pale Ale? Ach, geh fort, das ist doch jetzt wirklich nicht gerade originell. Macht doch jeder. Hast Du nichts Besonderes?“ Wie sich in einem halben Dutzend Jahren die Bierwelt verändern kann und die Ansprüche steigen…
Aber der gleiche Pioniergeist, der Bartek Napieraj (das Gesicht der Brauerei) und Michał Saks (den Brauer) seinerzeit dazu gebracht hat, gleich von Anfang an die Revolution mitzugestalten, treibt sie unverändert voran, und so umfasst das Portfolio von AleBrowar mittlerweile fast hundert verschiedene Biere. Viele davon sind einmalige Sondersude, viele sind in Kooperationen mit Brauereien aus ganz Europa entstanden, und viele gibt es als regelmäßig produzierte Bierspezialitäten, oft jenseits der bekannten und etablierten Stile.
Seit Anfang 2017 haben sie ihre eigene Brauerei und brauchen sich nicht mehr als Wanderbrauer in anderen Betrieben einmieten, und seit 2016 haben sie auch zwei Bars, in denen sie ihre Biere unmittelbar ausschenken – eine in Gdynia und eine eben auch in Wrocław. Und vor der stehen wir jetzt gerade.
Es ist dunkel, es ist nieselig, und durch die Fenster strahlt einladend das warme Licht, so dass wir uns nicht lange mit Fotografiererei aufhalten, sondern rasch durch die Tür treten und uns lieber von innen ans Fenster setzen. Um wieviel schöner ist es doch, hier im Warmen zu sitzen und zuzusehen, wie die Menschen draußen mit hochgeklappten Mantelkrägen und tief über das Gesicht gezogenen Mützen durch den Regen eilen.
Gleich hinter dem Eingang der Bar befindet sich die Theke mit insgesamt dreizehn Zapfhähnen, die an der Rückwand angeschraubt sind. Auf senkrechten Brettern sind in unterschiedlichen Farben und Schriftzügen die Biere angeschrieben – samt und sonders eigene Produktionen, keine Gastbiere. Unter jedem Brett, über dem dazugehörigen Zapfhahn, hängt eine kleine Glaskugel, die mit einer Probe des jeweiligen Biers befüllt ist und somit eine Idee von Farbe und Trübung vermittelt. Wer also ein ganz helles Bier sucht und bei dem bei der Bezeichnung Lady Blanche der Groschen noch nicht fällt (ähnlich beim schwarzen Bier und dem Namen Black Hope…), der bekommt dann wenigstens so einen Eindruck von dem, was er später im Glas vorfindet.
Ich frage die junge Barfrau, ob es auch Testbrettchen gibt, aber sie schüttelt bedauernd den Kopf: „Nein, die kleinste Größe sind 0,25 l. Aber wenn Du möchtest, kannst Du jedes einzelne Bier probieren, bevor Du Dir dann ein ganzes Glas bestellst. Das ist doch mindestens genauso praktisch, oder?“
Angesichts der abgestandenen Bierproben, die ich vor ein paar Stunden im Złoty Pies erst bekommen habe, erscheint mir ihre Argumentation mehr als nur logisch, und nach ein, zwei Probeschlückchen bestelle ich uns ein American Wheat, das Be Like Mitch, das uns mit hopfigen Aromen und erfrischender Spritzigkeit bei nur 4,4% Alkohol erfreut, und eine Gose names Jagoda. Eine New Wave Gose mit Heidelbeere. Frisch, fruchtig, leicht säuerlich, spürbar salzig, und mit ihren 4,7% eigentlich ein hervorragendes Sommerbier. Passt zwar so überhaupt nicht zum trüben Dezembertag, aber mir schmeckt es trotzdem ganz vorzüglich.
Durch ein kleines Fenster kann man in den blau illuminierten Kühlraum sehen, in dem die Einwegfässer stehen, die unmittelbar an die dreizehn Zapfhähne angeschlossen sind. Beruhigend, dass genügend Vorräte da zu sein scheinen, um auch mehrere Tage und Nächte ohne Nachschub hier verbringen zu können.
Die Einrichtung ist simpel, bunt, erinnert ein wenig an Ikea, und das Publikum ist sehr jung. Wir scheinen mit zwei Jahrzehnten Abstand die ältesten in der Bar zu sein, haben aber zum Glück nicht das Gefühl, deswegen jetzt kritisch beäugt zu werden.
Na gut, ein Bier gönnen wir uns noch, und dann wollen wir erst einmal etwas essen. Während ich das diesjährige Weihnachtsbier bestelle, das Saint No More 2018, das dieses Mal ein stark gehopftes Saisonbier mit Roggen ist (Hoppy Rye Saison) und mit 6,0% etwas stärker daherkommt, als die beiden Biere vorher, erfahre ich von der Barfrau, dass wir gerne auch unser Essen nebenan oder gegenüber holen und hier verzehren könnten, die Bar sei komplett auf das Bier und auf ein paar Cocktails ausgerichtet, hätte aber offene Türen für jeden, der sich etwas zu Essen mitbringen würde. Zur Not würde auch der Pizza-Service gerufen…
Während wir unser Weihnachtsbier genießen – sehr vollmundig und aromatisch, sehr gefällig, allerdings hat es nichts Weihnachtliches an sich – entschließen wir uns allerdings, doch lieber das Lokal zu wechseln und irgendwo „etwas Richtiges“ zu essen. Es hat nichts mit fehlender Gemütlichkeit zu tun, und auch die Atmosphäre hier gefällt uns ausgezeichnet, aber eine innere Ungeduld drängt uns weiter, warum auch immer.
Nun denn. Drei vorzügliche Biere, eine gute Beratung und ein angenehmes Ambiente haben uns gut gefallen, und auch die Idee, neben den Zapfhähnen ein schwarzes Brett aufzuhängen, das eine Reihe von Brett- und Gesellschaftsspielen auflistet, die man sich ausleihen kann, um hier einen lange Spieleabend zu verbringen, überzeugt. Sehr schön – definitiv eine Besuchsempfehlung wert!
Die Bar AleBrowar Wrocław ist täglich ab 14:00 Uhr durchgehend geöffnet; kein Ruhetag. Es gibt ausschließlich Biere aus eigener Produktion der AleBrowar, und es gibt nichts zu essen. Brotzeit darf aber mitgebracht werden. Von der Straßenbahnhaltestelle Rynek auf dem Altstadtring mit den Linien 3, 5, 10, 23 und 33 sind es etwa 200 m zu Fuß in westlicher Richtung bis zur Bar. Alternativ kann man sich in Wrocław auch auf elektrisch betriebenen Tretrollern bewegen. Rund 400 Stück stehen überall in der Stadt herum und können per App freigeschaltet werden. Am Ziel angekommen, lässt man sie einfach am Gehsteig stehen.
AleBrowar Wrocław
Pawła Włodkowica 27
50-079 Wrocław
Polen
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