Paris zeigt sich von seiner abweisendsten Seite. Es ist Mittagszeit am 31. Dezember. Das Jahr neigt sich dem Ende zu. Das Wetter ist trüb und grau, es ist kalt. Plastikmüll, Zeitungen, Herbstlaub und Dreck, von dem man besser nicht wissen möchte, was es alles ist, werden vom Wind durch die Straßen gefegt. Der seit Wochen andauernde Generalstreik hat die öffentlichen Verkehrsmittel weitgehend lahmgelegt. Alte und behinderte Menschen quälen sich mit kleinen Einkaufswägelchen mühsam über die holprigen Bürgersteige, während die fitteren und wohlhabenderen Bürger sich in ihren Autos in Staus einreihen, die noch länger sind als sowieso schon in diesem Moloch üblich. Dicke und klebrige Abgaswolken machen das Atmen zur Qual.
Nach geduldigem Warten tut sich endlich eine kleine Lücke in der Autoschlange auf, wir überqueren die Straße und stehen vor einer verglasten Außenterrasse. Au Trappiste. Le Royaume de la Bière. Zum Trappisten. Das Königreich des Biers. Die Beschriftung ist einladend, aber basierend auf den Erfahrungen in dieser Stadt gehen wir mit recht niedrigen Erwartungen zwischen den unbesetzten Tischen der Außenterrasse hindurch direkt in den Schankraum.
Rechter Hand sehen wir die Theke, über und über bedeckt mit ‘zig, nein, hunderten verschiedener Biergläser, so eng gestellt, dass die Zapfhahnbatterie dazwischen fast gar nicht zu sehen ist. Der Schankraum ist eng möbliert mit meist kleinen, wackeligen Holztischen und einfachen Stühlen, an den Wänden sehen wir Emailleschilder mit Bierreklame und große Kupferplatten, die wie die Stirnseiten von antiquierten Lagertanks aussehen.
Ein freundlicher Kellner geleitet uns zu einem Tisch, von dem aus wir sowohl die Theke im Blick haben als auch durch die Glaswände der Außenterrasse auf die Straße sehen können, und drückt uns eine schon etwas ältere, etwas spackige Karte in die Hand: „Ist nicht mehr ganz aktuell. Unsere Fassbiere stehen hinter der Theke an der Tafel angeschrieben, und bei den Flaschenbieren müsst Ihr halt fragen. Oder wisst Ihr schon, was Ihr trinken mögt?“
Wir bitten um etwas Geduld und studieren erstmal die wirklich beeindruckende Bierliste. Rund zwanzig Fassbiere dürften es sein, und dazu vielleicht hundert verschiedene Flaschenbiere. Da fällt die Wahl schwer. Wir blicken hinaus auf die Straße, sehen den eisigen Wind und den grauen Himmel, und wir wissen, dass es zumindest etwas Stärkeres sein darf, ein Gaumenwärmer und Seelentröster angesichts dieser Untergangsstimmung.
„Ein schönes, dunkles und starkes Weihnachtsbier, vielleicht?“, träumt meine holde Ehefrau. Und sie hat recht. Ja, ein volles und rundes, weiches und wärmendes Weihnachtsbier, das wäre es jetzt. Damit wenigstens ein paar heimelige Erinnerungen an die Festtage das Grau überdecken. „Aber nicht zu stark, bitte, es ist ja erst mittags“, fügt sie noch hinzu.
Die Tafel hinter der Theke bietet das Leffe de Noël an, ein fruchtig-aromatisches Weihnachtsbier, das aber mit 6,0% Alkohol nicht viel stärker als ein normales Bier ist. Obwohl aus dem Bierkonzern ABInBev stammend, sind die meisten Leffe-Biere recht ausgewogen und harmonisch, und so bestelle ich ihr genau dieses Bier. Und sie ist zufrieden. Weich und fast schon samtig trinkt sich das Bier, hat feine, eher dem wärmenden Spektrum zuzuordnende Aromen, einen süßlich-ausgewogenen Geschmack, und nach ein paar Schlucken röten sich die Wangen und eine leichte Wärme kommt von innen. Schön!
Mir steht der Sinn hingegen nach etwas deutlich Kräftigerem, und ich wähle das Chouffe de Noël aus der kleinen, mittlerweile aber nicht mehr unabhängigen, sondern zu Duvel Moortgat gehörenden Brasserie d’Achouffe. Gewaltige 10,8% Alkohol weist es auf, und es wird serviert im typischen tulpenförmigen Glas der Brauerei, das ein rotbemützter Zwerg ziert. Kräftige estrige Aromen, die die ganze Vielfalt von dunklen Trockenfrüchten und ein paar weinige Noten umfassen. Auf der Zunge ist das Bier weich, wirkt fast sämig-viskos, ist sehr süß, und unmittelbar nach dem Schluck macht sich eine deutliche, aber nicht spritig wirkende Wärme breit.
Entspannung macht sich breit.
Die Atmosphäre im Au Trappiste ist angenehm, sehr freundlich, gar nicht so aufdringlich Konsum fordernd wie so oft in dieser Stadt. Der Kellner lässt uns unser Bier in Ruhe genießen, und irgendwann stellen wir fest, dass eine Kleinigkeit zum Essen jetzt doch nicht schlecht wäre. Wir bestellen uns einen Salat mit Hühnchenbruststreifen und eine Crème Brûlée, die wir uns jeweils teilen.
Auch jetzt kein Drängen des Kellner, ob wir nicht doch jeder etwas eigenes wollten oder ob es nicht noch ein zweites Dessert sein dürfte. Welch eine angenehme, jedoch ungewohnte Zurückhaltung.
Wir genießen noch einen Moment die Entspannung, gönnen uns auch noch einen Kaffee, und schauen uns dann auch noch das obere Stockwerk des heute nur spärlich besuchten Restaurants an. Einen „schönen“ Blick auf die Straße hat man von hier oben, aber mich interessieren viel mehr die hinter einem schwarzen Maschendraht verschlossenen Biergläser und Flaschen. Eine schöne Sammlung steht hier oben – immer die zu einer Bierflasche auch passenden Gläser.
Ein angenehmer Glücksgriff, das Au Trappiste, stellen wir fest, bevor wir uns wieder ins graue Getümmel der Stadt stürzen.
Das Biercafé und Restaurant Au Trappiste ist täglich von 08:00 bis 02:00 Uhr durchgehend geöffnet; kein Ruhetag. Zu erreichen ist es von der Metro-Station Châtelet (Linien 1, 4, 7, 11 und 14) in wenigen Schritten – wenn man den richtigen Aufgang erwischt, kommt man fast direkt vor dem Eingang ans Tageslicht.
Au Trappiste
4 Rue Saint-Denis
75 001 Paris
Frankreich
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