Träge fließt die Donau mitten durch Budapest und teilt die Stadt in zwei Hälften, die Jahrhunderte lang auch zwei getrennte Städte waren: Im Westen Buda, dessen Hügel, Thermalquellen und Bäder weltberühmt sind, und im Osten Pest, die flache, quirlige und moderne Innenstadt, die neben dem die Silhouette prägenden Parlamentsgebäude auch alles aufbieten kann, was eine moderne Großstadt ausmacht: Tosenden Verkehr, verlotterte Bahnhöfe und immer wieder den Kontrast zwischen ultramoderner Architektur und verfallenen Altbauten.
Letztere sind es, die schon seit ein paar Jahren die Bier- und Vergnügungsszene prägen. Alte, scheinbar besitzlose und nicht mehr genutzte Häuserblocks werden okkupiert, notdürftig hergerichtet, Wohnungen miteinander zu Dancefloors verbunden, in den Kellern endlose Bars eingerichtet, und dann geht in den großen Innen- und Hinterhöfen die Post ab. Ein paradiesischer Wildwuchs, in dessen Dickicht tolle Biere zu entdecken sind.
Zum Beispiel im Élesztőház. Was einmal eine Glasbläserei und später ein Parkhaus war, beherbergte für ein paar wilde Jahre einige üble Kneipen für den finalen Absturz, und seit 2013 gibt es hier das Hefehaus, so die wörtliche Übersetzung des Namens. Biergarten, Taproom, Grillkitchen und Steampunkbar finden sich hier, und man sagt vom Élesztőház: Wenn sich irgendwo in der Pannonischen Tiefebene etwas in der Bierszene tut, dann wird hier der erste Anlaufpunkt sein, um daran teilhaben zu können. Wer es mit dieser Teilhabe an den 21 Zapfhähnen übertrieben hat, findet im angeschlossenen Hopstel, also einem Hopfen-Hostel, sogar eine stilechte Übernachtungsmöglichkeit zwischen Kupferkesseln, Zapfhähnen und Bierfässern.
Wem das Élesztőház zu wenig Ruine ist (man hat halt schon etwas aufgeräumt), der geht in das Szimpla Kert – die Mutter aller Ruin Pubs. Mitten in der Stadt findet man hier auf mehreren Ebenen alles – vom Dining bis zum verranzten Saloon. Mittendrin das Labor, der Ausschank der Kreativbrauerei Mad Scientist. Aus bonbonfarben illuminierten Zapfhähnen gezapft und in Erlenmeyerkolben serviert genießt man hier spannende Craftbiere, die draußen, am Rand der Stadt gebraut werden.
Wer neugierig ist, kann sich ja mal auf die umständliche Reise mit U-Bahn und Bus machen und die Brauerei Mad Scientist besuchen. Untergebracht in den verfallenen Gebäuden (Verfall scheint in Budapest „in“ zu sein) der ehemaligen Fővárosi-Brauerei (also eine Brauerei in der Brauerei) findet sich hier ein kleines Edelstahlsudwerk, auf dem ein paar junge Leute immer wieder neue Biere mit ungewöhnlichen Zutaten kreieren. Einer von ihnen, Csaba Tarján, ist Mikrobiologe, und so ist es Ehrensache, dass ausgerechnet hier eine winzige Hefereinzucht betrieben wird. Einen Ausschank gibt es hier zwar nicht, aber niemand hat etwas dagegen, wenn sich der Besucher das frisch gekaufte Bier direkt öffnet und sich auf einen der Campingstühle auf der Laderampe setzt.
Schon ein wenig professioneller tritt die Brauerei FIRST The Craft Beer Co. auf, ebenfalls weit draußen am Stadtrand gelegen und nur nach langer Anreise mit den Öffis zu erreichen. Hier gibt es einen schön ausgestatteten Taproom, wo man sich an zehn Hähnen vom einfachen Pils bis zum Chocolate Vanilla Imperial Stout durchprobieren kann.
Nicht jeder hat Lust, für ein paar leckere Biere bis an den Stadtrand zu gurken. Zum Glück bietet die Innenstadt von Budapest genügend hervorragende Bierbars, die alle entweder zu Fuß oder mit wenigen Straßenbahnstationen bequem zu erreichen sind. Im ehemaligen jüdischen Viertel bietet die Kellerbar Léhűtő Craftbiere aus aller Welt, besonders aber von der ungarischen Brauerei Horizont. Im Winter herrscht hier dicke Luft, wenn die Gäste nassgeregnet oder -geschneit in die von den dicken Heizungsrohren an der Wand erhitzte Luft kommen, im Sommer hingegen ist es erfrischend kühl. Die jungen Leute an der Bar kennen sich aus und helfen dem internationalen Bierfan gerne, wenn er sich in den ungarischen Bezeichnungen der acht Zapfhähne hoffnungslos verheddert.
Wer es lieber etwas gesitteter mag, geht zum Brauereiausschank Rizmajer Sörház. In kühler, eher nüchterner Atmosphäre sitzt man auf zwei Ebenen und trinkt Rizmajer Biere von vierzehn Zapfhähnen, dazu gibt’s Burger in verschiedenen Variationen. Es herrscht Selbstbedienung, was für ein beständiges reges Treiben im Saal sorgt. Schade ist nur, dass die Barmänner und -frauen sich gelegentlich lieber mit sich selbst als mit den wartenden Gästen beschäftigen.
