Eine lange Heimfahrt, diagonal durch die Republik. Vom äußersten Nordosten bis in die südlichste Stadt Deutschlands. Die Autobahnen ziehen sich ins Unendliche und – natürlich! – reiht sich wieder ein Stau an den nächsten. Irgendwann ist das letzte Butterbrot gegessen, der letzte Apfel weggehappst und die letzte Flasche Saft getrunken. Hunger und Durst machen sich breit, aber gnadenlos erzählt das Navi von soundsovielen Stunden, die es noch dauert…
Es hilft alles nichts, eine längere Pause muss her, sonst sinkt die Stimmung an Bord auf den Nullpunkt.
Zum Glück empfiehlt das gleiche Navi, das uns mit den Hiobsbotschaften von Staus und Restfahrzeit nervt, auch eine ganz nahe an der Autobahn A9 liegende Brauerei – weniger als fünf Minuten von der Autobahnabfahrt Trockau entfernt: Brauerei & Landgasthof Kürzdörfer.
Über winzige Sträßchen geht’s bis ins Dorf Lindenhardt, und dann liegt sie vor uns, die kleine Brauerei. Das unscheinbare grauweiße Gebäude mit den grünen Streifen beherbergt das Sudwerk. „Brauerei Kürzdörfer“ steht auf der Stirnwand, und auf der Längsseite lesen wir zusätzlich „Lindenhardter Bier“. Daneben ist ein hölzerner Braubottich gezeichnet, in dem klassisch ein paar Gerstengarben, eine Malzschaufel, eine hölzerne Schöpfkelle und ein paar Hopfenranken stecken.
Leider war’s das dann auch – mehr sieht man vom Sudhaus leider nicht.
Hinter dem Gebäude kommt ein uraltes, kleines Biergärtchen. Dicke Steinmauern markieren den Eingang zu einem Bierkeller, kleine Plattformen könnten Bierbänke und -tische beherbergen. Aber leider: Statt Biergartenatmosphäre finden wir heute nur ein Hinweisschild: „!!! Vorsicht !!! – Eichen-Prozessionsspinner – Aufenthalt unter dem befallenen Baum aus gesundheitlichen Gründen nicht empfehlenswert!“
Sollte es das mit unserem Brauereibesuch etwa schon wieder gewesen sein?
Zum Glück nicht.
Schräg gegenüber des kleinen, verlassenen Biergärtchens sehen wir ein großes Blockhaus, das den Landgasthof der Brauerei beherbergt. Allzu alt kann es noch nicht sein – die gewaltigen Holzstämme sehen noch frisch aus. Sie sind noch nicht unter dem Einfluss von Wind, Wetter und Sonne grau geworden, sondern leuchten noch rötlich wie frisch gefällt und entrindet.
Der Eingang liegt an der Rückseite, und über eine kleine Terrasse, die bei dem heutigen Regen allerdings verwaist ist, betreten wir die Schankstube. Rotweiß karierte Tischdecken, rote Vorhänge, Holzmöbel, klassische Dekoration – hier ist alles so, wie man es in einem alten fränkischen Gasthof erwartet. Als sei die Zeit stehengeblieben. Eine leichte Unordnung auf der Theke und rundherum, schöne alte Urkunden an der Wand, die beweisen, dass die Brauerei schon seit mehreren Generationen in Familienhand ist, und mittendrin, am größten Tisch, sitzt die Wirtsfamilie mit ein paar Dörflern.
Viel los ist nicht, die Mittagszeit geht gleich zu Ende. Höflich fragen wir, ob wir trotzdem noch etwas zu essen bekommen können, und freundlich nicken uns die Wirtsleute zu. Fast schon klassisch bestellen wir Schnitzel mit Kartoffelsalat und werden überrascht: Statt eines Schnitzels mit Kartoffelsalat bekommen wir jeder zwei. „Der Gast soll ja schließlich satt werden“, lacht die Wirtin und stellt einen Krug mit dem Standardbier vor mich. Lindenhardter Hell. Golden und blank lacht es mich an, eine schöne und schneeweiße Schaumkrone steht über dem Bier. Der Geruch ist fein malzig, und durch die relativ geringe Spundung fließt das Bier weich und süffig über die Zunge. Ein ganz hervorragender Begleiter zum deftigen Essen.
Wie gut, dass ich den Rest der Strecke nicht fahren muss, denke ich mir, und bestelle mir noch ein zweites Bier, diesmal das Lindenhardter Dunkel. Ähnlich appetitlich sieht es aus, ähnlich mild und weich trinkt es sich. Feine Dunkelmalznoten unterscheiden es vom Hellen; auch hier ist die Spundung recht gering, was das Bier sehr süffig macht. Wirklich fein!
Ein Weilchen bleiben wir noch sitzen und entspannen, bevor die nächste und hoffentlich letzte Etappe der Fahrt beginnt. Außer uns sitzen nur noch die Stammgäste mit den Wirtsleuten am Tisch, und unfreiwillig belauschen wir die von mehreren Seidla beflügelten Gespräche. Von der variablen Bierkastengröße ist beispielsweise die Rede – davon, dass die Brauereien im Sommer immer viel kleinere Bierkästen ausliefern würden als im Winter. Indizien dafür gebe es genug, heißt es, denn im Sommer müsse man pro Woche immer zwei Kästen Bier kaufen, wohingegen man im Winter ja mit einem wöchentlich auskäme…
Wir schmunzeln vergnügt.
