Ein einfaches Studentencafé. Tiefenentspannte Atmosphäre. Stühle, Sofas, Bänke, kleine und große Tische, alles sieht aus wie bei Freunden oder vom Dachboden der Oma zusammengesammelt. Ein paar junge Leute verteilen sich im Raum, es läuft leise Musik. Hier sitzt ein Herr und liest die Tageszeitung, dort hat eine junge Dame ein paar Skripte ausgepackt und malt mit dem Textmarker darin herum, und in der Ecke sitzt ein Pärchen vor dem aufgeklappten Laptop und arbeitet gemeinsam.
Ein Studentencafé, wie man es insbesondere in den Universitätsvierteln der Großstädte an jeder Straßenecke findet. Gemütliche Rückzugsorte, an denen man für wenig Geld etwas zu trinken oder zu essen bekommt und auch bei kleiner Zeche stundenlang sitzenbleiben darf.
Was macht das Café Lajka also zu etwas Besonderem?
Nun, wir sind in Prag, und da geht nichts ohne Bier. Während in anderen Städten der Welt aromatisierte Tees, ökologisch angebaute Kaffees oder Club Mate angesagt sind und nachgefragt werden, lautet hier in Prag die Frage eigentlich nur: „Hell oder Dunkel?“ Zunächst gehen sowohl Kellner oder Kellnerin als auch Gast davon aus, dass Bier getrunken wird. Vielleicht überlegt man noch, ob hell, dunkel, halbdunkel oder gar řezane, also halb-und-halb, aber das war es dann schon.
Bier als Standardgetränk, und wer etwas anderes möchte, wird zwar nicht kritisch beäugt, muss aber gegebenenfalls schon mal bewusst nach der Getränkekarte Ausschau halten.
Wenn in Tschechien nun schon nichts ohne Bier geht, warum dann im Studentencafé nicht gleich ein eigenes herstellen, mögen sich die Betreiber gedacht haben, und so wurde aus dem Café Lajka die Pivovar a Café Lajka. Seit März 2019 wird hier im Prager Stadtteil Bubeneč direkt neben den gemütlichen Räumen des Cafés auch eigenes Bier gebraut.
Es ist kurz vor dem Ende der Semesterferien, in wenigen Tagen beginnt die Uni erst wieder, und so ist das Café Lajka nahezu leer, als ich es vorsichtig über eine kleine Bretterkonstruktion betrete. Der Bürgersteig wird umgebaut, und rund um das Café flattern rotweiße Absperrbänder im Wind. Das macht es von außen jetzt nicht gerade einladend, aber um so gemütlicher wirkt es dann drinnen.
Ich suche mir einen Platz in einer kleinen Ecke unweit der Theke und bestelle mir ein India Pale Lager. Ein seltsamer Bierstil. Eigentlich geht es beim India Pale Ale ja gerade darum, kräftige Hopfennoten und einen nicht minder kräftigen Malzkörper mit den fruchtigen Estern einer obergärigen Hefe zu kombinieren und durch diese recht komplexe Komposition wunderbare Geschmäcker zu erzielen, ohne zu großen Aufwand in der Herstellung betreiben zu müssen. Da wirkt es etwas merkwürdig, wenn sich eine Brauerei dazu entschließt, den Einfluss der Hefe bewusst zu reduzieren, eine eher neutral vergärende Lagerhefe zu benutzen, die eben keine fruchtigen Ester erzeugt, und dann auch noch den bei untergärigem Brauen etwas höheren Aufwand (Kühlung, längere Lagerzeit) in Kauf nimmt.
Das Ergebnis spricht im Falle der Pivovar a Café Lajka aber für sich. Das lediglich zwölfgrädige Bier überzeugt mit feinen, eher ins Kräuterige und leicht Harzige tendierenden Hopfenaromen, einem soliden, aber nicht zu mastigen Malzkörper, einer kernigen Bittere und dem Fehlen von parfümierten, estrigen Gäraromen. Ein sehr sauberes und schön ausbalanciertes Bier, und sowohl vom klaren Geschmack als auch vom noch recht niedrigen Alkoholgehalt von 5,4% her hervorragend durchtrinkbar. Wäre es nicht gerade erst früher Nachmittag, ich würde mir ohne zu zögern ein großes Glas davon nachbestellen!