Das ist im Hopaholic – In Hop We Trust ganz anders. Zwar fühlt man sich beim Betreten des Schankraums durch die grellgrünen Comics und Graffiti fast geblendet, aber hat man sich an diese Neonfarben erstmal gewöhnt, wird man rasch vom Trubel und der fröhlichen Stimmung angesteckt. Hier ist jeder mit jedem rasch gut Freund; die gutgelaunten Jungs und Mädels an der Bar haben nicht nur coole Sprüche drauf, sondern kennen sich auch im reichhaltigen Bierangebot hervorragend aus und haben das richtige Gespür dafür, die Gäste zueinander zu bringen. „Setz Dich da mal rüber, zu den beiden, die können Dir was über dieses Bier erzählen“, heißt es dann schon mal, und ruckzuck hat man das Gefühl, hier quasi Stammgast zu sein. Generationenübergreifend, alt und jung, Ungarn und Ausländer, alles sitzt beieinander, fachsimpelt und genießt.
Ähnlich integrierend wirkt das Csak a jó sör, eigentlich „nur“ ein Bottle Shop. Aber was für einer. Eng an eng stehen die gut bestückten Regale, aber nicht so eng, als dass nicht doch noch Platz für ein paar Kühlschränke dazwischen wäre. Was liegt dann näher, als sich erst ein gut gekühltes Bier zu holen, zu bezahlen, und während man es genießt, den eigentlichen Einkauf zusammenzustellen. Doch was ist das? Wer seine Flasche bezahlen möchte, entdeckt, dass direkt neben der Kasse, auf engstem Raum zusammengequetscht noch sechs Zapfhähne zu finden sind, an denen ständig wechselnde Biere angeboten werden. Bottle Shop und Bierbar in einem. Menschenscheu darf man hier allerdings nicht sein – hier ist es immer rappelvoll, und irgendwie muss man sich hineindrängen.
Ein bisschen mehr Platz bietet der Ausschank mit BBQ der FIRST Craft Beer Co. mitten in der Stadt. „The Boss of Craft Beer“, heißt es selbstbewusst, aber man stellt sich diesem Anspruch auch. Zwanzig Hähne und mehrere hundert Flaschenbiere aus der ganzen Welt, dazu deftige, fleischbetonte Küche, gerne auch aus dem hauseigenen Smoker. Gesund ist anders, aber es schmeckt und ist nicht allzu teuer. Das Personal ist aufmerksam, weiß viel über die Biere und die Brauerei, über das Fleisch sowieso, und das einzige, was den Bier- und Fleischfanatiker vielleicht stört, sind die unbedarften Touristen, die hier zum Burger gerne ein Industriebier der Budapester Dreher-Brauerei trinken würden – was es hier natürlich nicht gibt. Wobei, das muss man zugeben, ein Besuch in der Dreher Großbrauerei wegen des angeschlossenen Museums durchaus lohnt.
Sanft schaukelnd an der Theke sitzen – das passiert im Monyo Tap House nicht erst, wenn man zu viel Bier getrunken hat, sondern von Anfang an: Statt Barhockern gibt es hier Hängeschaukeln an der Theke. Wenn man einmal richtig drinsitzt eine coole Sache, aber nicht jeder Gast wirkt beim Einstieg wirklich cool. Sehr unterhaltsam für all diejenigen, die mit ihrem Bier in der Hand drumherum stehen und kucken. Im Ausschank sind vorwiegend die Biere der Monyo-Brauerei, die 2015 Ungarns Brewery of the Year war, aber immer auch ein paar Gastbiere von anderen ungarischen Craft Breweries.
Ein Besuch in Budapest wäre aber nicht vollständig, wenn man nicht noch mit dem Vorort-Bummelzug bis nach Nagyicce zur Legenda Sörfőzde hinausfahren würde. Der Name ist Programm – unter den ungarischen Bierliebhabern gilt die Brauerei Legenda in der Tat als legendär. In der grauen und unauffälligen Halle werden immer wieder neue Bierstile eingebraut, die Flaschenetiketten sind professionell gestylt, die Biere stilecht, und rundherum bildet sich ein regelrechter Kult um das Bier. Trotz der halbstündigen Anreise über verbogene Gleise eine echte Empfehlung, denn im großen Taproom kann man die Biere wunderbar verkosten, oft auch bei Livemusik.
Budapest ist mittendrin in der Craftbier-Revolution – wer will, kann hier richtig tolle Biererlebnisse haben. Obwohl: Streng genommen darf man eigentlich nur von Pest sprechen, denn auf der Budaer Seite sieht es noch mau aus. Zu stark dominieren hier die edlen Hotels, die Thermalbäder und gehobenen Restaurants im Diplomatenviertel, die eine Klientel anziehen, die den Begriff Craftbier meistens noch nicht einmal kennt …
Interessante Adressen in Budapest
Csak a jó sör, Kertész 42-44.
Dreher Sörmúzeum, Jászberényi 7.
Élesztőház, Tűzoltó 22.
FIRST Craft Beer & BBQ, Dob 3.
FIRST The Craft Beer Co., Váci 83.
Hopaholic – In Hop We Trust, Akácfa 38.
Legenda Sörfőzde, Kövirózsa 8/c.
Léhűtő, Holló 12-14.
Mad Scientist, Maglódi 47.
Monyo Tap House, Kálvin Tér 7.
Rizmajer Sörház, József Körút 14.
Szimpla Kert / Labor, Kazinczy 14.
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