Die Keller von Prag… Nahezu jedes Haus im Zentrum Prags birgt seine Geheimnisse, verborgen tief in den weitläufigen und oftmals mehrere Etagen tief in die Erde reichenden Kellern. Und immer wieder gibt es Überraschungen bei Bauarbeiten, wenn längst vergessene Kellerräume wieder geöffnet werden…
Meistens sind es aber recht profane Arten, wie die Keller genutzt werden: Lagerräume, kleine Läden mit spezialisiertem Angebot oder einfach nur Zentren des Nachtlebens. Hier unten stört kein Lärm, hier unten gibt es keinen Handy-Empfang, und so kann man ungestört essen, trinken, feiern.
Auch die Novoměstský Pivovar verfügt über ein ausgedehntes Kellerlabyrinth, unauffällig, aber, wenn man beginnt, es zu erkunden, höchst interessant.
Es ist der frühe Abend des 13. Februar 2016, wir streifen durch die Stadt und landen nach einem langen Spaziergang vor der Restaurace Novoměstský Pivovar s.r.o. Eine Leuchtreklame an der Straße, dann eine lange Einfahrt, durch die man geht, und schließlich stehen wir im kleinen, gemütlichen Schankraum. Ein auf uralt getrimmtes kupfernes Sudwerk steht rechter Hand, geschmückt mit Gläsern voller Malz und Hopfendolden, vielen alten Flaschen und einigem dekorativem Kram. Grünspan, Patina und ein gewolltes Durcheinander sollen Gemütlichkeit erzeugen. Tritt man einen Schritt näher heran und beugt sich über das Geländer, das das Sudwerk vom Schankraum trennt, kann man aber in die Pfannen und Kessel hineinschauen und sehen, dass sich dort unter der antiken Verkleidung moderne Edelstahltechnik verbirgt, blitzsauber und funktionell.
Wir suchen uns einen Platz im überraschend kleinen Schankraum, blättern in der Speise- und Getränkekarte. Leckere kleine und große Gerichte gibt es, regionale und internationale Küche, eher deftig denn gesund. Ein bisschen ungeduldig überblättere ich die Speisen und suche die Getränkeliste. Ah, hier ist sie ja, und im ersten Moment halte ich erstaunt inne: Acht Sorten! Das hätte ich so nicht erwartet. Aber nein, bei genauerem Lesen sieht es etwas anders aus. Es gibt drei „richtige“ Sorten Bier, der Rest sind mehr oder weniger nur Abwandlungen. Ein Helles und ein Dunkles sind im Angebot, und ein mit Sekthefe vergorenes Bier, der sogenannte Biersekt. Die vierte Position in der Liste ist ein Řezané, also ein verschnittenes Bier, halb und halb aus Hellem und Dunklem gemischt. Und schließlich gibt es noch vier aromatisierte Biere, bei denen das Helle mit Banane, Karamell, Kaffee und Ingwer versetzt worden ist.
Die Tschechen mögen diese aromatisierten Biere, aber mir behagen sie nur selten. Zu oft sind die Aromen künstlich, nicht harmonisch ins Bier eingebettet, schmecken einfach nur chemisch. Und so ignoriere ich die Möglichkeit, auch die aromatisierten Biere als Tester zu bestellen, und beschränke mich auf die ersten vier Sorten. Im Nu stehen sie in einem Metallgestell vor mir. Das Helle ist ein leichtes Bier, mit weniger als vier Prozent Alkohol, und das schmeckt man leider auch. Süffig, aber wenig Aroma und Charakter, Dutzendware. Das Dunkle schmeckt künstlich – als ob die dunkle Farbe nicht vom Röstmalz, sondern von Farbstoff herrühren würde. Merkwürdig. Überraschenderweise schmeckt die Kombination beider, das Řezané, dann aber deutlich besser als seine Komponenten. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass die Idee, Biere zu verschneiden, auch manchmal eine gute sein kann: Hier ist er! Der Biersekt schließlich ist ein wenig enttäuschend. Das weinartige Aroma, das die Sekthefe in das Bier bringen soll, ist durchaus spürbar, aber anstelle eines schlanken, knochentrockenen Körpers hat dieses Bier eine intensive Restsüße, die fruchtig-zitronig wirkt und eher an einen Sekt-Cocktail erinnert.
Biermäßig ist die Restaurace Novoměstský Pivovar s.r.o. offensichtlich keine Offenbarung. Ein wenig enttäuscht wollen wir aufbrechen, als ich neben dem Sudwerk noch die kleine Treppe sehe, die ein paar Stufen nach unten führt. Neugierig folge ich ihr und komme durch einen mit allerlei altem Gerümpel dekorierten Gang. Noch ein paar Stufen tiefer – die Küche. Man kann den Köchen und Köchinnen bei der Arbeit zusehen, den schmalen Gang weiter entlang laufen. Noch ein paar Stufen hinab, es kommt ein langgestreckter, schmaler Schankraum. An dessen Ende ein großes Fenster, dahinter die Gärbottiche. Offene Gärung, dicke Kräusen blubbern träge in den großen stählernen Bottichen. Der Gang biegt rechts ab, ein paar historische Utensilien stehen herum. Eine uralte Zapftheke aus schönem Kupfer, alte Fahrräder, Küchengeschirr, kleine Schränke und Kommoden. Ein paar kleine, urige Schankräume, noch ein paar Stufen, noch mehr Schankräume.
Man könnte fast das Gefühl bekommen, die halbe Prager Innenstadt unterirdisch erkunden zu können. Und in jedem Winkel, in jeder Ecke erneut irgendwelche alten, dekorativen Dinge. Nett!
Die Keller von Prag… Hier, in der Restaurace Novoměstský Pivovar s.r.o. auf’s Beste genutzt und präsentiert. Sehr schön!
Die Restaurace Novoměstský Pivovar s.r.o. ist täglich ab 10:00 Uhr durchgehend geöffnet, sonnabends erst ab 11:30 Uhr, sonntags ab 12:00 Uhr; kein Ruhetag. Zu erreichen ist die kleine Brauerei sehr komfortabel; die Straßenbahnhaltestelle Vodičkova mit den Linien 3, 9, 14 und 24 ist direkt vor dem Eingang.
Nachtrag 31. Januar 2020: Mit Ablauf des heutigen Tages schließt die Restaurace Novoměstský Pivovar s.r.o. Die für die Betreiber überraschende Kündigung ihres Mietvertrags zwingt die seit 1993 bestehende Brauerei, die damit zu den ältesten Brauereien Prags gehört, zur Aufgabe, meldet das Online-Wochenmagazin Euro. Schade, denn auch wenn die Biere mich jetzt nicht gerade begeistert hatten, hatte die 27 Jahre alte Brauerei doch ihr ganz besonderes Flair.
Laut Aleš Krulich, dem Geschäftsführer der Brauerei, steht das gesamte Brau-Equipment zum Verkauf.
Restaurace Novoměstský Pivovar s.r.o.
Vodičkova 20
110 00 Praha
Tschechien
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