Läuft man durch die Altstadt von Bern, dann sieht man vor den Häusern immer wieder seltsame Boxen, die mit Holz- oder Blechabdeckungen verschlossen sind.
Was da wohl drinnen sein mag? Split oder anderes Streugut vielleicht? Na, eher nicht, so streng sind die Winter selbst in der Schweiz nicht, dass man diese gewaltigen Mengen an Streusand oder Streusalz benötigen würde. Fahrradständer? Dazu sind sie zu flach. Packstationen der Schweizer Post? Dann trügen sie ein Logo…
Nein, die Lösung ist eigentlich ganz simpel: Es sind Abdeckungen über schmalen Treppen, die in die Gewölbekeller der Häuser führen. Im Mittelalter wurden hier Waren gelagert, und heute sind die Keller der Berner Altstadt Bestandteil des UNESCO-Weltkulturerbes. Faszinierend, was es in diesen Kellern alles zu entdecken gibt. Vom Lebensmittelgeschäft für Veganer über einen Schallplattenshop mit alten Vinyl-Raritäten, winzigen Konzert- und Theaterbühnen, Souvenirlädchen, Cafés und Innenausstattern bis zu einer Käserei findet sich eine komplette Erlebniswelt unter den Häusern der Altstadt. Es gibt nichts, was die wunderbaren alten Gewölbe nicht beherbergen würden.
Und so findet sich natürlich auch eine erstklassige Bierbar in einem der Keller der Rathausgasse. Zwischen den Bögen der Arkadengänge steht eine Vitrine mit einem hell beleuchteten Deckel eines Holzfasses. On Tap CraftGallery steht auf dem Deckel, und sicherheitshalber steht auf der Glasscheibe noch einmal geschrieben: Bierspezialitäten & Essen. Damit auch jedem klar ist, was ihn unten erwartet.
Vor der Vitrine stehen die beiden Holzflügel weit offen und eine schmale und steile Treppe führt nach unten, wo hinter dicken Eichentüren die alten Gewölbe warten. Linker Hand stehen in einem kleinen Keller vielleicht ein halbes Dutzend schlichte Holztische, rechter Hand findet sich in einem zweiten Keller eine kleine Theke. Es ist schummrig beleuchtet, aber dank einer ausgeklügelten Belüftungsanlage, deren Rohre sich unter der Decke entlang winden, ist die Luft erstaunlich frisch und überhaupt nicht muffig.
Eine Handvoll Barhocker vor der Theke nur – und alle Plätze sind besetzt. Ebenso die kleinen Tische im Nebenraum. Fast wollen wir schon wieder umkehren, als zwei junge Männer ihr Portemonnaie zücken und bezahlen. Zwei Plätze an der Theke werden frei. Glück gehabt.
Das erste Problem wäre gelöst, nämlich in der On Tap CraftGallery einen Platz zu bekommen. Das zweite liegt aber noch vor uns, nämlich die Auswahl dessen, was wir trinken wollen. Zwölf Zapfhähne sind in einem alten Küchenschrank, einer Holzanrichte installiert, und ein Flachbildschirm in einem schönen Holzrahmen informiert uns, was alles angeboten wird. Puh, die Auswahl ist schwierig, denn die Betreiber der Bar scheinen darauf zu achten, wirklich nur exotische Biere anzubieten. Ob eine Lassi Gose, ein Tripel IPA, ein Imperial Saison mit Rhabarber oder ein fassgereiftes Sauerbier mit Früchten – jeder Hahn verspricht eine Geschmacksexplosion. Nur ein ganz normales Trinkbier, einen schlichten Bierstil mit hoher Drinkability – das suchen wir fast vergebens.
Na gut, dann lassen wir uns eben auf die fordernden Biere ein und trinken gegen den Durst eben schnell nur ein Glas Leitungswasser. Auch in Ordnung … Aber dann mögen es schon Biere aus der Schweiz sein, denn wenn wir schon mal hier sind …
Von der Brasserie des Franches Montagnes, einfach nur kurz BFM genannt, stammt das La Torpille, ein Bière de Garde mit 7,5%. Erstaunlich dunkel und trüb fließt es in das Glas und weist nur ganz wenig Schaum auf. Seht untypisch. Zwar ist dieser Bierstil sehr weit definiert, aber eine so dunkle Farbe und starke Trübung passt eigentlich nicht. Auch der intensiv malzige Geschmack mit den leichten Röst- und Melanoidinnoten ist nicht so richtig stilgetreu. Hätte man mir dieses Bier einfach so einmal vorgesetzt, hätte ich eher an ein belgisches Dubbel gedacht als an ein Bière de Garde. Es schmeckt eigentlich nicht schlecht, aber irgendwie will die richtige Begeisterung nicht aufkommen, denn mir hatte der Sinn nach etwas ganz anderem gestanden.
