Ende gut, alles gut? Wie aus einem zunächst frustrierenden Brauerei-Besuch doch noch ein nettes Erlebnis wurde:
Wie so oft – wir sind schon seit ein paar Stunden unterwegs, und ein paar Stunden liegen noch vor uns. Da regt sich der Hunger, und es stellt sich einmal mehr die Frage: Sollen wir schnell mal an einer Raststätte halten und ein pappiges belegtes Brötchen essen, oder gönnen wir uns die Zeit und kehren unweit der Autobahn schön ein, genießen eine längere Pause, kommen aber dadurch viel später am Hotel an?
Vernünftigerweise entscheiden wir uns für letzteres und verlassen die Autobahn D1 an der Abfahrt Plzeň. Ähnlich wie in Prag kann man hier immer wieder halt machen, und jedes Mal findet man eine neue bierige Adresse, sei es eine neue Bierbar, ein neues Bierrestaurant oder eine neue Brauerei. Seit mehreren Jahren schon eröffnet in Tschechien mindestens eine neue Brauerei pro Woche, und die Hälfte dieser Entwicklung findet im Umkreis von Prag und Pilsen statt.
Ein kurzer Blick ins schlaue Telefon, und tatsächlich: Seit etwa einem halben Jahr (seit Mai 2018, um genau zu sein) hat das Hotel Roudná in seinem Restaurant Saloon Roudná auch eine Brauerei, die 1. Roudenský Pivovar. Deftige Küche, selbstgebraute Biere, und das Ganze nicht weiter als fünfzehn Minuten von der Autobahnabfahrt entfernt. Passt!
Wir haben sogar Glück, finden einen (gebührenpflichtigen) Parkplatz nur 80 m vom Restaurant entfernt, und rasch sitzen wir im nur halb gefüllten (aber für den späteren Abend ziemlich ausreservierten) Schankraum. Nett ist es, mit bieriger Deko an den Wänden, dazu ein Kuhfell und ein paar andere Gerätschaften, ansonsten viel Holz, ein paar Jagdtrophäen, viele Flaschen. Hat man alles überall schon mal gesehen, ist aber trotzdem irgendwie immer wieder ansprechend. Krachlederne Gemütlichkeit.
Jetzt passiert aber erst einmal eine Weile lang nichts. Die beiden jungen Kellnerinnen laufen mit muffigen Gesichtern durch den Schankraum, kümmern sich aber nicht um uns, sondern ignorieren uns völlig. Viel zu tun ist nicht, also kann es nicht an Überlastung liegen. Lange Minuten schauen wir uns das Elend an, bis irgendwann eine der beiden zu uns an den Tisch kommt. Geradezu überrascht tut sie, als wir etwas zum Essen bestellen wollen, und dazu ein Dvanáctká, also ein Zwölfer – ein zwölfgrädiges Bier. „Ein Pilsner Urquell oder ein eigenes von uns?“, fragt die Kellnerin, und ich betone, dass es natürlich ein vor Ort gebrautes sein soll, also das Maršoun 12°, so, wie es auf der Bierliste vor uns angepriesen ist.
Augenblicke später serviert sie mir einen Pilsner-Glaskrug mit klarem, dunkelgoldenem Bier, mit feiner Schaumkrone und einem Hauch von Diacetyl. Ich nehme einen winzigen Schluck und bin mir sicher: Das ist ein Pilsner Urquell. Kein eigenes Bier.
Erst nach heftigem Winken bequemt sich die junge Dame wieder zu uns an den Tisch. „Ach, Sie wollten ein Maršoun?“ Ich verdrehe die Augen. „Dann nehme ich das halt wieder mit.“
Im zweiten Anlauf bekomme ich das gewünschte vor Ort gebraute Bier. Endlich. Es schmeckt ganz vorzüglich, dem Pilsner Urquell gar nicht unähnlich. Ebenfalls ein Hauch von Diacetyl, eine aromatische Fülle, ein kremiger Schaum. Allerdings ungefiltert; schön gleichmäßig getrübt. Sehr fein. Ein Bier, dessen sich die Brauerei nicht zu schämen braucht – warum also die Fragerei zu Beginn?
Das Essen kommt, und die Portion ist überraschend klein. Das erlebt man in Tschechien selten, dass man von einem – durchaus guten – Fleischgericht nicht richtig satt wird. Hm.
Ziehen wir mal eine Zwischenbilanz. Service schlecht, Essen überraschend teuer, Bier im zweiten Versuch ausgezeichnet (naja, eigentlich im ersten auch schon, aber das zählt nicht, wenn man etwas serviert bekommt, was man gar nicht bestellt hat). Richtig zufrieden sind wir aber nicht, zumal uns die Muffelei der Bedienung richtig auf den Keks geht.
