Die Tür des uralten Lastenaufzugs öffnet sich langsam, und wir stehen vor einer Wand aus übermannshohen Hopfensäcken. „Und jetzt? Wie geht es weiter?“ Ratlose Gesichter.
„Einfach drauf los“, lacht Barbora, die uns hierher gebracht hat. „Das ist ein Labyrinth aus Hopfensäcken, durch das wir zur nächsten Station gelangen werden!“
Und so werden Erwachsene wieder zu Kleinkindern. Übermütig rennen wir in das Labyrinth hinein, laufen vor, zurück, stoßen uns den Kopf an einer Spiegelwand, die uns einen scheinbar offenen Weg gezeigt hat, und stolpern zwischen all den Säcken hin und her. „Ich habe den Heiligen Gral der Hobbybrauer gefunden“, tönt es aus einer Ecke. Eine große Glasschale, randvoll mit Hopfendolden, markiert eine Art Zwischenziel. Aber der Ausgang aus dem Labyrinth ist noch weit, es dauert noch geraume Zeit, bis wir das eigentliche Ziel erreicht haben – die gläserne, farbig illuminierte Hopfendolde, deren stets changierendes Farbenspiel signalisiert, dass wir aus dem Labyrinth herausgefunden haben.
Wir befinden uns im Chrám Chmele a Piva, dem Hopfen- und Biertempel, in Žatec / Saaz, der Hopfenstadt Böhmens. In diesem kleinen Örtchen dreht sich alles um Hopfen. Sein Anbau, seine Ernte, seine Erforschung und – natürlich! – seine Nutzung im Bier. Während sich das Chmelařské Muzeum, das Hopfenmuseum, sich dem Hopfen sehr sachlich und systematisch widmet, ist der Hopfen- und Biertempel eher ein kurzweiliges Erlebniszentrum, in dem nicht das Lernen, sondern der Spaß im Vordergrund steht.
Bereits beim Betreten des Gebäudes haben wir gesehen: Hier geht es nicht um die Lehre. In großen Glasvitrinen werden Biere aus aller Welt nicht nur gezeigt, sondern auch verkauft, und wer möchte, kann sich jetzt schon, gleich zu Beginn, an einen der vielen Biertische setzen, eine Flasche Bier aufmachen oder sich ein frisch gezapftes Bier holen und dem Genuss frönen. Getreu dem Motto, das die Tschechen zur Biertrinkernation Nummer 1 gemacht hat: Wenn ich irgendwo gemütlich mit meinem Bier sitzen kann, dann ist die Welt in Ordnung.
Wir heben uns den Genuss aber für später auf und drängeln uns zunächst in den ächzenden und quietschenden Lastenaufzug, toben durch das Labyrinth aus Hopfensäcken und stehen schließlich vor einer Reihe von künstlerischen Installationen. Bilder und Darstellungen von impressionistischen Künstlern sind verfremdet worden, um Bildelemente ergänzt, die Bier und Hopfen zeigen, und nehmen uns mit auf eine psychedelische Reise. Über einen schmalen Metallsteg balancieren wir, als plötzlich das Licht ausgeht und stattdessen bonbonfarbene, einzelne Strahler merkwürdige Spukwesen ausleuchten. Spinnen, Fledermäuse, Skelette tauchen auf, Schwarzlicht lässt sie gruselig schimmern, und wir fragen uns, ob denn schon Halloween sei.
Ein paar Schritte weiter kommen wir an einen kleinen Anbau und in den Genuss eines Anblicks, den der normale Museumsbesucher nicht bekommt: Barbora kramt einen alten Schlüssel hervor, öffnet die schiefe Holztür, und wir dürfen einen Blick in das komplexe Uhrwerk und die Antriebsmaschinerie der Hopfenuhr werfen, die wir vorhin schon vom Hopfenmuseum aus bewundert haben. Seile, Zahnräder, Rollen, Stangen – alles ist sehr kompliziert, und Barbora erzählt uns von den Sorgen der Stadt: „Die Uhr und das Werk sind so kompliziert – eigentlich ist nur der Konstrukteur selbst in der Lage, hier etwas zu justieren oder gar zu reparieren. Und er ist schon uralt. Was machen wir, wenn er nicht mehr kann oder, schlimmer noch, nicht mehr lebt? Was passiert dann mit diesem kleinen Wunderwerk der Mechanik?“
Es folgt eine Halle, in der gezeigt wird, wie der Hopfen hier in Žatec gefeiert wird. Egal, ob Erntedankfest, Frühlingsfest oder Hochzeiten – es gibt mit Hopfen geschmückte Kutschen, die Menschen kleiden sich in ihre historischen Trachten, und das Bier fließt in Strömen. Auch früher schon kamen Touristen auf ihre Kosten, sie konnten sich beim Ritt auf einem Hopfensack fotografieren lassen oder wunderliche Ansichtskarten mit gereimten Trinksprüchen erwerben.
Natürlich hat auch der Homo Lupulů, den wir bereits im Hopfenmuseum kennengelernt haben, seinen Platz in dieser Ausstellung, und überall finden wir das Symbol mit den sieben Strichen – seine niemals beglichene Zeche über sieben Krüge Bier.
Der Weg führt uns weiter an einer Flaschensammlung vorbei und durch eine Ausstellung von Kinderkunst. Schulkinder haben mit viel Mühe und Fleiß Collagen und Bilder rund um den Hopfen, seinen Anbau und die Ernte erstellt, und ihre hübschen Werke ziehen sich in einer langen Reihe an der Wand entlang.
Es geht eine kleine Treppe hinunter, und wir stehen wieder in der Eingangshalle. Wer möchte, kann sich hier nun ein Fahrrad ausleihen und die Stadt erkunden. Der Rahmen der Leihräder ist mit Werbung für den Hopfen- und Biertempel versehen. Oder aber, wir setzen uns hin und trinken Bier. Platz genug wäre ja!
„Aber nicht hier“, scheucht uns Barbora lachend aus dem großen Saal. „Der Hopfen- und Biertempel ist schon lange geschlossen, ich habe extra für Euch noch einmal das Licht angemacht! Wer jetzt Durst hat, der gehe bitte durch den anderen Ausgang, da kommt Ihr nämlich genau in der Pivovar U Orloje raus. Da gibt’s Bier genug!“
Das lassen wir uns nicht zweimal sagen und nehmen die Hintertür, nicht den Haupteingang. Vor uns liegt der Biergarten, und hinter uns hören wir, wie sich der Schlüssel quietschend im Schloss dreht. Für heute ist der Hopfen- und Biertempel endgültig geschlossen.
Der Chrám Chmele a Piva, der Hopfen- und Biertempel, ist täglich von 10:00 bis 17:00 Uhr geöffnet; montags ist Ruhetag. Er liegt direkt neben dem Hopfenmuseum, etwa sieben oder acht Minuten zu Fuß vom Stadtzentrum entfernt in südlicher Richtung.
Chrám Chmele a Piva
Náměstí Prokopa Velkého 1951
438 01 Žatec
Tschechien
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