„Zu groß!“, „Zu gewaltig!“, „Zu weit weg!“, „Zu aggressiv im Marketing!“, „Kein Verständnis für die deutsche Bierkultur!“, „Wir haben es ja gleich gewusst!“ – Die Reaktionen waren deutlich, als Greg Koch am 5. April 2019 bekannt gab, sein Bierparadies Stone Brewing World Bistro & Gardens in Berlin nach nur etwas mehr als zwei Jahren wieder zu schließen. Viele haben noch vor Augen, mit welch großem Anspruch und mit welch arrogantem Auftreten er 2016 die Entscheidung verkündet hatte, in Berlin Mariendorf eine deutsche Dependance zu gründen, um von hier aus den europäischen Biermarkt aufzurollen.
Doch hier und heute ist nicht der richtige Platz, diese überraschende Wende zu analysieren und zu kommentieren – dafür werde ich mir in einer der nächsten Ausgaben meines Newsletters die Zeit nehmen…
Viel wichtiger ist, dass ich seit mehr als zwei Jahren vorhatte, mir selbst einmal einen Eindruck vom umgebauten ehemaligen Gaswerk zu verschaffen, in dem jetzt eine der interessantesten Brauereien Deutschlands und vielleicht die vielfältigste Biergastronomie des Landes ihren Platz gefunden haben. Plötzlich scheint mir die Zeit wegzulaufen, und es ist nur ein glücklicher Zufall, dass ich gerade mal vier Tage nach der Bekanntgabe der Schließungspläne zufällig beruflich in Berlin bin und am 9. April 2019 einen freien Abend habe. Auf geht es also nach Mariendorf.
Mit der U-Bahn erreiche ich Alt-Mariendorf relativ rasch, aber dann liegen noch anderthalb Kilometer Fußweg oder einige Stationen mit dem Bus vor mir, und trotz bestem Wetter kann ich zumindest ein wenig nachvollziehen, dass die Berliner die Lage der Brauerei als jot-wee-dee – janz weit draußen – empfinden. Zumal nicht alle so zentral am Alexanderplatz losfahren können wie ich, sondern vielleicht aus anderen Stadtbezirken noch länger unterwegs sind.
Jetzt stehe ich aber vor dem großen Ziegelbau, bestaune den riesigen Biergarten, der landschaftsarchitektonisch beeindruckend gestaltet ist. Hier kann man im Sommer den ganzen Tag verbringen, die Kinder können herumtoben, und die Eltern können versuchen, sich einmal durch die Bierkarte zu probieren.
Heute ist es dafür zu frisch, und so zieht es mich hinein in die riesige Halle. Auch hier haben die Architekten ihr Bestes gegeben. Sitzgruppen unterschiedlicher Art verteilen sich auf der großen Fläche. Man kann an großen, langen Tischen sitzen oder lauschige kleine Eckchen finden. Eine riesige Treppe führt in ein Obergeschoss, aber die Stufen sind breit und tief, und überall liegen Sitzkissen herum, so dass man sich auch auf der Treppe tummeln und es sich gemütlich machen kann. Große Felsbrocken können genauso als Sitzgelegenheit genutzt werden wie alte Holzstämme, und selbst wenn diese riesige Halle einmal voll wäre, würde es vermutlich immer noch einladend wirken und nicht nach Massenabfertigung riechen.
Wenn sie einmal voll wäre…
Denn heute ist sie es nicht.
Nun gut, es ist ein ganz normaler Dienstagabend, da erholt sich der Berliner immer noch von seinen Wochenendexzessen, aber dass sich außer mir vielleicht noch ein, höchstens zwei Dutzend Gäste in der Halle verteilen, das hätte ich dann doch nicht erwartet.
Am gefühlten Ende der Halle (es dürfte wohl eher die Mitte sein…) blicke ich durch eine riesige Panorama-Glaswand auf das rot illuminierte Sudwerk. Blanke Edelstahlkessel und ein gewaltiges Leitungsgewirr beeindrucken mich. 100 hl können hier pro Sud gebraut werden, und irgendwo zwischen den großen Installationen verbirgt sich auch ein kleines 10-hl-Sudwerk, eine Pilotanlage für Versuchssude oder ganz exotische Bierstile. Klein, aber immer noch größer als die typischen 5-hl-Anlagen einer durchschnittlichen Gasthausbrauerei.
