Brütend heiß ist es in Toronto. Der Schweiß läuft mir von der Stirn, und ich quäle mich durch den Nachmittag. Ich bin gerade erst gelandet, die innere Uhr mahnt mich, dass es Zeit sei, ins Bett zu gehen, aber der Blick auf die Uhr bestätigt, was auch der noch recht hohe Sonnenstand verkündet: Nein, es ist nicht Schlafenszeit, sondern erst kurz vor sechs. Irgendwas muss ich jetzt noch machen, kann mich noch nicht ins Bett legen. Was ganz „Originelles“ also? Ein paar leckere Feierabendbiere vielleicht?
Ein paar Stationen mit der alten, klapperigen Metro, dann noch etwa dreihundert Meter zu Fuß in Richtung Osten, und schon stehe ich vor der Granite Brewery. Nur ein Pärchen sitzt draußen auf der Terrasse in der prallen Sonne; alle anderen Gäste bevorzugen den klimatisierten Innenbereich.
Ich gehe durch die Tür und laufe direkt auf die kleine Bar zu. Dunkles Holz und dunkelgrüne Farbakzente verbreiten gemütliche und warme Atmosphäre. Rechter Hand der Schankraum ist im Stil eines Lesezimmers oder einer kleinen Bibliothek eingerichtet und gefällt mir auf Anhieb. Rötlich-braune Holzmöbel, ein paar gepolsterte Sitzbänke, und an den weiß überstrichenen Ziegelwänden stehen ein paar Bücherregale. Ein Raum, der dazu einlädt, es sich mit einem Bier und einem Buch oder dem Laptop gemütlich zu machen – ganz abseits der in nordamerikanischen Bars und Restaurants so gerne gepflegten Hektik, die nur darauf aus ist, möglichst viel in möglichst kurzer Zeit zu konsumieren und dann das Feld wieder zu räumen.
Ich überfliege die durchaus interessante und umfangreiche Bierliste und bestelle mir zunächst ein Best Bitter. 4,5% Alkohol hat es, überzeugt mit einer schönen, rotbraunen Farbe (perfekt zu den Möbeln passend…), einer dünnen, aber dichten Schaumdecke und solide ausbalanciertem, bitterem und leicht hefigem Geschmack. Ein solides Bier für den Start und eines, das ich durchaus auch als Alltagsbier zum Feierabend trinken könnte.
Das India Pale Ale, das ich mir als nächstes bestelle, hat ebenfalls nur recht wenig Alkohol (4,9%). Das war’s dann aber auch mit den Gemeinsamkeiten zum Best Bitter. Hell leuchtendes Orange im Glas, ein schöner und haltbarer, schneeweißer Schaum und dezent fruchtige, vor allem aber etwas harzige und kräuterige Aromen erfreuen schon vor dem ersten Schluck. Es folgt ein sehr schön ausbalanciertes Konzert aus Hopfen und Malz, aus Bittere und Süße. Ich bin hochzufrieden.
Im hinteren Bereich sehe ich durch große Glasscheiben das kleine Sudwerk, auf dem diese Biere entstehen. Hübsch ist es nicht. Simple Edelstahlbehälter, denen man ansieht, dass hier fast täglich gearbeitet wird. Alles ist sauber, aber man merkt, dass niemand daran interessiert ist, das Sudwerk täglich zu polieren und bewusst zur Schau zu stellen – es ist, als schaute ich in einen Maschinenraum, der ausdrücklich nur den dort arbeitenden Mechanikern zugänglich ist. Kunststoffeimer, kleinere Gerätschaften und Zubehör stehen überall herum, und außer denen, die hier jeden Tag arbeiten, durchblickt wohl niemand das Sortiersystem.
Aber sei’s drum – wichtiger als die Optik ist der Geschmack des Biers, und viel zu oft schon habe ich es erlebt, dass auf Sudwerken, die liebevoll auf Hochglanz poliert werden und die man wie einen Altar in der Mitte des Raums einer Gasthausbrauerei platziert hat, nur mäßige, manchmal sogar richtig schlechte Biere entstehen. Dann doch lieber so herum.
Ich schlendere zu meinem Platz zurück und komme an zwei Schachspielern vorbei, die ob ihrer offensichtlich schon seit Jahren andauernden Partie in ihren Stühlen zusammengesackt sind.
Ein letztes Bier möchte ich mir für heute noch gönnen, bevor ich dann doch den Kampf gegen die Müdigkeit, die Zeitverschiebung und die Hitze aufgebe und mich ins Hotelbett werfe. Der freundliche junge Kellner empfiehlt mir das Galactic Pale Ale. Ebenfalls recht leicht im Alkohol und daher in der Hitze gut verträglich – gerade mal 5,0%. Klar und kupferfarben steht es im Glas, der Schaum ist weiß und recht fest. Die Hopfenaromen gehen deutlich ins Bittere und Fruchtige, aber der Kontrast zwischen diesen beiden Gegenpolen wirkt nicht ganz stimmig. Statt eines spannenden Wechselspiels geht es eher in eine leichte Dissonanz. Nach dem ersten Schluck wird es besser, auf der Zunge kommen die beiden Komponenten etwas leichter zusammen, und insofern ist dieses Bier von den drei heute probierten zwar das schlechteste, aber durchaus noch mit viel Freude trinkbar.
Noch einmal lasse ich meinen Blick durch den Raum schweifen. Eine sehr entspannte und freundliche Atmosphäre, nur leise Musik und ein sehr aufmerksames Personal. Dazu eine recht lange Liste von Bieren mit hoher Drinkability, die nicht nur durch Exotik überzeugen, sondern auch dadurch, dass ich mir gerne ein zweites oder gar drittes Glas von jeder Sorte bestellen und trinken würde. Wenn denn mehr Zeit und Durst da wären. Schön!
Die bereits 1991 eröffnete Granite Brewery ist mit Stand 18. Juli 2019 täglich ab 11:30 Uhr, sonntags bereits ab 11:00 Uhr, durchgehend geöffnet; kein Ruhetag. Außer Bar und Restaurant gibt es auch einen kleinen Laden, der Bier, Souvenirs und Werbeartikel der Brauerei verkauft. Zu erreichen ist die Brauerei recht gut mit der Metro, Linie 1, Station Eglinton, und von dort aus zu Fuß die Eglinton Ave etwa sechs, sieben Minuten in Richtung Osten entlang.
Granite Brewery
245 Eglinton Ave E
Toronto
ON M4P 3B7
Kanada
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