Aber ich bin unter anderen hergekommen, um nebenbei auch noch etwas zu arbeiten, und so klappe ich meinen Rechner auf und beschränke mich zunächst mal auf dieses eine Bier.
Die Zeit verfliegt. Andere Gäste kommen und gehen. Ein junger Vater mit seinem vielleicht drei Jahre alten Sohn kommt herein, der Große trinkt ein großes Bier, der Kleine einen kleinen Apfelsaft. Ganz ernsthaft sitzt der Kleine am Tisch, ahmt seinen Papa sorgfältig nach. Grüßt dieser einen Bekannten mit einem Kopfnicken, nickt auch der Kleine. Nimmt er einen Schluck Bier, so nippt der Kleine am Apfelsaft. Sagt der Papa genießerisch „Aaah!“, kommt ein ebensolches „Aaah!“ auch nach dem Schluck Apfelsaft. Bezaubernd, anzusehen, wie Vater und Sohn den Nachmittag genießen und sich ganz ernsthaft unterhalten.
Eine Gruppe junger Mädchen kommt gickernd und gackernd herein. Eine bestellt einen Früchtetee, die anderen Bier. Als die Biere serviert werden, sieht die erste ganz erschrocken auf ihre Teetasse und bestellt rasch noch um: Ach nein, dann doch lieber auch ein Bier. Der Kellner grinst und nimmt die Tasse mit dem heißen Wasser wieder mit. Wer weiß, vielleicht hat er schon gewusst, warum er den Teebeutel noch nicht aus der Folienverpackung herausgenommen hatte?
Französische Chansons, alte Lieder vom Anfang des letzten Jahrhunderts, ja, sogar Lale Andersens Lili Marleen laufen leise im Hintergrund und verleihen dem Nachmittag ein ganz besonderes Flair.
Langsam schlurft ein alter Mann herein. Ein Stammgast, offensichtlich. Štamgast – das Wort kennt man auch im Tschechischen. Umständlich windet er sich aus seinem dünnen, beigefarbenen Anorak, und noch bevor er sich setzt, steht bereits ein großes Bier vor ihm auf dem Tisch. Er braucht nicht zu bestellen, der junge Mann hinter der Theke hatte bereits zu zapfen begonnen, als die Tür aufging.
Nach einer Weile bin ich mit meiner Arbeit durch und klappe den Rechner wieder zusammen. Lange habe ich gesessen, gearbeitet, aber auch die anderen Gäste beobachtet. Niemand hat mich gestört, niemand gedrängt, dass ich noch etwas bestelle.
Jetzt gönne ich mir aber noch ein zweites Bier und freue mich über ein dreizehngrädiges American Pale Ale mit 5,7% Alkohol. Deutlich fruchtiger als das India Pale Lager ist es, und obwohl es ein ausgezeichneter Vertreter seines Stils ist, vermisse ich doch fast die klare Reinheit des Lagers, des IPL von vorhin.
Mittlerweile ist es später Nachmittag. Zwei ganz schmackhafte Biere habe ich hier genießen dürfen und lange hier verbringen und arbeiten können. Eine wunderbar entspannende Atmosphäre, gastlich und gemütlich – geradezu ein zweites Wohnzimmer. So langsam beginnt das Café Lajka, sich zu füllen. Mehr und mehr vorwiegend junge Leute kommen, aber auch eine Gruppe von drei älteren Damen, offensichtlich aus der Nachbarschaft. Auch wenn ich mit Verweis auf die Baustelle direkt vor den Gebäuden keine Möglichkeit bekommen habe, mir mal das Sudwerk nebenan anzuschauen, war es doch ein außerordentlich lohnender Besuch in einem liebevoll betriebenen Studentencafé.
Die Pivovar a Café Lajka, die nach dem ersten Lebewesen im Weltall, der russischen (damals sowjetischen) Hündin Lajka (Лайка) von Sputnik 2 benannt ist, ist täglich ab 10:00 Uhr, sonnabends und sonntags ab 12:00 Uhr durchgehend geöffnet; kein Ruhetag. Zu erreichen ist das Café am besten mit der Straßenbahn, Linien 1, 2, 7, 8, 11, 12, 14, 17, 25, 26 und 36, Haltestelle Letenské Náměstí. Von dort aus sind es drei Minuten zu Fuß in nördlicher Richtung.
Pivovar a Café Lajka
U Akademie 366/11
170 00 Praha
Tschechien
Be the first to comment