Den ganzen Tag waren wir nun schon unterwegs gewesen, und während aller Stationen in der Stadt ging es immer wieder um Hopfen gedreht. Er ist der Dreh- und Angelpunkt der Wirtschaft des Städtchens Žatec / Saaz. Ohne Hopfen wäre Žatec lediglich eine nicht weiter erwähnenswerte, winzige Siedlung irgendwo im nirgendwo. Wir haben die Hopfenforscher im Chmelařský Institut, die Hopfenhändler bei Bohemia Hop a.s. und die Hopfenhistoriker im Chmelařské Muzeum besucht. Hopfen, Hopfen, Hopfen.
Aber das Wichtigste, das Produkt, für das der ganze Hopfen überhaupt benötigt wird, das Bier, ist fast ein bisschen zu kurz gekommen. So ist es jetzt, am späten Nachmittag, höchste Zeit, in einer der Saazer Brauereien einzukehren und einen kräftigen Schluck zu nehmen. Da wir auch einen ordentlichen Hunger entwickelt haben, bietet sich die Gasthausbrauerei U Orloje dafür in idealer Weise an. Deftige tschechische Küche und frisch gebrautes Bier aus der eigenen Produktion.
Ein Hopfenbauer aus Bronze begrüßt uns, und wenige Schritte weiter betreten wir die große Halle der Pivovar U Orloje. Ein kleiner Vorraum bietet Platz für den auch in Tschechien beliebten Stammtisch, und dahinter sehen wir den großen Schrank mit den einzeln abschließbaren Fächern für den Bierkrug, den die Štamgasty hier deponieren können.
Direkt dahinter öffnet sich der große Schankraum. Linker Hand die Kupfergeräte eines kleinen Sudwerks, vor uns lange Reihen von blank polierten Holztischen, um diese Zeit schon gut besetzt. Die Bedienungen sausen zwischen den Tischen hin und her, und wie überall in Tschechien fließt das Bier in Strömen. Als letzte Hürde vor dem Genuss hat unsere Reiseplanung aber erst noch die Führung durch die Brauerei vorgesehen. Während wir den ersten Sätzen über das Sudwerk und die Gasthausbrauerei lauschen, wandern unsere Blicke immer wieder in den Schankraum. Gar zu verlockend sehen die Bierkrüge aus, in denen das schäumende Bier serviert wird. So richtig können wir uns gar nicht konzentrieren.
Aber da kommt schon die Erlösung. Mit breitem Lächeln stellt uns die Kellnerin ein großes Tablett mit frisch gezapften Halbliterkrügen hin. Jeder nimmt einen kräftigen Zug, und als sei es ein Zaubertrank, werden unsere Gedanken wieder klar, und hochkonzentriert folgen wir nun den Erklärungen, Geschichten und Anekdoten.
2012 ist die Brauerei errichtet worden, und von Anfang an war es das Ziel, nicht irgendwelche experimentellen Kreativbiere zu brauen, sondern frische, süffige Alltagsbiere – helles und dunkle Biere, für die Tschechien so berühmt ist: Stark im Geschmack, aber durchaus gemäßigt im Alkohol. Das Helle, das wir gerade trinken, ist ein Jedenáctka, also ein Bier mit 11% Stammwürze. Das ergibt einen Alkoholgehalt von etwa viereinhalb Prozent, und üblicherweise die perfekte Balance zwischen Süffigkeit und Geschmack. Als hätte letzteres eines Beweises bedurft, sind unsere Gläser blitzschnell leer, und so können wir uns vom Sudwerk weg in den Lagerkeller bewegen.
Direkt hinter der Theke befindet der sich, und die Gär- und Lagertanks stehen in zwei langen Reihen eng nebeneinander. Eigentlich ist die Lagerkapazität zu klein, erfahren wir, und so werden auch nur recht selten einmal Biere eingebraut, die entweder sehr lange reifen müssen (wie ein Bockbier) oder sich vermutlich nur recht langsam verkaufen (wie ein Experimentalbier). Viel zu lange würden diese Biere die Lagertanks blockieren.