Nicht ganz so widersprüchlich ist unser Erlebnis mit dem zweiten Bier, das wir bestellen, dem Confetti Western. Ein Tripel India Pale Ale ist es, und damit jenseits der engen Stilbeschreibungen beispielsweise des BJCP, des US-amerikanischen Beer Judge Certification Program. Es entstand in einer Kollaboration von WhiteFrontier, einer Brauerei aus Martigny, und Collective Arts, einer Brauerei aus Ontario, Kanada. Seine leuchtende, hellorangene Farbe fällt sofort ins Auge. Gleichmäßig trüb ist das Bier, hat nur wenig, aber schön kremigen Schaum, und in der Nase spürt man sofort zahlreiche tropische Früchte. Ananas ist sehr präsent, ebenso etwas Aprikose. Auf der Zunge wird es dann rasch recht herb und im Abgang dominiert die Hopfenbittere. Den hohen Alkoholgehalt von immerhin 10,0% spürt man eigentlich nicht, nicht einmal eine leichte alkoholische Wärme am Gaumen zeigt sich.
Während wir so an der kleinen Theke sitzen, sehen wir zu, wie neben uns auf kleinstem Raum Imbisse bereitet werden. Schälchen mit Käse- oder Wurststückchen, aber auch Flammkuchen mit spannendem Belag. Auf einer Arbeitsfläche, die kaum größer ist als die Geschirrabtropfplatte in unserer Küche daheim entstehen hier in Windeseile ganze Mahlzeiten, die appetitlich aussehen. „Platz ist in der kleinsten Hütte“, muss das Motto in den kleinen Gewölbekellern lauten, anders geht es angesichts der niedrigen Decken und der dicken Wände nicht.
Hinter der Theke steht eine ganze Reihe von Kühlschränken, und wir äugen interessiert hinein. Ein buntes Sammelsurium von Dosen und Flaschen findet sich hier, aber wir erkennen kein Ordnungsprinzip. Ob sich dort denn auch eine fassgereifte, aber nicht saure Bierspezialität finden würde, wollen wir vom freundlichen, jungen Barmann wissen. Er kratzt sich am Kopf. „Ich seh mal nach“, antwortet er und taucht in den Kühlschränken ab. Es klappert und klirrt eine ganze Weile, und dann kommt er mit einer Flasche Barrel Aged Shipwreck Porter der vor wenigen Tagen erst in Konkurs gegangenen Arcadia Brewing Company wieder hoch. „Aged in Bourbon Barrels, 12,0%, ist das in Ordnung?“ Meine holde Ehefrau strahlt. Genau ihr Geschmack!
Einen Moment lassen wir das Bier auf dem Tresen stehen und sich etwas erwärmen, und dann schenken wir uns ein. Fast schwarz, kaum Schaum, fast schon viskose Konsistenz. Das Bourbon-Aroma ist in der Nase präsent, beim Schluck offenbaren sich aber auch fruchtige, röstige und vanilleartige Aromen und Geschmäcker. Auch der Alkohol ist sehr dominant, ohne aber spritig zu sein. Zufrieden genießen wir ein wunderbares Bier in winzigen Schlucken, und das einzige, was unsere unbeschwerte Freude trübt, ist die Ungewissheit über den Preis. Danach hatten wir jetzt gar nicht gefragt. Wir sitzen in einer der teuersten Städte im teuersten Land Europas, haben uns ein sehr edles Bier bestellt – was das wohl kosten mag?
Gar so schlimm wie befürchtet ist es am Ende dann doch nicht. Zwei Fassbiere und eine ganz besondere Flasche, alles zusammen kostet uns 25,- CHF, also etwas über 20,- EUR. Angesichts der Exklusivität der Biere ist das noch zu verkraften. Erleichtert erklimmen wir die steile Treppe, die uns wieder auf die Rathausgasse zurückführt. Links und rechts neben dem Treppenabgang sehen wir noch ein paar kleine Tischchen – hätte es heute Abend nicht ein paar kleine Schauer gegeben, so hätten wir gerne auch hier oben sitzen und unsere Biere genießen können. Mit Selbstbedienung an der Theke allerdings, denn für ein ständiges Rauf- und Runterrennen bliebe den beiden jungen Männern neben Zapfen, Servieren, Kassieren, Kochen und Backen gar keine Zeit.
Die On Tap CraftGallery ist täglich ab 16:00 Uhr durchgängig geöffnet; sonntags ist Ruhetag. Mit dem Bus oder der Straßenbahn fährt man bis zur Zytglogge und geht von dort aus in höchstens zwei Minuten bis zur schmalen Treppe hinunter ins Bierparadies.
On Tap CraftGallery
Rathausgasse 53
3011 Bern
Schweiz
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