„Na gut, ein Bier probiere ich noch, dann fahren wir weiter“, sage ich zu meiner holden Ehefrau, die ab hier das Steuer übernehmen wird. „Okay?“ Sie nickt: „Okay!“
Im Service findet ein Schichtwechsel statt, und eine andere Kellnerin kommt an unseren Tisch. Ein Unterschied wie Tag und Nacht. Sie bekommt die Zähne auseinander und kann sogar freundlich lächeln. „Ein Zehner, bitteschön, also das Roudeňák 10°“, bestelle ich, und rasch bekomme ich, was ich gewünscht hatte. Leicht und süffig, lediglich 4,0% Alkohol, aber geschmacklich voll auf der Höhe. Blitzschnell ist das Glas leer.
Während meine Frau sich für einen Moment entschuldigt, bitte ich unsere neue Kellnerin, die wirklich fix zu sein scheint, noch um ein Glas des Dreizehners, des Sobol 13°. Ein Halbdunkles, drei Monate lang gelagert. Als sie es serviert, frage ich noch neugierig, wo denn die Brauerei stünde, auf der diese Biere entstehen, ich sähe ja gar keine Braukessel. Und ob man die denn auch mal kurz anschauen könne.
„Oh, das ist kein Problem. Die Brauerei steht oben und im Hinterzimmer, da kommt man nicht so ohne weiteres hin. Aber da vorne sitzt unser Brauer, der zeigt Ihnen das alles bestimmt gerne“, lautet die Antwort. Am Nachbartisch, dort, wo ein halbes Dutzend gestandener Mannsbilder schon beim gefühlt siebenundzwanzigsten Seidla sitzt und große Reden schwingt, steht ein Herr mit Bierbauch und ordentlicher Fahne auf und kommt zu mir rüber. „Ich bin hier zwar der Brauer, aber so richtig Brauer bin ich doch wieder nicht. Ich bin Hausbrauer, und immer dann, wenn hier Bedarf besteht, braue ich denen hier im Roudná wieder einen Sud frisches Bier.“ Er nestelt einen Schlüsselbund aus der Hosentasche. „Komm mit!“
In wenigen Minuten flitzen wir durch die Brauerei. Der Whirlpool und die Kühlung stehen im Erdgeschoss im Hinterzimmer, der Maischebottich und die Würzepfanne im oberen Stockwerk direkt darüber. Fünf Hektoliter entstehen hier pro Sud, erfahre ich und bekomme die sechs Lagertanks gezeigt, in die jeweils ein Doppelsud hineinpasst. Platz zum Lagern sei genug, heißt es, insofern brauche sich kein Gast Sorgen zu machen, dass hier das Bier einmal ausginge. Der Brauer lacht.
„Und hier kommt mein Geheimnis“, sagt er und öffnet die nächste Tür. „Offene Gärung, schau mal!“ Ich blicke in den Edelstahlbottich mit der schönen, kremigen Kräusenschicht. „Oh, ja, das ist immer wieder schön anzusehen.“
Obwohl ich nur einige wenige Worte Tschechisch spreche und der Brauer kaum Deutsch und kein Englisch, verstehen wir uns ausgezeichnet. In alle Räume darf ich reinschauen und meine Fotos machen. „So, jetzt müssen wir aber wieder runter“, heißt es schließlich. „Ich habe Durst!“
Durst? Ich kann ein Grinsen nicht unterdrücken. Wer nach so vielen Halben immer noch Durst hat… Aber es kommt mir durchaus gelegen. Unten wartet meine Frau, wir haben noch ein paar Stunden Fahrt vor uns, und mein Dreizehner wartet auch auf mich und wird langsam warm.
Ich danke dem Hausbrauer für die nette Führung und mache mich über das dritte, das letzte Bier her. Leider das einzige, das ein wenig enttäuscht. Irgendwann während der dreimonatigen Lagerung muss es ganz leicht sauer geworden sein. Nicht untrinkbar, aber doch so, dass man merkt, dass mit diesem Bier irgendetwas nicht ganz stimmt. Aber soll ich dem Brauer das jetzt erklären? Und würde mir das höflich gelingen, angesichts unserer Sprachprobleme? Ach, ich lasse es sein, hebe meinen Krug und proste dem Nachbartisch zu: „Na zdraví, und vielen Dank für die spontane Brauereiführung!“
Und so hat die Rast in Plzeň trotz zunächst schlechter Eindrücke im Restaurant Saloon Roudná doch noch ein schönes, bieriges Ende gefunden. Ein netter Brauer, zwei sehr süffige Biere, eine hübsche Brauerei und ein Blick auf die offene Gärung. Was will man eigentlich als Bierliebhaber noch mehr?
Der Saloon Roudná, in dem sich die 1. Roudenský Pivovar befindet, ist täglich ab 10:00 Uhr durchgehend geöffnet, sonnabends und sonntags erst ab 11:00 Uhr; kein Ruhetag. Er befindet sich nördlich der Altstadt Pilsens, nördlich des Flüsschens Mže. Ein paar gebührenpflichtige Parkplätze gibt es in der Nähe, aber man muss Glück haben, eine freie Lücke zu finden. Besser, man kommt mit dem Stadtbus, Linie 33 oder 40, Haltestelle Otýlie Beníškové, rund 100 m vom Saloon entfernt.
Saloon Roudná / 1. Roudenský Pivovar
Na Roudné 387/17
301 00 Plzeň
Tschechien
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