Nachdem ich mich sattgesehen habe (und das kann hier lange dauern, denn ständig entdeckt man neue interessante Details), suche ich mir einen Platz nicht allzu weit von der Theke entfernt. Es ist an der Zeit, die Bierliste aufzublättern, und Hunger habe ich auch. Die Doppelreihe von Zapfhähnen an der Theke ist beeindruckend, die Bierliste ebenfalls. Viele Biere, die hier vor Ort gebraut worden sind, einige Spezialitäten, die aus dem Stone-Mutterhaus in Escondido stammen, und schließlich noch eine Reihe von Bieren befreundeter Brauereien aus der ganzen Welt und einige Collab-Sude, die Stone mit anderen Brauereien zusammen eingebraut hat. Eine ewig lange Liste.
Was in ihr fehlt (und das dürfte einer von vielen Einflussfaktoren gewesen sein, die es Stone schwer gemacht haben, hier den notwendigen Umsatz zu generieren), das sind leichtere, durchtrinkbare Biere. Knapp unter fünf Prozent Alkohol, nicht allzu intensiv im Aroma, in der Hopfung oder in sonstigen exotischen Geschmackskomponenten, sondern einfach nur solide gebraute Durstlöscher – das ist es, was auf der Getränkekarte nicht zu finden ist.
Auch ich hätte jetzt gerne zum Start ein großes Glas aromatisches Zischbier gegen den ersten Durst, bevor ich mich dann an ein neugieriges Verkosten der zahlreichen Spezialitäten mache. Aber: Fehlanzeige! Wehmütig denke ich an meine Jahre in Tschechien, wo jede noch so kleine Dorfbrauerei mich mit einem würzigen und erfrischenden Desítka den ersten Durst löschen ließ.
Immerhin entdecke ich wenigstens ein verhältnismäßig leichtes Bier mit nur 5,3% Alkohol: The Pale Ale for Brighter Futures, ein Collab-Bräu von Stone und Quartiermeister aus Berlin. Ein guter Auftakt, schön hopfenaromatisch, aber noch nicht zu bitter, nicht zu heftig zu Beginn.
Auch das Stone Ripper Pale Ale mit 5,7% geht noch ganz gut. Etwas dunkler in der Farbe, etwas harziger, ein bisschen geschmacksintensiver. Beide sind sehr schöne Biere, beide sind aber auch als Einlaufbier fast schon zu intensiv – immerhin habe ich ja einen strammen Fußmarsch durch Mariendorf hinter mir.
Das war es dann aber auch eigentlich schon mit den „Leichtbieren“. Ich erkläre meinen Durst für gelöscht und bestelle mir einen Prenzlauer Bock. 9,0%. Bumm! Dunkelbraun, kräftig, dick und selbstbewusst. Abgesehen von einem merkwürdigen Nachgeschmack, der die Zunge etwas belegt, ein gutes und solides, fast schon zu stämmiges Bier. Ein Bier, das nach einer Begleitung durch deftiges Essen sucht.
Zwar habe ich keinen großen Hunger, aber eine würzige Kleinigkeit darf es schon sein. Die Speisekarte liest sich spannend. Viele kreative Zusammenstellungen mit Einflüssen aus aller Welt. Die Preise sind stolz – hoffentlich passt dann wenigstens die Qualität, denke ich.
Ich bestelle mit Pulled Pork gefüllte Frühlingsrollen, und als das Schieferbrettchen serviert wird, bin ich durchaus zufrieden. Ein Starter sollte es sein, also eine kleine Vorspeise, und genau das ist es auch, was serviert wird. Spannend gewürzt, ein bisschen Coleslaw-Salat dazu, das passt schon sehr gut. Zehn Euro sind viel, aber die Qualität stimmt.
Mit einer kleinen Grundlage im Magen bin ich erneut mutig und bestelle mir ein weiteres alkoholstarkes Genussbier, diesmal das Arrogant Bastard in der Bourbon-Barrel-Aged Version, gebraut drüben im Mutterhaus, in Escondido bei San Diego. 8,1%. Das eigentlich immer völlig überhopfte und viel zu einseitig bittere Arrogant Bastard hat sich im Bourbon-Fass wunderbar entwickelt. Es ist weicher und runder geworden, die Bourbon-Aromen tun ihm gut und balancieren die aggressive Bittere hervorragend aus. Fünf Sterne, ein tolles Bier.
