Eine Zeitreise zurück in die Vergangenheit, in die sogenannte gute, alte Zeit, kann man unternehmen, wenn man in der Gastwirtschaft Blauensteiner „Zur Stadt Paris“ einkehrt.
Altmodisch und schon ein wenig vergilbt die schlichte Leuchtreklame über dem Eingang in das alte Bürgerhaus mit seiner schönen Fassade. Die ersten Schritte in das Lokal – wir stehen direkt in der Schankstube. „Was für ein riesiger Raum“, denken wir im ersten Moment, aber dann realisieren wir, dass die Grundfläche gar nicht so gewaltig ist. Aber die Höhe. Enorm hoch schwebt die Decke über uns; bestimmt fünf Meter oder mehr über unseren Köpfen wölben sich die Deckenbögen, und die großen Fenster unterstreichen den Eindruck der Größe noch.
Gastwirtschaft Blauensteiner „Zur Stadt Paris“
Ein paar Schritte weiter der zweite Gastraum. Schlicht. Ein paar uralte Holzpaneele an der Wand, an der Stirnwand eine Art Schminktisch mit riesigem Spiegel. Der Fußboden dunkles, altes Parkett, richtig solides Holz. Und die Möbel? Simple Holzstühle, alte Resopaltische, die wie zufällig im Raum verteilt herumstehen. Keine Tischdecken oder sonstige Spielereien, keine besondere Deko. Alles sieht so aus, wie es wahrscheinlich schon vor fünfzig Jahren ausgesehen hat. Ein klassisches Wiener Beisl, völlig unprätentiös.
Lange Zeit war die Wirtschaft geschlossen gewesen, und nach umfangreichen Renovierungsarbeiten wurde sie 2009 wiedereröffnet.
Renovierungsarbeiten?
Moment mal. Nach umfangreichen Renovierungsarbeiten?
Wir schauen genauer hin. Einmal, zweimal, auch ein drittes Mal. Von Renovierung sieht man nichts.
Aber in der Tat: Es ist renoviert worden. Und zwar mit der Absicht, zu reparieren, ohne dass man irgendetwas merkt. Die alten Holzpaneele sind neu gestrichen worden, aber mit klassischen Methoden. Die Resopaltische sind wohl zerlegt und wieder neu zusammengeschraubt worden, ebenso die Holzstühle. Vielleicht hat man auch einmal neu gestrichen und die Fensterrahmen abgedichtet. Aber egal. Was auch immer man gemacht hat, man hat es so gemacht, dass man gar nicht merkt, dass renoviert wurde. Alles sieht aus, wie es schon immer ausgesehen hat, als habe man nur mal eben durchgeputzt.
alles sieht aus, wie es schon immer ausgesehen hat
„Wir würden gerne eine Kleinigkeit essen und ein Bier trinken“, erklären wir dem Kellner, der gemütlich mit dem Koch vor der Theke sitzt und Karten spielt. „Wir sind zehn Personen!“, fügen wir hinzu. Wie von der Tarantel gestochen springt der Kellner auf, tritt dem Koch leicht ans Bein, „Los, auf geht’s!“, und der Koch verschwindet in Windeseile in der Küche.
Mit lautem Getöse schiebt der Kellner ein paar der Resopaltische zusammen, so dass eine langgestreckte Tafel entsteht. Der Lärm hallt in dem kahlen Raum gewaltig. Kaum ist er fertig, fällt ihm ein: „Halt, wir haben ja gleich noch eine Reservierung …“ Alles wird umgeräumt. Die Tische werden über das Parkett gezerrt, geschoben, gedrückt, es scheppert und knallt. Ein Stuhl fällt um, und nach wenigen Minuten sind zwei lange Tischreihen entstanden. „Puh!“ Der Kellner schwitzt.
Na, etwas weniger Hektik, etwas langsamer und dafür bedächtiger, und er wäre in der gleichen Zeit mit halbem Aufwand auch fertig gewesen …
Wir nehmen an den blanken Tischen Platz und bestellen erstmal ein paar Bier. Vom Hubertus Bräu aus Laa an der Thaya gibt es das recht dunkle und trübe Kelt-Bier (erdig und würzig) und das Classic Lager (sehr geschmacksarm und neutral), und von der Salzburger Brauerei Die Weisse das gleichnamige Weißbier (mit kräftiger Gewürznelken- und Kümmelnote im Aroma). Grundsolide Biere, nichts Exotisches. Aber Die Weisse wird in einer herrlich altmodischen Flasche serviert. Schön.
Classic Lager
Altmodische Weißbierflasche, altmodisches Ambiente – und die Gerichte auf der Speisekarte passen sich an. Wo sonst findet man noch so ungewöhnliche Speisen wie Kalbsherz, Schweinszunge oder geröstete Nierchen? Spannend.
Neugierig bestelle ich das Kalbsherz und werde nicht enttäuscht. Festes Muskelfleisch, ungewöhnliche, aber angenehme Konsistenz. In einer würzigen Soße, dazu ein großer Semmelknödel. Lecker. Klassische Küche aus lang vergangenen Zeiten.
Der gut gelaunte Kellner unterhält uns mit frechen Sprüchen und Geschichten, provoziert ein bisschen, als er das „Kinderbier“, also das kleine Glas serviert, oder das „Wasser mit altem Grünschnitt“, den Pfefferminztee für Damen. Eine große Klappe hat er, ist aber fröhlich dabei, nicht zu grantig.
Wir betrachten den Gastraum ein wenig genauer und sehen uns auch auf dem Weg zur Toilette genau um. Tja, so richtig renoviert im Sinne von neu gemacht wurde hier seinerzeit gar nichts. Es wurde alles nur repariert und so wiederhergerichtet, dass es funktioniert und zeitgemäße Hygienebedingungen bietet. Die Treppenstufen waren und sind ein Mosaik aus ausgebrochenen und wieder eingesetzten Steinstufen, zerbröckelt, geflickt, verputzt. Tische und Stühle haben abgestoßene Kanten, aber fest verschraubte Beine, da wackelt nix!
Musik läuft … keine! Stattdessen hallen unsere Stimmen, das Geklapper des Bestecks und das Scharren der Füße auf dem Holzboden durch den hohen Raum, erzeugen auch so schon einen beachtlichen Lärmpegel.
Tja, so muss es früher wohl in vielen Wirtschaften gewesen sein. Schlichtes Ambiente, einfache, aber leckere und nahrhafte Küche, freundlich-rustikale Atmosphäre. Eine Reise in die Vergangenheit … Ein Lokal, in das man wegen der Atmosphäre geht, nicht so sehr wegen der Bierauswahl.
Die Gastwirtschaft Blauensteiner „Zur Stadt Paris“ ist täglich von 11:00 bis 23:30 Uhr durchgehend geöffnet; kein Ruhetag. Zu erreichen am besten mit der U-Bahn-Linie 2, Haltestelle Rathaus.
Gastwirtschaft Blauensteiner „Zur Stadt Paris“
Josefstädterstraße 4
1080 Wien
Österreich
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