Tief im Fundus meiner Bierbibliothek vergraben steht schon seit vielen Jahren diese aufwändige und eindrucksvolle Festschrift zum hundertjährigen Bestehen der Holsten-Brauerei. Sie umfasst 150 großformatige Seiten, ist auf edlem Papier und in hoher Qualität gedruckt, und in den festen Leineneinband ist auf der Vorderseite ein Kunstdruck in ein eingeprägtes Quadrat eingelassen, der ein Stillleben von Johann Georg Hainz aus der Mitte des 17. Jahrhunderts zeigt.
Schon dieses Bild begeistert, noch bevor ich das Buch aufblättere. Eine altmodische Szene, ganz schlicht. Ein Holztisch, darauf ein halbvolles Bierglas und zwei aufgeschnittene Brötchen, oder besser Rundstücke, wie die kleinen, festen, runden und weißen Brote heißen. Eine Besonderheit schon das Bierglas: Klares, durchsichtiges Glas war der Oberschicht vorbehalten, viel zu edel und zu zerbrechlich war es, als dass es als Alltagsbehältnis hätte dienen können. Das Bier ist angetrunken, aber der Schaum hält sich stabil. Er beginnt nur ganz langsam, in sich zusammenzufallen. Erstaunlich klar ist es, das Bier, es scheint lange gelagert worden zu sein; die Farbe ist hellbraun, wie sie seinerzeit wohl typisch war. Brot und Bier – ein völlig alltäglicher Genuss, und dennoch: Auf diesem Bild dargestellt, als sei es ein Festmahl. Ich möchte zugreifen, das Glas ansetzen und trinken, so realistisch und zeitlos ist die Darstellung.
Kurt Grobecker
O Bier du schmäckest fein
Vorsichtig schlage ich das Buch auf und lese das Vorwort. Aufsichtsrat, Vorstand und Belegschaft der Brauerei haben es gemeinsam unterschrieben, und sie blicken zurück auf 100 Jahre wechselvoller, doch stets erfolgreicher Geschichte. „Inzwischen sitzt (der Holsten Ritter) so fest im Sattel, daß wir auch in den nächsten hundert Jahren mit ihm rechnen können“, lese ich und muss schmunzeln. Wer hätte vor 42 Jahren gedacht, dass es mit der Geschichte der Holsten-Brauerei so schnell ein Ende haben könnte?
Nach einigen größeren Übernahmen erfolgten Fehlentscheidungen des Managements, und 2004 wurde die Holsten-Brauerei vom dänischen Carlsberg-Konzern übernommen, 2019 wurde am Rand der Stadt Hamburg eine neue Brauerei eingeweiht und die Produktion dorthin verlagert; die alte Holsten-Brauerei ist nur mehr der Sitz der Verwaltung. Vierzig Jahre haben also genügt, den Holsten Ritter doch aus dem Sattel zu werfen …
In sechs Kapiteln stellt das Buch die hundertjährige Geschichte der Brauerei vor, leider fehlt ein Inhaltsverzeichnis, so dass ich als Leser immer wieder das allerdings sehr detaillierte Register bemühen muss, um mich im Buch zurechtzufinden.
Von den Anfängen der Brauerei …
Kapitel I „Bestechung mit zwei Halben“ berichtet von der Vorgeschichte, der Gründung Altonas und den Spuren des Bierbrauens in der Region.
Kapitel II „Eine Goldmedaille für den Holsten-Ritter“ beschreibt die ersten zwanzig Jahre von 1879 bis 1899 – die Anfänge der Brauerei. Anekdoten, Bilder und Dokumente entführen den Leser in eine spannende Zeit der ersten Schritte.
Die Wirren des Ersten Weltkriegs, aber auch der sogenannte Bierkrieg um eine letztlich nicht erfolgreich durchgesetzte Erhöhung des Bierpreises, sind Inhalt des Kapitels III „Vom ‚Bierkrieg‘ zum Ersten Weltkrieg“, das die Jahre 1900 bis 1919 abdeckt.
Die Zwischenkriegsphase von 1920 bis 1939, die in Kapitel IV „Altonaer Bier wird zum Hamburger Bier“ geschildert wird, war von Konkurrenz und Wettbewerb zwischen den Städten Altona und Hamburg und ihren jeweiligen Brauereien geprägt, und die Greuel des Zweiten Weltkriegs und der Wiederaufbau danach werden in Kapitel V unter der Überschrift „Vom ‚Molkebier‘ zum Bier-Imperium“ beschrieben.
… bis in die Neuzeit
Eine reine Erfolgsgeschichte ist dann der letzte Zeitraum von 1960 bis 1979, beschrieben im Kapitel VI „Im Norden Nummer eins!“. Wirtschaftswunder, Expansion und das Erschließen internationaler Märkte – nichts schien mehr unmöglich.
Und so ist es denn auch der Optimismus für die nächsten hundert Jahre verständlich, wie er sich im Vorwort widerspiegelt.
Ein Buch, das – natürlich! – die Holsten-Brauerei in den Himmel lobt, es ist ja schließlich eine Festschrift. Aber eines, das auch viel Einblick in die Biergeschichte der Stadt gibt. Zahlreiche Bild- und Textdokumente ergänzen die Lobpreisung – hier haben das Museum für Hamburgische Geschichte, das Museum für Kunst und Gewerbe und das Staatsarchiv Hamburg ganz hervorragend zugearbeitet, so dass das Buch doch ein schönes Nachschlagewerk geworden ist.
Kurt Grobecker
O Bier du schmäckest fein
Hundert Jahre Holsten-Brauerei Hamburg-Altona
Holsten-Brauerei Hamburg
Hamburg, 1979
ISBN 3-7672-0660-9
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