Viele Craft-Brewer lieben Superlative, wie lächerlich sie auch sein mögen. Und Craft-Bier-Liebhaber offensichtlich auch, sonst würden diese Craft-Brewer die Superlative nicht als Werbeargument verwenden.
Das bitterste Bier der Welt? 600, 700 oder gar 1000 IBU. Albern. Schon die Angabe ist absolut lächerlich, denn zum einen lassen sich so viele Alpha-Säuren gar nicht isomerisieren und in Lösung bringen. Die Forscher sind sich nicht ganz einig, wo exakt die Grenze verläuft, ob bei 100 IBU, 200 oder dazwischen. Aber Werte von mehreren hundert sind schlichtweg Quatsch. Und zum anderen merkt man geschmacklich irgendwann keinen Unterschied mehr. Jenseits der 100 IBU ist die Zunge einfach nur dicht, egal, wie sorgfältig man die Bittere mit einem kräftigen Malzkörper auszubalancieren versucht. Es geht einfach nicht mehr.
Das stärkste Bier der Welt? Zehn, zwölf, fünfzehn Prozent Alkohol? Nein, jenseits der sechzig Prozent liegen die Rekordwerte, wie sie auf den Etiketten der Biere angegeben sind. Trinkbarkeit? Egal, Hauptsache Weltrekord. Verifizierbarkeit? Auch egal, wer möchte denn schon die Laborkosten bezahlen, um das Gegenteil zu beweisen?
Das Bier mit den meisten Malzsorten der Welt? Von jeder Sorte ein Körnchen?
Das Bier mit den meisten Hopfensorten der Welt? Undefinierbarer Frucht- und Bitterkeitsmischmasch?
Ach, ist das alles peinlich.
Die Szene hat’s nötig, scheinbar, sonst wären nicht genau diese Dinge immer wieder in den Schlagzeilen der On- und Offline-Craft-Bier-Magazine.
Die höchstgelegene Brauerei der Welt? Wahrscheinlich irgendwo in der Schweiz, oder? Oder in Argentinien, in den Anden? Nepal vielleicht? Ich weiß es nicht. Und die World’s Highest Urban Craft Brewery? In Singapur! Gerade ein paar Meter über dem Meeresspiegel.
irgendwo da oben befindet sich die Brauerei
Zweifelnd stehe ich vor dem Schild mit dieser Aussage, im Financial District an der Marina Bay. Bis es mir langsam dämmert: Es ist wieder einer dieser konstruierten Rekorde. Höchste Brauerei im Sinne der Anzahl von Stockwerken, nicht in wirklicher Höhe. LeVeL33 heißt die Brauerei, 33. Stock also.
Wir betreten den Tower. Überall Reklame für Banken und Finanzberater, Sicherheitskontrollen vor den Fahrstühlen, geklonte Krawattniks in dunklen Anzügen, das Telefon am Ohr. Die Fahrstühle fahren bis in den 32. Stock.
Nicht zur Brauerei? Nicht in den 33. Stock? Ich sehe in Gedanken den armen Brauer vor mir, wie er Malzsack um Malzsack einzeln durch ein enges Treppenhaus schleppt. Der Schweiß fließt. Erster Stock, zweiter Stock, dritter Stock, irgendwann werden die Oberschenkel weich. Einunddreißigster Stock, zweiunddreißigster Stock, dreiunddreißigster Stock. Uff, endlich geschafft. Der erste Sack ist oben. Noch neunzehn weitere, dann wird gebraut. Und morgen wieder …
Nein, natürlich nicht. Für die Brauerei LeVeL33 gibt es einen separaten Express-Fahrstuhl an der Seite, mit nur zwei Knöpfen. Rauf oder runter.
LeVeL33 – auf geht es in die 33. Etage
Rauf also. Die Ohren knacken ein wenig, und in wenigen Sekunden sind wir in der obersten, der 33. Etage. Eine nette Dame begleitet uns in die Brauerei. Ob wir lieber in der Lounge bequem herumlümmeln wollten, mit Blick auf die Gär- und Lagertanks? Oder lieber am Fenster, mit Blick auf die Skyline, über die Marina Bay? Auf die Aussichtsterrasse ginge es leider gerade nicht, es würde regnen, und zwar nicht zu knapp.
Wir äugen durch’s Fenster und sehen leichten Niesel. Die Tische und Stühle sind trocken, man könnte doch durchaus draußen sitzen? „Nein, nein!“ Die singapurische Fürsorge ist gnadenlos konsequent. „Draußen regnet es, darum ist die Terrasse gesperrt.“ Punkt. Keine Diskussion.
die Aussichtsterrasse erscheint unerreichbar
Wir setzen uns mit dem Biertester also vor das Panoramafenster und verkosten die Biere mit Blick auf die Bay. Die Sonne kommt raus. „Ob wir jetzt vielleicht raus …?“ – „Nein, erst muss alles trocken gewischt werden, dann ja.“
Wir verkosten die Biere.
