Soll ich mich jetzt verarscht fühlen?
Stone Brewing (Wir erinnern uns: Das ist die amerikanische Brauerei, die ihr Projekt in Berlin mit Karacho gegen die Wand gefahren hat!) kooperiert jetzt mit Jägermeister. Der Kräuterschnaps hat sich in den USA als Szenedrink etabliert, und so ist er natürlich ein willkommenes Vehikel, um noch mehr Aufmerksamkeit auf die Biere der Stone Brewing zu ziehen. Marktgeschrei war ja seit jeher die Stärke von Greg Koch und seiner Brauerei.
Jetzt wurde also das Flagship Beer der Stone Brewing, das Arrogant Bastard, mit „den charakteristischen Gewürzen, Früchten und Kräutern von Jägermeister“ eingebraut. Was ja vom Prinzip her nichts Schlechtes sein muss. Viele, insbesondere belgische, Brauereien beweisen, dass Biere mit Kräutern und Gewürzen ganz hervorragend schmecken können. (Die Apologeten des sogenannten „Reinheitsgebots“ lehnen sich jetzt bitte mal zurück, entspannen und halten die Klappe. Kommentare wie „Das ist ja kein richtiges Bier“ sind hier fehl am Platz – insbesondere mangels Definition, was denn ein „richtiges Bier“ überhaupt ist!).
Insofern regt sich eine gewisse Neugier, wie das aus meiner Sicht heillos überhopfte und überbitterte Arrogant Bastard mit diesen Zutaten wohl schmecken mag. Allein – das Bier wird ausschließlich für den US-amerikanischen Markt hergestellt und seit Oktober 2019 nur dort verkauft.
Jetzt kommt die Bierothek ins Spiel. Das ist die Kette, die derzeit gerade eine Anzahl von Bierfachgeschäften in Deutschland etabliert. Lob dafür, obwohl ich schon erste Gefahren einer McDonaldisierung des Craftbiermarkts sehe – zu ähnlich sind sich die Bierotheken in Konzept und Gestaltung.
Die Bierothek hat eine gewisse Anzahl von Flaschen des Stone Brewing Jägermeister Arrogant Bastard ergattert. Das allein wäre ja schon ganz nett, und man könnte da eine durchaus erfolgreiche Vermarktung starten. Aber viel besser und auf den ersten Blick aufregender wird es natürlich mit einer passenden Story rundherum – und sei sie auch noch so unglaubwürdig:
Die Flaschen mit dem von Jägermeister inspirierten Bier „sind jedoch nicht frei verkäuflich, da bei der Abfüllung dieser Flaschen nicht die korrekte Menge des Stone Jägermeister Arrogant Bastard befüllt wurde.“ Wer’s glaubt, wird selig. Da stellt sich eine seit Jahren etablierte, erfolgreiche Brauerei wie Stone Brewing hin und produziert ein besonderes Bier in geringer (?) Auflage. Und dann stellt sie sich zu dumm an und füllt nicht die korrekte Menge in die Flasche? Für wie blöd haltet Ihr Eure potenziellen Kunden eigentlich?
Mit dieser Werbeaussage, oder besser dieser schönen Ausrede, dieser Urban Legend, diesem Märchen oder wie auch immer man die Geschichte bezeichnen möchte, werden die Flaschen also verschenkt. Aber natürlich nicht einfach so, sondern lediglich als Gratismuster, das einem großen Stone Bierpaket beigelegt wird. Man muss sich also ein großes Bierpaket zum Preis von 69,90 EUR (Paket 1) oder ein noch viel größeres für 99,90 EUR (Paket 2) kaufen, um eine Flasche des Stone Jägermeister Arrogant Bastard zu bekommen. Zur Strafe hat man dann von den verschiedenen anderen Sorten, die dem Paket beiliegen, vier oder gar sechs Flaschen oder Dosen – insgesamt 24 oder 42 Biere, die man vielleicht gar nicht haben möchte. Oder wenn, dann pro Sorte vielleicht nur einmal.
Beutelschneiderei? Ja, ich finde schon. Aber es werden sich genügend Bierliebhaber finden, die ohne zu Zögern die großen Bierpakete bestellen, den „Beifang“ in Kauf nehmen und sich dann rühmen, das Stone Jägermeister Arrogant Bastard tatsächlich getrunken zu haben.