Der Ausschank der Biere erfolgt direkt aus den Tanks – eine kurze Leitung geht vom Ausschanktank durch die Wand bis direkt an die Theke auf der anderen Seite. „Frischer kann Bier eigentlich nicht serviert werden“, bemerkt unser Führer und stellt fest, dass er mit diesem Satz direkt in unsere Herzen gezielt hat. Weg ist die Aufmerksamkeit, weg die Konzentration. Niemand hört ihm mehr zu, jeder denkt nur noch an das frische Bier auf der anderen Seite der Wand.
Grinsend beendet er die Führung, und gemeinsam nehmen wir an einem der großen Tische mitten im Schankraum Platz. Zeit für die nächsten Biere und für eines der deftigen Gerichte. Das Desítka, das Zehner-Bier, ist ebenfalls ein Helles, hat 10% Stammwürze und rund vier Prozent Alkohol. Ein Frühstücksbier, gewissermaßen. Hier in Tschechien ist es noch nicht verpönt, zum zweiten Frühstück oder zum Mittagessen ein – leichtes! – Bier zu trinken, und genau dafür eignet es sich perfekt.
Bessere Partner zum Essen, weil kräftiger und aromatischer, sind die beiden Zwölfer-Biere, die Dvanáctka. Ein Helles und ein Dunkles gibt es. Das Helle hopfig herb mit einer kleinen Prise buttrigem Diacetyl im Aroma, das Dunkle hingegen eher süßlich und vollmundig süffig.
Alle vier Biersorten sind nicht übermäßig stark gespundet, und so rinnen sie viel leichter die Kehle runter, als wir das von den doch eher sehr spritzigen deutschen Pilsnern gewohnt sind. Ein paar große Schlucke, und schon ist das Glas wieder leer. Erstaunt sehen wir, wie die Strichliste immer länger wird, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die ersten in unserer Gruppe die magischen sieben Striche erreicht haben. Sieben Striche, das war die Zeche des Homo Lupulů, des Hopfenmenschen, des legendären Biertrinkers, dessen Skelett und Rechnung man angeblich bei Ausgrabungen entdeckt hat, und dessen Geschichte unter anderem im Hopfenmuseum, dem Chmelařské Muzeum, erzählt wird.
Was man oben hineinschüttet, muss irgendwann unten auch wieder raus. Hier in der Pivovar U Orloje hat man sich dazu Gedanken gemacht. Wenn nämlich auf den Bildschirmen im rappelvollen Schankraum Fußball- oder Eishockeyspiele gezeigt werden, wollen alle gleichzeitig in den Spielpausen aufs Klo. Entsprechend gewaltig ist das Örtchen auch angelegt. Eine schier unendliche Reihe von Pissoirs hat unter dem alten Ziegelgewölbe Platz gefunden, und es ist uns nicht zu peinlich, hier den Fotoapparat zu zücken und diese Entsorgungsarchitektur bildlich zu dokumentieren.
Restaurant & Pivovar U Orloje – eine klassische Gasthausbrauerei, die herzhafte Speisen und süffige Biere kombiniert, deren Schankraum zwar riesig, aber trotzdem gemütlich ist, und die auch noch einen großen Biergarten im Innenhof anbietet, falls entsprechend gutes Wetter ist. Schön!
Die Pivovar U Orloje ist täglich ab 11:00 Uhr durchgehend geöffnet. Sie liegt direkt neben dem Hopfenmuseum, nur etwa drei Minuten zu Fuß in südlicher Richtung vom zentralen Marktplatz, dem Náměstí Svobody, entfernt.
Restaurant & Pivovar U Orloje
Náměstí Prokopa Velkého 1951
438 01 Žatec
Tschechien
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