Die ehemalige Prager Vorstadt Karolinenthal war Industrieviertel und Werkbank der Stadt Prag. Mittlerweile ist die Stadt um diese Siedlung herumgewachsen, und Karlín, wie der Bezirk jetzt heißt, ist nicht mehr Vorstadt, sondern integrierter Teil Prags. Und Industrieviertel ist Karlín auch nicht mehr, ganz im Gegenteil: In den letzten Jahren hat sich hier eine rege Szene entwickelt, mit Bars, Kneipen, Restaurants und Musikklubs. Hier und direkt nebenan in Florenc kann man von einer Wirtschaft in die nächste stolpern und sich die Nächte nicht nur eines Wochenendes um die Ohren schlagen.
Ein bisschen am Rand des Bezirks ist ein Bürogebäude entstanden, das Butterfly Karlín, ein moderner Komplex, dessen Fassade außen zu Teilen begrünt ist. Neueste Architektur, aber keine, die in betonlastigen, bombastischen Formen den Betrachter zu erdrücken versucht, sondern eher human und umweltverträglich daherkommen möchte – sichtbares Zeichen dieses Ansatzes ist der Grundriss, der wie die vier Flügel eines Schmetterlings aussieht. Daher auch der Name Butterfly Karlín.
Im Erdgeschoss dieses Komplexes befindet sich im südwestlichen der vier Schmetterlingsflügel seit März 2019 die Brauerei Pivo Karlín, in der schönen Jahreszeit schon von weitem durch ihren großen Gastgarten mit den weißen und roten Sonnenschirmen erkennbar. Vorne, zum Parkplatz hin, hat der Garten mit den weißen Schirmen und den kleineren Tischen eher den Charakter eines Straßencafés, weiter hinten, unter den roten Schirmen, verbreiten lange Bänke und Tische eher Biergartenatmosphäre. Durch die großflächigen Fenster kann man in den Innenraum sehen, der, der Form des Schmetterlingsflügels folgend, einen weiten Bogen schlägt.
Das Mobiliar ist auf alt getrimmt. Dicke Sofas mit braunem, fleckigem Leder, simple Holzstühle, denen Kratzer und Unregelmäßigkeiten eine gewisse künstliche Alterung verleihen. Dann ein paar Meter weiter aber wieder neue Möbel, klare Linien, scharfe Kanten, ein bisschen Industrial Chic.
Durch eine Panoramascheibe kann man vom Gastraum in die Küche blicken und den Köchen bei der Arbeit zusehen. Was hier in erster Linie zubereitet wird, ist klar: Einer Borte gleich zieht sich eine lange Reihe von Schweinesilhouetten rund um das Panoramafenster.
Auf der anderen Seite stehen mit einem irisierenden Wabenmuster versehene, glänzende Stahltanks, in denen das vor Ort gebraute Bier reift und aus denen es ausgeschenkt wird. Je nach Beleuchtung und Sonneneinfall formen die in den Stahl gearbeiteten Strukturen immer neue Reflexionsmuster in unterschiedlichen Farben. Dahinter schließt sich die geschwungene Theke an, die ebenfalls der Rundung des Gebäudes folgt, und am Ende schließlich das Sudhaus. Hier geht es erstaunlich eng und schmucklos zu. Zwar hat jeder Besucher die Möglichkeit, sich das Sudwerk etwas näher anzuschauen, aber auf optische Präsentation wird überraschenderweise kein allzu großer Wert gelegt – hier ist alles auf Funktionalität getrimmt.
Bier und Schweinefleisch sind die Schwerpunkte, um die sich bei Pivo Karlín alles dreht, und diese beiden Produkte dominieren auch die Speisekarte in allen möglichen Variationen. Aber: Auch der Nicht-Biertrinker und die Vegetarierin kommen hier auf ihre Kosten: Es gibt zahlreiche andere Getränke, und auch die Küche kann durchaus fleischlos punkten. Selbst in Tschechien, wo man scherzhaft sagt, dass das Servieren von Salat und Gemüse als Beleidigung des Gastes gilt, findet langsam ein Umdenken statt.
Ich beende meinen Spaziergang durch den Gastraum und suche mir auf einer der lederbezogenen Bänke einen Platz. Passend zum sommerlichen Wetter bestelle ich mir ein Summer Ale, ein leicht fruchtiges, erfrischendes obergäriges Bier, das mit deutlich spürbaren, aber nicht zu dominanten Hopfennoten aufwartet. Sein estriger Charakter ist sympathisch und macht es gut trinkbar, gerne auch ohne etwas dazu zu essen, und gerne auch mehr als nur ein großes Glas. Ein gelungenes Bier!
Ein deftiges Kartoffelgratin mit Schweinefilets, die um eine Blattspinatfüllung zusammengerollt sind, liefert mir eine solide Grundlage für ein zweites Bier, ein simples zwölfgrädiges Helles, das Světlý 12°. In bester tschechischer Brautradition kommt es daher. Erfrischend, aber nicht zu hoch gespundet, deutlich gehopft, aber nicht zu bitter, mit einem aromatischen Grundgerüst und großer Süffigkeit. Als Untergäriges frei von allen fruchtigen Estern, und in seiner Hopfengabe den kräuterigen und harzigen Noten eher verhaftet als den Früchten, die ich eben im Summer Ale erschnuppern konnte. Ein grundsolides Alltagsbier mit sehr hoher Durchtrinkbarkeit.
Die Mittagspause im Bürogebäude geht langsam dem Ende entgegen. War es bis eben noch rappelvoll, leert sich der Schankraum jetzt rasch. Die Kellnerinnen und Kellner, der Barmann und die Küchenbrigade haben bewiesen, dass sie dem Ansturm und der Ungeduld der Menschen, die im Butterfly Karlín und den umliegenden Gebäuden arbeiten, standhalten und sie bewältigen können – innerhalb kürzester Zeit wurden die Gäste verköstigt. Und das für durchaus kleines Geld – die Gerichte der Tageskarte sind interessant und preiswert.
Noch ein Weilchen bleibe ich sitzen und genieße die Ruhe. Nur noch eine Handvoll Gäste verteilt sich auf den großen Schankraum, und das wird sich wohl erst wieder ändern, wenn ab dem späteren Nachmittag die ersten Feierabendbiertrinker kommen.
Bier, Speisen, Service – an nichts gibt es etwas auszusetzen, und auch das Ambiente spricht mich persönlich durchaus an. Bleibt es bei diesem Niveau und können die Betreiber der Versuchung widerstehen, die Preise nach anfänglichen Erfolgen zu rasch anzuheben, dann sollte der Pivo Karlín wohl ein dauerhafter Erfolg sicher sein. Zu wünschen wäre es, immerhin ist es die erste echte Brauerei in diesem kleinen, schon seit 200 Jahren existierenden Ortsteil.
Die Gasthausbrauerei Pivo Karlín ist montags bis sonnabends von 11:00 bis 24:00 Uhr durchgehend geöffnet; sonntags ist zu. Es gibt Bier zum Mitnehmen, aber auch das von ausgesuchten Metzgern gelieferte Fleisch von Mangalitza-Schweinen kann hier gekauft und daheim selbst zubereitet werden, eine kleine Besonderheit für eine Gasthausbrauerei. Zu erreichen ist die Brauerei mit der Straßenbahn, Linien 3, 8 und 24, Haltestelle Urxova, oder mit der Metro, Linie B, Haltestelle Invalidovna. Von dort aus sind es jeweils etwa fünf Minuten zu Fuß.
Pivo Karlín
Pernerova 691/42
186 00 Praha
Tschechien
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