Mein Vorschlag: Trinkt nicht eine Flasche Stone Jägermeister Arrogant Bastard, sondern sieben oder acht. Und zwar in den USA, vor Ort. Das dann gegenüber den Bierothek-Paketen gesparte Geld reicht nämlich für ein Billigticket über den Atlantik. Dann habt Ihr zur Bierprobe den USA-Ausflug quasi gratis dazu! Und braucht Euch noch nicht einmal Gedanken über die Mär der angeblich nicht korrekt abgefüllten Biere machen!
P.S. Und wenn mir jetzt jemand den Nachweis erbringt, dass die Flaschen tatsächlich „falsch“, also nicht mit der korrekten Menge, abgefüllt worden sind, na dann gute Nacht, Stone Brewing. Dann stellt mal professionelle Quality-Manager ein und werdet erwachsen! (Und beantwortet mir bitte die Frage, warum Ihr die US-amerikanischen Kunden mit „nicht korrekt“ abgefüllten Flaschen abspeist. Kann man’s mit denen machen? Sind die nicht so anspruchsvoll?)
Nachtrag 8. Dezember 2019: Da kennt jemand jemanden, der jemanden kennt, und wie von Zauberhand steht plötzlich eine Flasche Stone Jägermeister Arrogant Bastard auf meinem Tisch. Sie ist definitiv nicht Teil eines Wucherpakets gewesen.
Schreiten wir so vorurteilsfrei wie möglich zur Kostprobe:
Das Bier ist weder im Jägermeisterfass gereift noch einfach mit Jägermeister vermischt worden, sondern mit Kräutern und Gewürzen versetzt worden, wie sie auch im Jägermeister Verwendung finden („Jägermeister Arrogant Bastard Ale is an American strong ale featuring a variety of the 56 herbs roots fruits and spices found in the iconic herbal liqueur giving it a complex and truly unique flavor profile“). Vermutlich wird Jägermeister sein Betriebsgeheimnis nicht gelüftet, sondern Stone eher den Kräuterextrakt zur Verfügung gestellt haben – aber das ist Spekulation.
Das Bier ist dunkelbraun, entwickelt nur recht wenig Schaum und weist bereits beim Einschenken einen intensiven Geruch nach … nun ja, eben nach Jägermeister auf. Fruchtige Aromen, die an Orangen und Pflaumen erinnern, kräuterige und harzige Noten dazu.
Der Antrunk ist ein wenig süßlich, rund und voll, dann macht sich aber rasch eine sehr intensive Bittere breit. Die starke Hopfung des Arrogant Bastard und die Kräuterbittere des Jägermeister addieren sich auf zu gewaltigen Bitterwerten. Aber, oh, Wunder, die Bittere bleibt weich, wird niemals kratzig oder kantig, und sie bleibt auch nicht auf alle Ewigkeiten im Rachen hängen, sondern klingt angemessen schnell und gleichmäßig ab. Es bleibt ein angenehmer, kräuteriger Nachhall.
In der Summe ist das Bier erstaunlich rund, lange nicht so aggressiv, wie ich vor dem ersten Schluck noch befürchtet habe. Man muss den spezifischen Geschmack von Jägermeister allerdings mögen, sonst wird man mit dem Stone Jägermeister Arrogant Bastard nicht Freund – die typischen Aromen des Kräuterlikörs dominieren dieses Bier.
Es bleibt die offene Frage der nicht korrekten Füllmenge. Beim Öffnen der Flasche und beim Einschenken ist uns nichts aufgefallen – sollte die Flasche also tatsächlich (was ich nach wie vor nicht glaube) falsch befüllt worden sein, kann die Mindermenge nur wenige Milliliter betragen haben. Das Glas der Flasche war leider zu dunkel, um den Füllstand von außen sehen zu können.
Was waren das noch für Zeiten, als man nicht überteuerte Craftbiere kaufen mußte um sich als Individualist zu fühlen, sondern echte Entdeckungen machte, die nur einem ganz bestimmten Personenkreis vorbehalten waren, wie die Gemeindebrauereien im Hausbrauerland zwischen Coburg und Rhön.
In gewisser Weise gilt das auch heute noch, aber diese echten Entdeckungen sind merkwürdigerweise „nichts wert“ – vermutlich, weil sie nicht mit entsprechendem Mediengetöse unterlegt sind…