Das Blond ist unscheinbar, aber süffig. Ein Alltagsbier.
Gemütlich wischt ein Kellner draußen über die eigentlich gar nicht nassen Tische und Stühle. Gleich dürfen wir raus, bestimmt.
Das Wheat ist erfrischend und spritzig. Schön bei der Hitze hier in den Tropen.
Der Kellner draußen hat das Ende der Terrasse erreicht.
Das Stout schmeckt ein wenig metallisch, ein wenig wässrig. Hm, nicht so wirklich begeisternd.
In Zeitlupe kommt der Kellner wieder zurück.
Das Pumpkin Ale erfreut, weil offensichtlich nur ein Hauch von Gewürzen verwendet worden ist. Ganz leicht schmeckt man den Kürbis, und Gewürznelke und sonstiges Gedöns glänzen durch weitest gehende Abwesenheit.
Der Kellner ist zurück, schließt die Tür zur Terrasse auf, nickt uns für einen Moment ermunternd zu.
Während wir unser letztes Bier schnappen, das knackig herbe India Pale Ale, schiebt sich eine Wolke über den Tower und es fängt wieder an zu nieseln.
Bedauernd zuckt der Kellner die Schultern und schließt wieder zu. „Geduld, Geduld“, scheinen seine freundlichen, aber unerbittlichen Blicke auszudrücken.
Weihnachtskitsch vor den Lagertanks
Frustriert verziehen wir uns in die Lounge. Ständig nur auf die unerreichbare Aussichtsterrasse zu kucken, grenzt an Psychoterror. Hier in der Lounge genießen wir unsere superleckeren kleinen Snacks, zum Beispiel Wachtelschenkel mit einem Granatapfel-Balsamico-Dip. Und das mit Blick auf die Gär- und Lagertanks, an denen der Brauer herumwerkelt und die Stammwürze misst.
„Brewers at Work – Sorry for the Inconvenience Caused“, warnt ein Schild. Während in anderen Brauereien stolz gezeigt wird, dass man wirklich vor Ort braut, entschuldigt man sich hier dafür. Wir müssen lachen.
„Brewers at Work“
Ein Weilchen noch genießen wir die kitschige Idylle in der Lounge, zwischen weißem Weihnachtsbaum, Wintergarten, der künstlich bewässert wird (man könnte doch eigentlich die Dachluke ein wenig öffnen, es regnet doch sowieso jeden Tag), und den mit roten LEDs geschmückten Biertanks, bevor wir uns wieder auf den Weg nach unten machen und ins Getümmel stürzen.
Als wir bezahlen, sehen wir, dass der Kellner draußen auf der Terrasse die eigentlich gar nicht nassen Tischchen und Stühlchen poliert. Ein Pärchen steht geduldig mit dem Bier in der Hand vor der verschlossenen Tür zur Aussichtsterrasse. Die Hoffnung stirbt zuletzt …
Die Gasthausbrauerei, Lounge und Restaurant LeVeL33 ist täglich ab 11:30 Uhr durchgehend geöffnet, sonntags erst ab 12:00 Uhr; kein Ruhetag. Zu erreichen ist sie problemlos per U-Bahn, von den Stationen Raffles Place oder Bayfront sind es nur ein paar Schritte. Der Aufzug in den 33. Stock ist an der Westseite des Towers.
Nachtrag 5. Dezember 2015: Von jemandem, der es wissen muss, bekam ich folgende ergänzende Information: „Grüße aus Nepal! Wir sind es nicht! Tibet Lhasa Brewery Co. Ltd ist die höchstgelegene Brauerei der Welt (Lhasa, nördlich des Himalaya, ist Hauptstadt des Autonomen Gebiets Tibet). Wir bauen gerade im Raum Lumbini, nahe der Indischen Grenze und absolutes Flachland. >>Klugscheißermodus aus!!“ Also, meine oben geäußerten Vermutungen zur wirklich höchstgelegenen Brauerei der Welt waren alle falsch. – Bringt uns das nun aber bezüglich der Brauerei LeVeL33 weiter? Nein. Macht aber nix.
LeVeL33 Craft-Brewery, Restaurant & Lounge
8 Marina Boulevard #33-01
Marina Bay Financial Centre, Tower 1
018981 Singapore
Singapore
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