Tja, vielleicht ist etwas dran, an den Vorwürfen, die man Greg Koch bezüglich der Berliner Niederlassung macht: Nur ganz exotische und alkoholstarke Genussbiere reichen nicht für den dringend notwendigen Grundumsatz. Ich bestelle mir die Biere in winzigen 0,15-l-Portionen, weil gerade bei solchen Spezialitäten wie dem Bourbon-Barrel-Aged Arrogant Bastard alles andere viel zu anstrengend, viel zu sättigend wäre. Jetzt zwischendurch ein Zischbier, und dann würde ich noch einmal so gerne weitermachen.
Streng genommen habe ich also für heute bereits genug. Die Geschmacksnerven waren begeistert, sind aber müde. Gleiches gilt für meine Augen. So viel zu sehen… Machen wir also Schluss für heute.
Kurz bevor ich gehen möchte, erreicht mich eine kurze Textnachricht: „Bleib sitzen, ich komme auch noch vorbei!“ Und wenige Augenblicke später sitze ich mit einem Bierbekannten aus dem Internet zusammen. Nun denn, es wird also weiter verkostet.
Der Oderbock darf es jetzt sein. Ganz, ganz dunkelbraun, 9,5% Alkohol und ein stämmiger, malziger Körper. Ein sehr schönes Bier, aber wieder sind – gut eingeschenkte! – 150 ml mehr als genug. Jetzt reicht es aber wirklich, signalisiere ich meinem Gegenüber, aber der sagt nur: „Das Enter Night musst Du noch probieren, das Metallica-Bier. Das hat auch nur 5,7%. Das geht schon noch!“
Augenblicke später steht ein 300-ml-Glas dieses Pilsner-Biers vor mir. Ein Durstlöscher zum Abschluss? Nein, dazu ist es auch wieder zu kräftig. Herzhaft gehopft, sehr kräftig im Alkohol – erneut ein ganz tolles Bier, erneut aber eines, das vielleicht ein bisschen weniger intensiv auch gut gewesen wäre.
Es ist 23:00 Uhr. Wer möchte, kann noch seine Last Orders platzieren, und dann macht Stone Brewing World Bistro & Gardens für heute zu. Ich wende mich zum Gehen.
Ein tolles Biererlebnis wird hier geboten, aber es stimmt, was erzählt wird: Es liegt sehr weit draußen, und es gibt nur intensive, aroma- und meistens auch alkoholstarke Biere. Da findet sich auch zwei Jahre nach dem Start immer noch keine ausreichend große Kundschaft, die immer mal wieder einen schönen Familienausflug hierher macht. Beeindruckende Biere, die nur in homöopathischen Mengen genossen werden können, und ein wirklich beeindruckendes und mich persönlich sehr ansprechendes, aber irrsinnig aufwändiges Konzept – das ist wohl nicht durchhaltefähig.
Und so beende ich einen Brauereibesuch, der mir – abgesehen von den vielen leeren Tischen – rundum gut gefallen hat, mit etwas Wehmut. In wenigen Wochen schon wird der Betrieb verkauft. Die neuen Besitzer – die schottische Brauerei BrewDog – werden für einige Wochen schließen, alles nach ihren eigenen Vorlieben anpassen und dann, in welcher Form auch immer (das bleibt abzuwarten), wieder neu eröffnen. Die Bierwelt wartet gespannt.
Die Biererlebniswelt Stone Brewing World Bistro & Gardens ist an Wochentagen von 16:00 bis 23:00 Uhr geöffnet, sonnabends ab 12:00 Uhr, sonntags ab 09:00 Uhr. Für die letzten, wenigen Tage gilt es, sich vorher zu informieren, ob diese Zeiten noch gültig sind. Zu erreichen ist die Brauerei am besten mit dem Auto, es gibt einen großen, gebührenfreien Parkplatz direkt nebenan – aber dann darf halt immer einer nichts trinken. Die Alternative sind die Öffis bis Alt-Mariendorf (U-Bahn) und ein langer Fußmarsch (oder noch mal in den Bus umsteigen).
Nachtrag 1. Mai 2019: Jetzt ist es vorbei, das Bistro und der Biergarten sind geschlossen:
Was die Zukunft unter den neuen Eigentümern BrewDog bringt? Wer weiß.
Stone Brewing World Bistro & Gardens
Im Marienpark 23
12 107 Berlin
Berlin
Deutschland
Sehr schöner, detaillierter Bericht, danke für die genaue Beschreibung. So kann man sich das richtig gut vorstellen … und musste nicht selber da gewesen sein. ;-)
Hallo, Viola,
vielen Dank für Deinen netten Kommentar! Freut mich, wenn meine Berichte und Beiträge so schön plastisch rüberkommen.
Mit bestem Gruß,
VQ