Hier haben zwei etwas zu erzählen – das merkt man von der ersten Seite an. So viele bierige Erlebnisse wollen auf so wenige Seiten gebracht werden. Das Buch soll ja kein dicker Wälzer werden, mit dem man den Nachbarn auf der Bierbank erschlagen kann, sondern es soll handhabbar bleiben, bezahlbar, und im Format noch so, dass man es vielleicht auf eine Bahnreise mitnehmen und dort gemütlich lesen kann.
Ich weiß nicht, ob Fritz und Heike Wülfing, die Autoren des Buchs Craft Bier selber brauen, sich das so gedacht haben, mit der Bahnfahrt, aber ich habe es so gemacht. Im Eurocity, quer durch Europa, und ehe ich mich versah, hatte ich das Buch in einem Rutsch durchgelesen.
Fritz Wülfing als der Brauer des Fritz-Ales, einer der Pioniere der neuen deutschen Bierszene. Fritz-Ale, die Marke, die es nicht mehr gibt, weil die Hersteller der Fritz-Cola der Meinung waren, hier bestünde Verwechslungsgefahr. Naja, muss eine seltsame Cola sein, wenn sie sich vor einer Verwechslung mit knackig gehopften Bieren fürchten muss …
Fritz (also Wülfing jetzt, nicht die Cola) benannte sein Bier also um, vertreibt es fortan unter der Marke Ale Mania, einem genialen Wortspiel, und fast muss man den seltsamen Typen hinter der Fritz-Cola für ihre albernen Ängste dankbar sein, dass sie uns dieses Wortspiel, diese geniale Marke erst ermöglicht haben …
Aber ich schweife ab. Fritz Wülfing ist nicht nur Brauer, sondern auch hervorragender Kenner der Craftbier-Szene in Deutschland und in der Welt, und hat somit viel zu erzählen. Und seine Frau Heike, die ihm bei all seinen bierigen Abenteuern den Rücken freihält oder ihn begleitet, im Gefolge natürlich auch.
Entstanden ist ein Buch, das nach dem obligatorischen Blick auf die Geschichte des Biers zunächst die Craftbier-Revolution beschreibt, die neue Bierkultur, wie Fritz und Heike die Revolution benennen. Und ist dem Leser dann erst einmal der Mund wässrig gemacht worden, folgt eine Anleitung, wie man sein Bier zuhause selbst brauen kann. Entfrachtet von allem Hokuspokus fokussiert sich die Anleitung auf die wirklich wichtigen Schritte, um erst einmal ein leckeres, trinkbares Bier herzustellen. Die hohe Kunst des anschließenden technischen Verfeinerns, die so oft die Trennlinie zwischen Hobbybrauer und Hobbybastler verschwimmen lässt, bleibt außen vor. Stattdessen kommen ein paar grundsolide Rezepte für die wichtigsten, leckersten und spannendsten Bierstile.
Nach diesem Ausflug in die Welt des Selbermachens, aus der Fritz aus bestem eigenem Erleben berichten kann, denn schließlich ist er ja genau diesen Weg vom Hobbybrauer zum Nebenerwerbsbrauer (und vielleicht bald zum Vollerwerbsbrauer?) gegangen, kommen weitere Kapitel mit Geschichten, Porträts und spannenden Informationen aus der Welt des Craftbiers. Regional zusammengefasst: Zunächst die amerikanische Craft-Bier-Szene, dann die neue deutsche Bierszene und schließlich die Bierszene in Europa.
Die kurzen Abschnitte über die Bierstädte der Welt und darüber, wie man Bier am besten verkostet, runden das Buch ab, lassen den wilden Reigen durch die Themen rund ums Craftbier langsam ausklingen.
Ein schönes und lesenswertes Buch, und man merkt bei jedem einzelnen Absatz, mit wie viel Liebe und Herzblut die beiden geschrieben haben. Klar, man könnte jetzt ein wenig meckern. Meckern über teilweise verkürzte und vereinfachte Darstellungen. Meckern über die teilweise etwas überraschenden Themenwechsel. Aber, ach, das wäre Meckern auf allerhöchstem Niveau. Wäre denn ein wissenschaftlich akribisch recherchierter dicker Wälzer wirklich die bessere Alternative? Ginge ob des Detaillierungsgrades und der übermäßig korrekten Wortwahl denn dann nicht zu viel von gerade dem Herzblut verloren, was dieses Buch so lesenswert macht? Aber sicher doch, und so lautet mein Fazit: Wer Spaß am Bier hat (oder noch bekommen möchte), der lese dieses Buch, der lasse sich entführen auf eine Kreuz- und Quer-Fahrt rund um den Globus, durch die Welt des Bieres. Und vor allem: Er mache bitte nicht den gleichen Fehler wie ich, und lese dieses Buch fernab vom nächsten Craftbier …
Mein trockener Hals im Eurocity wurde mir von Seite zu Seite mehr bewusst, und im Speisewagen gab es nur großindustriell gebrautes Malzgetränk, das den Namen Bier nicht verdiente … Wie schön, dass die Reise aber in Hamburg endete, einer der Städte Deutschlands, in denen die neue Bierszene schon Fuß gefasst hat, und in der ich meinen durch das Lesen des Buches zwar nicht erst entstandenen, aber massiv verschlimmerten Craftbier-Durst dann auch rasch stillen konnte.
Also, kategorischer Imperativ: Dieses Buch gehört gelesen!
Aaaber, lieber Fritz, liebe Heike (oder sollte ich diese Kritik nun eher an den Verlag Lempertz richten?), an der Verarbeitungsqualität des Buches gehört ein wenig gearbeitet. Das Drucklayout mit dem verschmiert grauen Hintergrund, der wirkt, als hätte ein Uralt-Fotokopierer bei der Produktion Streifen gezogen, ist das Absicht? Oder billige Druckqualität? Und auch, dass die Bindung beim ersten Lesen schon an die Grenze ihrer Belastbarkeit gekommen ist, und beim zweiten Lesen oder beim Nachschlagen der Rezepte die ersten Seiten einzeln herausfallen werden, das muss doch nicht sein? Some room for improvement, wie der Lateiner sagt, so er denn Englisch kann, sei hier identifiziert. Für die zweite Auflage, die es doch wohl hoffentlich geben wird!
Fritz & Heike Wülfing
Craft Bier selber brauen
Mathias Lempertz GmbH
Königswinter 2014
ISBN 978-3-943883-15-2
Danke für dieses Review. Werde mir das Buch gleich mal besorgen :D