War diese kleine Geschichte ja noch witzig, mischt sich in die folgende aber eine gewisse Bitterkeit. Es gehört wohl schon Mut dazu, dem Wirt ins Gesicht zu erzählen, dass man in letzter Zeit häufiger mal die billigen Ein-Liter-Bierdosen von der Tankstelle holen würde, die seien deutlich billiger als das in Lindenhardt beim Kürzdörfer gebraute Bier. Und so groß sei der geschmackliche Unterschied jetzt nicht, da könne man problemlos ein paar Cent sparen.
Mit unbewegter Miene hört sich der Wirt die Geschichte an, aber wir können uns vorstellen, was er gerade denkt. Einmal mehr erfahren wir, dass es leider viel zu viele Biertrinker gibt, bei denen es nur auf den Preis pro Liter ankommt. Geschmacksunterschiede können oder wollen sie nicht erkennen, und dass sie mit ihrer „Geiz ist geil“ Einstellung die Existenz der kleinen, lokalen Brauereien gefährden, mag ihnen nicht in den Sinn kommen.
Wieviel innere Unverschämtheit ist aber nötig, einem Dorfbrauer solche Gedanken direkt ins Gesicht zu sagen?
In der Hoffnung, dass nicht alle Dörfler in Lindenhardt und Umgebung so denken, machen wir uns langsam wieder auf den Weg. Eine kurze Mittagsrast nur, aber eine sehr schöne. Sehr süffiges Bier, eine sympathische Wirtshausatmosphäre und deftiges, gutes Essen zu niedrigen Preisen. Gerne einmal wieder, wenn uns die A9 erneut durch die Region lenken wird.
Mit Stand 13. Juli 2019 ist die Gaststätte der Brauerei & Landgasthof Kürzdörfer täglich von 11:00 bis 22:00 Uhr durchgehend geöffnet; Küche allerdings nur von 11:00 bis 14:00 Uhr und von 15:30 bis 20:00 Uhr. Montags ist Ruhetag. Abweichende Öffnungszeiten und Urlaub werden zuverlässig unter dem Link kurzfristig geschlossen angekündigt. Zu erreichen ist die Brauerei in weniger als fünf Minuten von der Autobahn A9, Abfahrt Trockau, in Richtung Osten. Ansonsten gibt es die Alternative, mit dem Linienbus zu kommen – aber wie das auf dem Land so ist: Wirklich oft fährt der leider nicht.
Brauerei & Landgasthof Kürzdörfer
Brauhausgasse 3
95 473 Creußen / Lindenhardt
Bayern
Deutschland
Es gab mal ein etwas polemisches Taschenbuch über deutsche Brauereien, da wurde das Lindenhardter Bier als das beste überhaupt beschrieben. Nachvollziehbar oder eher nicht? Ich konnte mich der Sichtweise nicht anschließen, obwohl das Bier mit Sicherheit nicht verkehrt ist.
Hallo, Gernot. Naja, Deine Frage ist mehr als berechtigt.
Als Polemik finde ich solche Bemerkungen wie „bestes Bier überhaupt“ witzig und gut. Das war’s dann aber auch.
Es geht schon damit los: Welches Lindenhardter Bier? Das Helle? Das Dunkle? Beide? Auf Bemerkungen wie „Paulaner ist ein tolles Bier“ können die wenigsten, die so etwas sagen, konkret auf die Frage antworten „Welches aus dem Dutzend verschiedener Biere von Paulaner denn?“ (Wobei Paulaner nur ein x-beliebiges Beispiel ist.)
Weiter: „Bestes Bier überhaupt“? Überhaupt? Das postuliert ja, dass derjenige (oder diejenige), der (die) so etwas sagt, alle anderen Biere schon probiert hat. Oder woher kommt die Gewissheit dieses Wortes „überhaupt“?
Drittens: Was heißt denn „bestes“? In welcher Kategorie ist der Superlativ angebracht? Bestes im Verkauf? Bestes in Preis-Leistungs-Relation? Bestes im Geschmack?
Ich persönlich fand das Lindenhardter Hell außerordentlich süffig. Da kann ich einen halben Liter ansetzen und wegzischen, obwohl ich eigentlich gar keinen Durst habe. Das ist ja immerhin schon ein Qualitätsmerkmal. Und zwar ein wichtiges. Ob ich das Bier aber in einer Blindverkostung unter mehreren ähnlichen immer eindeutig identifizieren könnte? Da bin ich mir – trotz vieler tausend Biere „Erfahrung“ – nicht sicher. Vielleicht ist es gerade wegen seiner Süffigkeit dafür dann zu gefällig, hat wenig Ecken und Kanten.
Ich habe es jedenfalls sehr gerne getrunken und mich beim Kürzdörfer wohlgefühlt.
Mit bestem Gruß,
VQ