Was gibt es Schöneres, als auf Reisen neue Bräuche kennenzulernen und in möglichst freundschaftlichem Umgang miteinander einmal über die Grenzen zwischen den Kulturen der Welt zu schauen. Jede Reise bildet, und jede Reise hilft, platte Vorurteile gegenüber Menschen, die in einem anderen Kulturkreis aufgewachsen und sozialisiert worden sind, zu überwinden. Natürlich gibt es in jeder Kultur und in jeder Region der Welt immer wieder Individuen, die man nicht wertschätzen muss oder sollte, aber die in letzter Zeit in der Politik so oft anzutreffende Pauschalisierung ist – wie die Erfahrung zeigt – immer fehl am Platz.
Besonders gefällt es mir immer dann, wenn verschiedene Kulturen aufeinander zu gehen und im spielerischen Umgang miteinander Neues schaffen, neue Ideen kreieren und neue Sichtweisen ermöglichen. Auch und gerade in der Welt des Biers.
So stehe ich in Toronto vor einer kleinen Brauerei, die auf kanadischem Grund und Boden deutsche und tschechische Bierkultur mit japanischen Elementen kombiniert: Die Godspeed Brewery.
Der Name der Brauerei drückt den Wunsch nach Erfolg oder einer glücklichen, langen Reise auf eine etwas altmodische Art und Weise aus. Godspeed. Sagt das heute überhaupt noch jemand? May God spede your endeavour! Möge Gott Dein Vorhaben zum Erfolg führen!
Hinter der kleinen Eingangstür öffnet sich eine große Halle, die Elemente des Industrial Chic mit schlichten, aber dennoch im Detail durchdachten Formen und Farben kombiniert. Eher dezent blasse Farbtöne, viel Grau und viel Holz, gerade Linien. Ansprechende Schlichtheit.
Linker Hand eine einfache, wie mit dem Lineal gezogene Theke, an der Holzwand dahinter aufgeschraubt auf eine glänzende Stahlplatte fünfzehn Zapfhähne, darunter auf weißem Untergrund mit schwarzem Filzstift handschriftlich notiert, was an dem jeweiligen Hahn gezapft wird.
Geradeaus blicke ich auf eine kleine, offen im Raum stehende Küche, auf deren Dunstabzug japanische Schriftzeichen stehen, die vermutlich die hier angebotenen Speisen beschreiben. Direkt hinter der Küche kommt eine große Glaswand, und dahinter wiederum sehe ich, rund die Hälfte der Halle einnehmend, das Sudwerk, die Lagertanks und ein paar Reihen von Holzfässern.
In der Mitte des Raums schließlich, vor der kleinen Küche, stehen Tische, Stühle und Bänke. Ganz schlicht und fast schon kühl auch ihr Design.
Ich gehe einmal an der Theke entlang und lese die ungewöhnlichen japanischen Bezeichnungen für die Biere und stutze: Mittendrin plötzlich eine tschechische Bezeichnung. Světlý Vyčepní 10° Nefiltrowane Pivo.
Als ich Platz genommen habe und mir die Bierkarte greife, wird es noch bunter. Es gibt verschiedene tschechische Bierstile, es gibt deutsches Helles und Dortmunder, aber es gibt auch ein Saisonbier mit japanischen Zitrusfrüchten und ein IPA mit grünem Tee. Ein buntes Gemisch, ein spannendes Crossover.
Insbesondere das Yuzu, das Saison with Japanese Citrus, interessiert mich, und ich bestelle mir ein kleines Glas. Gleichmäßig trüb und hellgelb, mit feinem, lang haltbarem Schaum steht es vor mir. Leichte Zitrusnoten, an Bergamotte erinnernd, kitzeln in der Nase, während die phenolischen, kräftigen Noten der Hefe eher im Mund und am Gaumen dominieren. Ein sehr schönes, erfrischendes und geschmacksstarkes Bier mit gerade einmal 4,1% Alkohol.
Während ich das Bier und einen kleinen Imbiss dazu genieße, beschäftige ich mich ein bisschen mit den Namen in der Bierkarte. Die tschechischen Bezeichnungen sind klar. Helles und dunkles Lager, Schankbier und unfiltriertes Schankbier – světlý ležák, tmavý ležák, světlý vyčepní, světlý vyčepní nefiltrowani.
