Fast 40 Jahre ist es her, dass ich im Weserbergland mein Abitur gemacht habe und dann fortgezogen bin. Manchmal denke ich noch an die Zeit in der Oberstufe, als wir uns regelmäßig in den Kneipen der Region getroffen haben und unsere ersten Erfahrungen mit Alkohol gemacht haben. Herforder Bier gab es damals in jeder zweiten Kneipe, und in den anderen entweder Schaumburger, Härke oder Gilde. Eigentlich war es uns aber egal, denn wir bestellten sowieso nur „ein Bier“, und was es dann für eins gab, war uns ziemlich wurscht.
Es sei denn, wie waren im Minchen in Bückeburg. Dort gab es damals schon, Ende der 70er, Anfang der 80er, mehr als einfach nur „ein Bier“. Es gab immer schon ein paar verschiedene Fassbiere (wenn auch meistens Pils), es gab Weißbier (damals in Niedersachsen etwas ganz Besonderes) und es gab Altbier! Nun ja, es gab auch Altbierbowle, also Altbier, das mit Erdbeerkompott aus der Dose gemischt wurde, aber darüber schweigen wir jetzt im Abstand von 40 Jahren lieber.
Lang ist’s her, aber als ich in der Septembersonne vor dem Minchen stehe, kommen die Erinnerungen wieder zurück:
Wie viele Abende haben wir hier zusammengesessen, erzählt, gelacht und getrunken, ohne uns Gedanken zu machen, wie wir wieder nach Hause kämen. Diejenigen von uns, die in Bückeburg oder den Dörfern rundum wohnten, hatten es gut, die konnten zur Not laufen – in spätestens einer Stunde war man irgendwie heil angekommen.
Wer etwas weiter weg wohnte, vertraute auf die Nachsicht seiner Eltern. Wie oft habe ich mir zu später Stunde ein paar Groschen gepumpt, zuhause angerufen und mich zu nachtschlafender Zeit von meinem Vater oder meiner Mutter abholen lassen. Begeistert waren sie nicht, aber die Alternative „Ich trampe nachhause!“ war ihnen aus guten Gründen auch nicht recht.
1973 ist das Minchen eröffnet worden. Der alte Bahnhof, in dem es sich befindet, war Teil der Eisenbahnlinie Bückeburg – Bad Eilsen gewesen, die bis Ende der 60er Jahre als Privatbahn vom Bückeburger Fürstenhaus betrieben worden war. Das kleine Bähnchen, das hier immer hin und her fuhr, wurde „Minchen“ genannt, die Koseform von Wilhelmine. Juliane Wilhelmine Luise Gräfin zu Schaumburg-Lippe hat in ihrem nur 38 Jahre kurzen Leben Bückeburg und sein Schloss sowie die Dörfer rundherum maßgeblich geprägt, als Fürstin Wilhelmine ist sie bis heute in der Stadt bekannt.
Als die Bahnstrecke stillgelegt wurde, stand der Ostbahnhof ein paar Jahre leer, und dann zog das Minchen ein – von Anfang an eine urige, gemütliche Kneipe, in der man sich generationenübergreifend auf ein, zwei, viele – verschiedene! – Biere treffen konnte.
Heute, im Jahr 2019, wirkt die Bierauswahl nicht mehr beeindruckend. Craftbierbars, Tap Rooms und Gasthausbrauereien verwöhnen uns mit Bierstilen aus aller Welt. Und trotzdem: Fünf Biere vom Fass, rund zehn verschiedene Weißbiere einschließlich des nach wie vor in Norddeutschland nur selten zu bekommenden Aventinus Weizenbocks, und noch ein paar weitere Flaschenbiere können sich noch sehen lassen. Ob frisch gezapftes Guinness mit sahnigem Schaum, ein in der Region gebrautes Altbier (von Barre aus dem nahegelegenen Lübbecke), ein Kölsch oder ein klassisches Pils – die Biere sind gut gepflegt und werden von freundlichem Personal serviert.
Dort, wo einst die Bahnschienen verliefen, hat das Minchen mittlerweile angebaut und eine Art langgestreckten Wintergarten errichtet, an dessen Seite man heute auch schön draußen sitzen und die Abendsonne genießen kann.
Und drinnen? Neugierig mache ich mich auf den Weg und erkunde die kleinen Räume. Heute wie damals geben sie die Möglichkeit, sich in größeren Gruppen an großen Tischen zusammenzusetzen oder sich als Pärchen kuschelig in einem kleinen Winkel zu verkriechen. Einiges an der Deko hat sich verändert, anderes scheint vierzig Jahre lang unverändert geblieben zu sein. Die alte zerkratzte Tischplatte unter der Cinzano-Reklame – ist das nicht die, an der wir uns immer getroffen haben? Wäre ich damals nicht so brav gewesen, sondern hätte irgendwo meine Initialen in die Platte geritzt – wer weiß, vielleicht würde ich sie heute noch wiederfinden?
Bei einem kleinen Altbier für einen Euro (montags bis donnerstags ist von siebzehn bis achtzehn Uhr Happy Hour, da gibt es das 0,2er Bier für einen Euro!) und einem Salat mit gebackenem Schafskäse sitze ich da und denke an die guten, alten Zeiten zurück. Als Szene-Kneipe hat sich das Minchen gut gehalten und ist schon fast am Ende seines fünften Jahrzehnts. Als Anlaufpunkt für Bierliebhaber bietet es zwar keine exotischen Biermarken an, aber immerhin mehr als ein Dutzend solide und sehr gepflegte Biere.
Und seien wir mal ehrlich: Manchmal muss es für den Biergenuss nicht die gewaltige und exotische Auswahl sein. Manchmal genügt es, dass die Qualität des Biers und das Ambiente zusammenpassen, dass man das Bier einmal nicht in den Mittelpunkt stellt, sondern als Mittel zum Zweck ansieht. Als Mittel zur Förderung der Kommunikation, als Grund dafür, einfach mal wieder in die Kneipe zu gehen und Mitmenschen zu treffen, als Appetitanreger für ein leckeres Essen oder als – so wie wir das damals empfunden haben – Aphrodisiakum. Politisch korrekt sind meine Gedanken nicht, aber was haben wir hormongesteuerten Oberstufenschüler uns unsere Klassenkameradinnen hier im Minchen manchmal schöngetrunken …
Das Minchen ist montags bis freitags ab 17:00 Uhr geöffnet, sonnabends ab 15:00 Uhr, und sonntags gibt es von 10:00 bis 14:00 Uhr ein Frühstücksbüffet. Vom Bahnhof Bückeburg aus läuft man keine zehn Minuten in ostwärtiger Richtung bis hierher.
Minchen
Am Ostbahnhof 5B
31 675 Bückeburg
Niedersachsen
Deutschland
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