DIE Adresse in Wrocław für Hardcore-Craftbierfans. Eine schlichte, kleine Bar in einer kleinen und dunklen Straße nur wenige Schritte vom Marktplatz entfernt: Kontynuacja.
Gerade noch sind wir über den Weihnachtsmarkt gebummelt, haben das Rathaus umrundet und uns vom glitzernden Schein der Kerzen, Laternen und Laserlampen blenden lassen. Essen, trinken und in einer Orgie von bonbonbunten Lichterspielen geradezu ertrinken – das scheint das Motto zu sein. Hm, wie das duftet, wie das klingt, wie der hohle Glanz geradewegs die niederen Instinkte aktiviert. Hier noch etwas probieren, dort noch ein wenig Geld für irgendwelchen unnötigen Tand ausgeben, und schließlich auch dem Bettler um die Ecke noch ein paar Münzen in die Hand drücken.
Irgendwann möchten wir aber aus dieser Kakophonie der Sinne wieder auftauchen, gehen ein paar Schritte in Richtung Süden und biegen dann ab in die Straße der Auschwitzer Opfer, die ulica Ofiar Oświęcimskich. Hier, weitab vom Trubel des Marktes, erhellen nur noch ein paar wenige Straßenlaternen die schmale Gasse, klingt der Lärm der Marktschreier und Fahrgeschäfte nur noch gedämpft durch. Der Nieselregen tut das seinige, und nur durch die Fenster des Hauses mit der Nummer 17 scheint warmes, gelbes Licht und lädt zum Barbesuch ein.
Rund zwanzig Zapfhähne und ein paar Handpumpen versprechen die Betreiber der Bar Kontynuacja, und provokativ fügen sie hinzu: „… und keine industrieller Fake!“ Keine Biere also, die so tun, als seien sie Craftbier, als seien sie in kleinen, handwerklichen Brauereien entstanden, und die doch nur aus anonymen Bierfabriken stammen und versuchen, auf den Zug aufzuspringen.
Schon vor rund 130 Jahren befand sich unter dieser Adresse, damals noch Junkernstraße, eine Bierkneipe: Von 1888 bis 1945 schenkte Conrad Kißling, Brauereibesitzer. dessen Nachkomme Georg Conrad Kißling Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 war, hier mitten in Breslau in seinen Bierstuben echtes Bayerisches Bier aus. Von einer bayerischen Bierkneipe hat die Bar Kontynuacja aber nicht viel – lediglich die Gewölbe und die Verzierungen an den Pfeilern der Gewölbe lassen ein wenig an die alte, rustikal-bayerische Gemütlichkeit des Bayernzimmers denken. Getreidegarben hier, eine dicke Brezel dort. Ansonsten aber schlichte, preiswerte Holzmöbel, wenig Schmuck, weiße Wände, kaum Deko. Nüchtern sieht es aus.
Nüchtern bleiben muss hingegen niemand. Die aus achtzehn schwarzen Brettern zusammengesetzte Tafel hinter der Theke bietet für jeden Geschmack das passende Bier. Naja, für fast jeden, denn wer ein überspundetes Eurolager mit wenig Eigengeschmack im Stil eines Żywiec oder Tyskie sucht, wird hier wohl nicht fündig. Stattdessen gibt es geschmacksintensive und zum Teil sehr experimentelle Biere aus kleinen und kleinsten Brauereien, meistens aus Polen, zum Teil aber auch aus Brauereien weltweit.
Ein American Pale Ale mit Roggenmalz? Bitte sehr, warum nicht? Oder lieber ein Lambic mit Erdbeeren? Ein belgisches Dubbel mit Labsang-Tee? Ein leichtes Rauchweizen mit gerade einmal 3,0% Alkohol? Ein Hazy, ein New England, ein West Coast oder ein Belgian IPA? Welche Variation darf es denn gerne sein? Es ist alles da! Die polnische Craftbier-Revolution bietet für jeden etwas, und Kontynuacja ist mitten dabei.
