Saaz, auf Tschechisch Žatec – unter Bierliebhabern DIE Bierstadt schlechthin. Der Saazer Hopfen ist weltberühmt, seine feinen, dezenten Aromen machten ihn schon vor Jahrzehnten zu DEM Aromahopfen überhaupt. Weit weniger berühmt ist die Saazer Brauerei, die Žatecký Pivovar. Obwohl schon vor mehr als 200 Jahren gegründet und obwohl mitten im weltberühmten Hopfenanbaugebiet gelegen, hat sie es nie geschafft, über ein gewisses Nischendasein hinauszukommen.
Saazer Bier finden wir zwar in den Supermärkten in Tschechien, aber immer nur als Dreingabe, irgendwo im Regal versteckt, niemals präsent, und auch die tschechischen Bierliebhaber, deren gewaltiger Bierdurst den der Deutschen bei weitem in den Schatten stellt, erwähnen die Žatecký Pivovar nur auf Nachfrage. „Žatecký? Ach ja, stimmt, die haben ja auch eine Brauerei…“
Und vor der stehen wir jetzt. Gespannt blicken wir durch das Tor der Brauerei in den erst vor drei Jahren frisch renovierten Innenhof. Schmuck schaut’s hier aus!
„Na, dann kommt mal mit“, lädt uns unser Führer, dessen Namen ich leider vergessen habe, ein und schließt das Tor auf. „Wir fangen mal ganz hinten im Brauprozess an, in der Abfüllerei, die machen nämlich gleich zu, und dann kommen wir dort nicht mehr rein!“
Wir laufen an der Fasswäsche und -füllung vorbei, werfen einen Blick in die Flaschenabfüllung, betrachten die immer wieder faszinierenden, schier unendlich sich durch den Raum windenden Transportbänder für die Flaschen und amüsieren uns über den „dezent“ mit leuchtender Magentafarbe verzierten Block der Flaschenwaschmaschine. Hinter uns klimpern ein paar Schlüssel: „Feierabend! Hier wird jetzt zugemacht!“
Wir trotten also wieder ins Freie und beginnen mit der eigentlichen Brauereitour, und ab jetzt folgen wir auch dem richtigen Verlauf der Produktionsschritte. Ein paar Stufen geht es hoch ins Sudhaus, und wir bestaunen die matt schimmernden Kupferkessel. Wie so oft fasziniert uns, dass insbesondere im Brauereiwesen die Firmen immer sorgfältig darauf achten, das Herzstück ihre Produktion ästhetisch ansprechend zu gestalten. Die kupfernen Kessel, die farblich in Mustern gelegten, blitzsauberen Fliesen, die schönen Kupferarmaturen und natürlich die Fenster, deren kleine und farbige Glaselemente das Wappen der Brauerei tragen und in den Strahlen der nachmittäglichen Sonne ein angenehmes Licht in das Sudhaus werfen. So knapp kann der Etat einer Brauerei nie sein, als dass nicht wenigstens das Sudhaus schön ausgeschmückt und hergerichtet wird.
Und wie knapp der Etat der Žatecký Pivovar ist, wird uns auf den nächsten Stationen noch deutlich werden…
Wir betreten das Tiefgeschoss und schauen uns das Sudhaus von unten an. Rührwerke, Heizungsinstallationen, Rohre und Pumpen prägen hier das Bild. Eisern hält man in Žatec am Einmaischen bei rund 30° und am Dekoktionsverfahren fest – Tradition spielt in der Bierproduktion in Tschechien eine große Rolle. Auch wenn die hochgezüchteten Gerstensorten und die daraus aufwändig produzierten Malze das Zeit raubende und viel Energie kostende Verfahren gar nicht mehr erfordern – man hält daran fest. Der traditionelle Biertrinker erwartet es, selbst wenn er den Prozess gar nicht versteht, und für den Brauer gehört es auch irgendwie dazu.
Wir überqueren eine Gasse zwischen den Gebäuden und sind bestürzt: Der Putz bröckelt von den Außenwänden, Leitungen laufen offen und ungeschützt an der Wand entlang, das Straßenpflaster bröselt, und Rost überzieht die Geländer. Es sieht kaum besser aus als vor zwei Stunden in den Ruinen der seit langem stillgelegten Export-Brauerei Anton Dreher. Das Geld fehlt also hinten und vorn.
