Ein bisschen wurschtelig und ungepflegt sieht es ja schon aus, das über 100 Jahre alte Gebäude, das vielleicht mal eine schöne, kleine Villa war, jetzt aber mit anderen, eher zweckmäßig und preiswert errichteten Anbauten zusammengewachsen ist und eine kleine Brauerei beherbergt, die Rorschach Brewing Co.
Das kleine Biergärtchen vor dem Eingang ist verwaist. Liegt es an der knallheißen Sonne, die ungeschützt auf die Bierbänke und -tische herunterstrahlt, oder liegt es an dem doch etwas improvisierten Ambiente, das wirkt, als habe jemand mit zwei linken Händen sich einmal im DIY-Handwerk versucht? Zusammen mit der langen Reihe von in der Hitze etwas müffelnden Mülltonnen, die ausgerechnet vor dem Werbeschriftzug an der Seitenwand des Gebäudes stehen und diesen halb verdecken, wirkt das alles nicht wirklich einladend.
Ach, ich habe mittlerweile schon Brauereien in den merkwürdigsten Gebäuden und Umfeldern besucht, insofern lasse ich mich von dem etwas ungepflegten Eindruck nicht abschrecken und gehe jetzt erstmal ohne Vorurteile rein. Der Vorteil ist ja, dass in der Gluthitze heute der Durst nicht nachlässt.
Rorschach Brewing Co. – von drei Chemiestudenten vor zwei oder drei Jahren erst gegründet – hat sich als Leitthema Psychiatrie und Psychologie ausgesucht. Der Name Rorschach verweist somit nicht auf das gleichnamige Örtchen in der Schweiz am Bodensee, sondern auf den Rorschach-Test, der wiederum nach seinem Erfinder, dem Schweizer Psychiater Rorschach benannt wurde. Schon der erste Blick auf die Bierkarte zeigt, dass die Idee recht konsequent umgesetzt wird. Da gibt es ein IPA namens Reverse Psychology, ein Lager namens Reminiscence und ein Sour namens Memory Trace.
Collective Unconscious, Hedonism, Telekinesis, Truth Serum, Normopathie – die Wissenschaft des menschlichen Geistes und die Esoterik drumherum bieten eine unendliche Fülle von naheliegenden oder weit hergeholten Begriffen, die sich als Biernamen bestens eignen, wenn man auf Biegen und Brechen originell sein möchte.
Ich nehme an der Theke Platz und frage die Barfrau nach einem Bier mit tendenziell etwas weniger Alkohol. Sie empfiehlt mir das Reminiscence, ein Mexican Lager mit 4,9%. „Light and refreshingly crispy“, sagt sie noch dazu, bevor sie mir das Glas auf die Theke stellt. „Mexican Lager?“, frage ich. „Ist das mit Mais gebraut?“
„Nope!“ Sie schüttelt den Kopf und wendet sich ab, um unter den Zapfhähnen halbvolle Gläser hin und her zu sortieren. Also, entweder hat sie Probleme mit der Zapfanlage, dass da irgendwas nicht dicht ist, oder sie zapft gerade eine fürchterliche Sauerei zusammen. Was es wirklich ist, weiß ich nicht, will es auch nicht wissen, und vor allem kann ich es auch nicht genau sehen, da sie mit ihrem Rücken mir die Sicht verstellt.
Was ich aber sehen kann, das ist die Beschreibung des Reminiscence in der Bierkarte: „brewed with pilsner & vienna malts as well as a touch of corn“, heißt es dort. Also doch mit Mais gebraut. Was erzählt sie dann?
So richtig refreshingly crispy schmeckt es allerdings nicht, sondern eher ein wenig müde und dumpf. War das Glas vorgezapft und ist das Bier deswegen ein wenig abgestanden? Oder ist es für diesen Stil zu schwach gespundet und überhaupt zu wenig spritzig? Ich bin nicht zufrieden.
Auf dem Weg zur Toilette sinniere ich vor mich hin. Der Weg führt mich durch den hinteren Schankraum, an den Lagertanks und dem Sudwerk vorbei und zwischen Fässern und Abfüllstationen hindurch. Jeder Gast kann hier, wenn er will, zwischen den Gerätschaften herumlaufen. Seltsam, dass die örtliche Hygienebehörde das so erlaubt, zumal es auch ohne herumlaufende neugierige Gäste schon extrem eng ist. Den Brauer, der hier arbeiten muss, beneide ich nicht wirklich.
Zumindest sieht es in dem Durcheinander aber sauber aus – sicherlich eine Herkulesaufgabe, unter diesen beengten Verhältnissen alles pieksauber zu halten.
Im Schankraum zu sitzen und auf das Sudwerk zu schauen, ist hier sicherlich angenehm, da heute Nachmittag aber gar nichts los ist, gehe ich zurück an die Theke. Ein Double-Dry-Hopped IPA namens Reverse Psychology bestelle ich mir jetzt. 5,5% Alkohol, also auch nicht zu stark. Eine milchig trübe Flüssigkeit bekomme ich serviert, hellgelb. Ist ja gerade in Mode, dieser überhopfte und extrem trübe Bierstil. New England IPA wird er oft genannt. Das Reverse Psychology lässt die frische Fruchtigkeit im Aroma vermissen, trifft den Stil sonst aber recht gut.
Ob beim zweimaligen Hopfenstopfen (Oder ist mit Double-Dry-Hopped die doppelte Hopfenmenge gemeint? Oder die doppelt so lange Lagerzeit auf den Hopfendolden?) vielleicht nicht der allerfrischeste Hopfen oder die verkehrten Hopfensorten genommen worden sind? Oder hat die Barfrau herumgepantscht, vorgezapft und so das Aroma genauso wie sie Spritzigkeit erst am Schanktisch gekillt? Ich weiß es nicht, aber so ganz große Begeisterung will bei diesem Bier nicht aufkommen.
Hm, aus dem schönen Ambiente dieses alten Hauses hätte man vielleicht etwas mehr machen können. Nicht mehr bezüglich der Einrichtung, die ist – abgesehen vom Biergarten – schon recht ansprechend, aber vom Bier und vom Service her gibt es noch viel Luft nach oben. Die Rorschach Brewing Co. lässt mich also mit recht gemischten Gefühlen zurück.
Mit Stand 21. Juli 2019 ist die Rorschach Brewing Co. dienstags und mittwochs ab 17:00 Uhr, donnerstags bis sonntags ab 12:00 Uhr durchgehend geöffnet; montags ist Ruhetag, und sonntags schließt man bereits um 21:00 Uhr. Von der Straßenbahnhaltestelle Queen St East At Woodfield Rd der Linie 501 sind es keine zwei Minuten zu Fuß in südlicher Richtung.
Rorschach Brewing Co.
1001 Eastern Ave
Toronto
ON M4L 1A8
Kanada
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