Die Auswahl fällt schwer, und lediglich die Hardcore-Enthusiasten werden hier ohne größere Beratung genau das finden, auf das sie gerade Lust haben. Alle anderen werden Fragezeichen in den Augen haben und ratlos auf die etwas unübersichtlich gestaltete Liste starren. Aber das kennen die Jungs und Mädels hinter dem Tresen. Für einen Moment beobachten sie den Gast, wie er die Liste abscannt, aber wenn er nicht nach wenigen Augenblicken erkennen lässt, dass er etwas gefunden hat, kommen sie rüber, fragen freundlich und helfen bei der Auswahl.
Uns fällt diese relativ leicht. Wir waren den ganzen Tag unterwegs, sind in der feuchten Dezemberkälte gut durchgefroren und wissen genau: Ein einziges Bier für jeden darf es noch sein, und es soll schön aufwärmen. Durst braucht es nicht zu löschen, stattdessen soll es Genuss in kleinen Schlucken bieten. Und so greifen wir zielgerichtet zu den beiden Zehnprozentern im Angebot.
Bier Nummer 1 ist das Too Young to be Herod 2018, ein Extra X-mas Stout der Brauerei Artezan. 10,0%, dunkelbraun, mit dicker, fast schon zähflüssiger Textur. Ein sättigendes Bier, das seinen Alkohol gut maskiert. Kein Brennen, keine Wärme im Mund. Erst nach einigen Schlucken spüre ich, wie ich von innen heraus aufgewärmt werde. Ein Genussbier für Abende, an denen man viel Zeit hat.
Und auch Bier Nummer 2 braucht sich nicht zu verstecken. Das Boreal, ein Oatmeal Imperial Stout der Brauerei Probus kommt noch um ein Zehntelprozent stärker im Alkohol daher – 10,1%! Ebenfalls geradezu dickflüssig, vollmundig, kremig, sättigend.
Meine holde Ehefrau und ich tauschen unsere Gläser immer wieder, nehmen mal hier einen Schluck, mal dort. Langsam machen sich die Biere beziehungsweise der Alkohol darin bemerkbar. Die Wangen röten sich, die Augenlider werden schwer. Ein langer Tag geht zu Ende. Schneller, als gedacht…
Einmal blicken wir uns noch um. Eine schlichte, aber trotzdem ansprechende Bar. Junges Publikum. Und was besonders auffällt: Keine Musik. Stattdessen die Klänge der klirrenden Gläser, leise Gespräche, hier und da ein Lachen. Sehr angenehm.
Seit 2013 gibt es die Bar, und sie gilt nach wie vor als die Craftbier-Bar in Wrocław mit der größten und spannendsten Auswahl. Immer wieder gibt es besondere Aktionen, Präsentationen neuer Biere, oder es sind die Brauer persönlich zu Gast und schenken ihre Biere aus. Wenn man also wissen möchte, was in Polen biermäßig läuft, kehrt man hier ein.
Und die, die zu weit weg wohnen, oder die zu selten hier sein können, denen bleibt nur, sich im Internet über die neuesten Entwicklungen der polnischen Bierszene zu informieren. Was allerdings auch nicht so richtig schwierig ist. Eine ganz hervorragende Quelle ist die alljährliche Piwne Podsumowanie, die Bierige Zusammenfassung, von Kapcer Groń und Karolina Papińska, die mit vielen Zahlen, Daten und Fakten den polnischen Biermarkt des jeweils vergangenen Jahres pünktlich am 31. Dezember analysiert.
Die Bar Kontynuacja ist täglich ab 16:00 Uhr, sonnabends und sonntags schon ab 14:00 Uhr geöffnet; kein Ruhetag. Im Sommer ist im Innenhof ein Biergarten, in dem es sich vortrefflich draußen sitzen lässt. Von der Straßenbahnhaltestelle Świdnicka mit den Linien 3, 4, 10, 23 und 33 sind es rund 80 m zu Fuß in nördlicher Richtung, dann links ab und noch einmal 70 m.
Kontynuacja
Ofiar Oświęcimskich 17
50-069 Wrocław
Polen
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