Im Gärkeller sehen wir die dicken, weißen Kräusenschichten mit den typischen braunen Tupfen, die von den Hopfenharzen herrühren. Große Betonbottiche, mit Kunstharzfarbe gestrichen und abgedichtet, und dicke Kühlrohre hängen in das fleißig gärende Jungbier hinein. Zusätzlich verlaufen zahlreiche mit dickem Eis überzogene Kühlleitungen durch den Raum. Energieeffizienz sieht anders aus, aber Strom kostet in Tschechien nicht viel. Niemand macht sich Gedanken um eine bessere Isolierung oder gar ein ganz anderes, sparsameres Kühlverfahren. Hier spielt der knappe Etat keine Rolle…
Wer mag, darf einmal seinen Finger in die Kräusen stecken und die bitteren Hopfenharze probieren. „Aber bitte lasst Eure Telefone, Brillen oder Gebisse nicht in die Gärbecken fallen“, scherzt unser Führer. „Da sammelt sich immer einiges am Boden an, was wir dann wiederfinden, wenn das Jungbier umgeschlaucht wird“, behauptet er mit einem Augenzwinkern.
„Wir gehen jetzt in den Lagerkeller, aber bitte seid vorsichtig“, fährt er fort. „Die eiserne Wendeltreppe ist schon ein wenig baufällig. Nicht mehr als drei Leute gleichzeitig, und immer, wenn einer unten angekommen ist, darf oben der nächste loslaufen!“
Vorsichtig steigen wir die teils wackeligen und rostzerfressenen Stufen hinunter. Mehr als einmal blicken wir durch Löcher in den Stufen senkrecht nach unten, und auf halbem Wege ist sogar der Handlauf abgebrochen und durchgerostet. „Nur nicht zu fest auftreten“, denken wir uns und tasten uns auf Zehenspitzen vorwärts.
Die Lagertanks sehen von außen nicht viel besser aus. Der weiße Anstrich bröselt, große Rostplacken machen sich breit. Nun, innendrin werden die Tanks schon noch in Ordnung sein, sonst wäre das Bier ungenießbar. Aber von außen sieht’s schon ein wenig seltsam aus.
„Ich zapfe Euch jetzt mal vom elfgrädigen Ležák“, meint unser Führer und schnappt sich einen großen Metallkrug. Mehrmals füllt er ihn und schenkt uns reichlich in die mitgebrachten Plastikbecher ein. In Tschechien ist man mit Bier nicht geizig. Anderswo bekommt man nur einen winzigen, fast schon symbolischen Probierschluck gezwickelt, hier in Saaz dürfen wir trinken, soviel wir wollen, und irgendwie scheint unser Führer enttäuscht, als wir nach zwei oder drei großen Bechern am frühen Nachmittag schon abwinken. Er hätte wohl gerne noch eine Weile mit uns hier im kalten Keller gestanden und ein Jungbier nach dem anderen gezecht.
Am 14. August ist es eingebraut worden, mithin fünf Wochen alt, und es schmeckt schon ganz hervorragend. Aber die Vernunft siegt, wir haben heute noch einiges anderes vor. Es bleibt wirklich bei zwei, höchstens drei Bechern.
Wir klettern zahlreiche Stufen nach oben ans Tageslicht. Hier in der warmen Sonne erfahren wir noch einiges über die Geschichte der Brauerei. 1798 ist sie gegründet worden, und zwei Jahre später floss das erste Bier. Bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs entwickelte sich die Brauerei durchaus solide und erfolgreich. Nach dem Krieg wurde sie verstaatlicht und in immer wieder wechselnde Brauereiverbünde integriert. Erst in die Krušnohorské Pivovary n. p., die erzgebirgischen Brauereien, dann in die Lounsko-Žatecké Pivovary n. p., die Laun-Saazer-Brauereien, zurück zu den Krušnohorské Pivovary n. p., und dann zu den Severočeské Pivovary n. p., den nordtschechischen Brauereien.