Viel spannender sind aber die japanischen Bezeichnungen. Das Dortmunder Export nennt sich zum Beispiel Otsukaresama. Ein Bekannter hilft mir auf die Sprünge: Otsukaresama heißt sinngemäß so viel wie „ich bin müde (weil ich so viel gearbeitet habe)“. Eigentlich also die perfekte Bezeichnung für ein Bier, das seinen Erfolg seiner guten Trinkbarkeit nach einer harten Schicht im Bergbau verdankt, nämlich für ein Dortmunder Export. Hunderttausende von Bergleuten spülten im letzten Jahrhundert ihre staubigen Kehlen nach der Arbeit mit Dortmunder Exportbier durch und waren müde, weil sie so viel gearbeitet haben…
Ähnlich bildlich beschreibend das Ikinuki. Das heißt so viel wie „außer Atem“, und passt für ein ungespundetes Kellerbier, das nur wenig Kohlensäure aufweist. Ein Bier, dass nicht sprudelt und schäumt, ist eben außer Atem.
Am Hagoromo scheitere ich dann allerdings. Weder hilft mir mein mit dem Japanischen etwas vertrauter Bekannter noch weiß Onkel Google Rat. Hagoromo ist die innere Schicht eines Kimonos, „the inner layer“, wie mir auch die freundliche Bedienung lachend verrät. Aber was das mit einem einfachen hellen Lagerbier zu tun haben soll? Die Assoziation Layer = Lager ist wohl ein bisschen weit hergeholt…
Bevor ich mir mit diesen komplizierten Wortspielen zu sehr den Kopf zerbreche, bestelle ich mir doch lieber noch ein Bier und wähle das Kazoku, ein Saison mit Pflaumen, das 48 Wochen lang auf Brettanomyces Hefe gelagert wurde. 6,0% Alkohol hat es und überzeugt mit kräftigem, aber nicht zu dominierendem phenolischem Aroma der Brettanomyces Hefe und paart dieses sehr harmonisch mit den Pflaumen. Sehr schön. Vor allem passt es hervorragend zu dem feinen Dessert, das mir die junge Kellnerin wärmstens empfohlen hat.
Am frühen Nachmittag ist nicht allzu viel los. Nach dem Ansturm zur Mittagszeit und vor dem Abends Ausgehen ist es etwas ruhiger, und so hat die Kellnerin Zeit, sich mit mir noch ein wenig zu unterhalten. Seit zwei Jahren erst gebe es die Brauerei, man sei noch ganz jung am Markt, aber durchaus zufrieden. Sowohl die deutsche und tschechische als auch die japanische Kultur seien in Toronto, dieser bunten und multikulturellen Stadt sehr beliebt, aber eine Kombination aus beidem gebe es nur hier in die Godspeed Brewery, erzählt sie mir.
Mir persönlich gefällt’s. Spannendes japanisches Essen, klassisch mitteleuropäische Bierkultur, und dazwischen immer wieder Speisen und Biere, die beide Welten miteinander verknüpfen. Hier käme ich wohl gerne noch ein paar Mal her, um viele andere interessante Kombinationen aus der Menükarte zu verkosten und zu genießen. Auf Basis meiner heutigen, einmaligen Erfahrung aber auf alle Fälle schon mal eine große Besuchsempfehlung.
Die Godspeed Brewery ist täglich ab 16:00 Uhr, freitags ab 15:00 Uhr und sonnabends und sonntags ab 12:00 Uhr geöffnet; kein Ruhetag. Die Küche beginnt jeweils eine Stunde später (außer sonnabends und sonntags, da geht’s gleich los mit dem Kochen). Wer sich sein Bier nur zum Mitnehmen kaufen möchte, kann wochentags auch schon ab 13:00 Uhr, freitags bis sonntags ab 11:00 Uhr kommen. Mit der Light Rail, der Staßenbahn Torontos, fährt man mit der Linie 306 oder 506 bis zur Haltestelle Gerrard St East At Ashdale Ave, und von dort aus sind es zwei Minuten Fußweg in ostwärtiger Richtung bis zur Brauerei.
Godspeed Brewery
242 Coxwell Ave
Toronto
ON M4L 3B2
Kanada
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