Nach der Wende wurde die Brauerei aus dem Verbund herausgelöst und 1995 privatisiert. Das Geschäft lief nicht so recht, nach zwei Jahren wurde die Brauerei erneut verstaatlicht, dann in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und 2001 von einer englischen Firma mit Sitz in Nikosia in Zypern übernommen, der Kordoni Holdings Limited. In der Folge wurden neue Biersorten eingeführt, beispielsweise ein Cornish Steam Lager und ein Reihe glutenfreier Biere unter der Bezeichnung Celia.
Irgendwie schien das alles aber nicht so richtig wirtschaftlich zu laufen, und im Jahr 2014 stieg der dänische Carlsberg Konzern in die so geschichtsträchtige Brauerei ein. Seitdem wird zumindest wieder ein wenig investiert – in einem ersten Schritt wurde der Innenhof renoviert, und in einem zweiten soll die seit langem verfallende Mälzerei renoviert und zu einem Brauereiausschank umgebaut werden. Hoffen wir, das der Konzern einen ausreichend langen (einen „lang genuchen“, hätte ich als Norddeutscher fast geschrieben…) Atem hat, um die Brauerei behutsam in Richtung Wirtschaftlichkeit zu entwickeln, ohne die Tradition ganz aufzugeben. Denn Tradition gibt es reichlich, die sich zu bewahren lohnt.
Sie spiegelt sich beispielsweise im dreizehngrädigen Bier Sedmý Schod wider – der siebte Schritt oder die siebte Stufe, wie der Name übersetzt heißt. Drei Interpretationen gibt es, woher dieser Name für das Bier kommt. Die erste scheint eher nüchtern und prosaisch, nämlich, dass die Produktion in sieben Schritten erfolgt – Einmaischen, dreifache Dekoktion, Hopfenkochen, Hauptgärung und Lagerung. Die zweite ist eher banal: Sedmý Schod kann nämlich auch das siebte Grad heißen und soll, angeblich, die beste Trinktemperatur, nämlich 7°C, umschreiben. Die dritte und letzte Interpretation schließlich klingt eher historisch-heroisch. Einst sei Žatec von irgendwelchen mittelalterlichen Truppen belagert worden. Die Einwohner hätten ihre Schätze und Preziosen unter der siebten Stufe der Treppe zur Brauerei versteckt und anschließend die Lagerkeller geöffnet und die feindlichen Truppen mit Unmengen von Bier verköstigt. Sturztrunken vom Saazer Bier hätten diese die Belagerung aufgegeben und wären berauscht davongezogen, ohne die Stadt zu zerstören. Und auch das Gold unter der siebten Stufe hätten sie nie gefunden.
Unser Führer grinst und lässt uns die Stufen zur Verladerampe nachzählen: Sieben Stück sind es. Aber es wird wohl nicht diese moderne Betontreppe gewesen sein, die in seiner Geschichte gerade die Hauptrolle spielte…
„Zum Abschluss des Rundgangs gehen wir jetzt noch in die Erste-Hilfe-Station“, glaube ich mit meinen wenigen Tschechisch-Kenntnissen zu verstehen und stutze. Erste Hilfe? Ist irgendetwas passiert? Die Auflösung kommt, als wir um die Ecke biegen. Der Rampenverkauf der Žatecký Pivovar ist überschrieben mit Pivní Pomoc. Ein schönes Wortspiel. První Pomoc ist die Erste Hilfe, und tauscht man nur einen einzigen Buchstaben aus, so erhält man Pivní Pomoc, die Bierhilfe. Hier bekommen wir jeder noch einen Viererpack des hiesigen Biers als Wegzehrung. „Ihr habt ja unten im Lagerkeller viel zu wenig getrunken“, gibt uns der Führer lachend mit auf den Weg. „Kein echter Tscheche wäre durstig wieder aus dem Keller herausgekommen!“
Die Žatecký Pivovar bietet Führungen montags, mittwochs und donnerstags jeweils um 11:00 und 13:00 Uhr an; für Gruppen nach Absprache. Sie liegt am Rande der Altstdt – vom Marktplatz, dem Náměstí Svobody, sind es lediglich drei Minuten zu Fuß in nördlicher Richtung.
Žatecký Pivovar
Žižkovo Náměstí 81
438 01 Žatec
Tschechien
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