Brotbier – nachhaltig und natürlich, aber nicht überall erlaubt
Die Leser meines Blogs wissen, für wie verlogen ich die Argumente des Deutschen Brauerbunds zum Thema sogenanntes „Reinheitsgebot“ halte.
So sehr ich es einerseits respektiere und sogar schätze, wenn sich Brauereien freiwillig an eine Form des Brauens halten, die ausschließlich Malz, Hopfen, Wasser und Hefe als Rohstoffe erlaubt, und dann mit einem Verweis auf das sogenannte „Reinheitsgebot“ werben, so sehr ärgert es mich auf der anderen Seite, wenn der Geist dieser lebensmittelrechtlichen Vorschrift zugunsten einiger Lobbyisten auf willkürliche Art verbogen wird, indem nicht nur fälschlicherweise der Claim „Reinheit“ benutzt wird, obwohl die ursprüngliche Beschränkung auf vier Rohstoffe gar nichts mit „Reinheit“ zu tun hat, sondern auch durch juristische Tricks und eigenwillige Interpretation ihres, nämlich der lebensmittelrechtlichen Vorschrift Wortlauts, Methoden erlaubt werden, die mit einem natürlichen Brauprozess nicht viel zu tun haben – wie zum Beispiel der Einsatz von Filterhilfsmitteln oder Färbebieren. Auch völlig willkürlich wirkende weitere Einschränkungen, die keinerlei Logik folgen, wie zum Beispiel das Verbot, für untergärige Biere Malze aus anderen Getreidesorten als Gerste einzusetzen, tragen zu diesem Ärger ebenso bei wie der paternalistische Ansatz, jedes Bier jenseits dieser Vorschrift grundsätzlich erst einmal zu verbieten. Der Gipfel ist allerdings, dass der Bayerische Brauerbund durch unappetitliche Lobbyarbeit bis heute erfolgreich dafür sorgt, dass in diesem Bundesland bis heute noch keine einzige Brauerei offiziell eine Ausnahmegenehmigung erhalten hat, Bier zu brauen, das natürliche Zutaten jenseits der vier aufgeführten enthält.
Statt sich mit auf Basis diesen Ärgers geäußerter Kritik inhaltlich auseinanderzusetzen, kommt aus den Reihen des Bayerischen Brauerbunds meist nur die dümmlich-unreflektierte Retourkutsche, man wolle kein Chemiebier – als ob das die Befürworter einer Abschaffung des sogenannten „Reinheitsgebots“ in der derzeitigen Interpretation fordern würden.
In der Folge hat sich Deutschland in einen Flickenteppich von Sonder- und Ausnahmegenehmigungen, geduldeten Einzelfällen, willkürlich festgesetzten Regeln, Unberechenbarkeit in der Anwendung geltender Vorschriften und sogar bewusstem Ignorieren von Gerichtsurteilen verwandelt. Puh!
(Bildquelle: Deutsche Kreativbrauer)
Die Deutschen Kreativbrauer wollen gegen diese Willkür ein Zeichen setzen und werden mit einer Aktion am 23. April 2022, dem Tag des deutschen Biers (und aus Sicht der Brauerbünde auch dem Tag des sogenannten „Reinheitsgebots“), auf die Widersprüchlichkeit der derzeitigen Rechtslage hinweisen.
Wie? Das sollen sie am besten selbst erklären, und daher hier die Pressemitteilung im Wortlaut:
Brotbier – nachhaltig und natürlich, aber nicht überall erlaubt
Brot und Bier gehören in Deutschland seit jeher zusammen. Was wäre eine typische Brotzeit ohne ein begleitendes Bier? Doch Bier wird nicht nur „flüssiges Brot“ genannt, aus Wasser, Malz, Brot, Hopfen und Hefe entstehen in letzter Zeit immer häufiger interessante Brotbiere, die bei den Konsumenten gut ankommen. Kreative Brauer verarbeiten dabei Brot, das von Handwerksbäckereien nicht verkauft wurde und sonst weggeworfen werden müsste. Was sich nach einer nachhaltigen Idee anhört, wie Lebensmittelverschwendung reduziert werden kann, ist aber immer mehr Konservativen in Brauereiverbänden ein Dorn im Auge, gegen den verstärkt vorgegangen werden soll.
Historische Wurzeln
Dabei ist das Brauen mit Brot keine neue Idee. Schon im späten 17. Jahrhundert gibt es Aufzeichnungen von bayerischen Hausbieren, bei denen getrocknete Brotrinde ein fester Bestandteil des Rezeptes ist. In der Zauche, einer Region in Brandenburg, wurde das sogenannte Zauchische Landbier sogar komplett mit Broten aus Malz und Roggenmehl hergestellt. Erst als das bayerische Malz- und Biersteuerrecht 1906 für das ganze damalige Reichsgebiet verbindlich wurde, starb dieser Teil der deutschen Brauhistorie aus. Der Bundesverband Kreativbrauer e.V. hat sich zum Ziel gesetzt, in diesem Jahr auf diese verloren gegangene Brautradition aufmerksam zu machen. Selbst wenn heutige Brote mit Roggen, Salz oder Gewürzen gebacken werden, lassen sich daraus gebraute Brotbiere in die deutsche Brautradition einreihen. So enthält die noch heute unter anderem in Leipzig und Goslar gebraute Gose zum Beispiel Salz, Koriander oder weitere Gewürze. Gewürzbiere hatten in Deutschland übrigens bis weit in die Neuzeit eine reiche Tradition. Und Weizen-, Dinkel-, Emmer und Roggenbiere werden auch heute noch von Konsumenten sehr geschätzt.
Operation: Brotbier
Während Bäcker zum Beispiel überall im Land die gleichen Produkte herstellen dürfen, müssen Brauer quer durch die Republik mit unterschiedlichen Arbeitsbedingungen kämpfen. Was in Deutschland gebraut werden darf, regelt das vorläufige Biergesetz, das ausdrücklich Ausnahmegenehmigungen für besondere Biere vorsieht. Allerdings gilt dies nicht für alle Brauereien im gleichen Maße. Ob und zu welchen Bedingungen eine Ausnahmegenehmigung erteilt wird, liegt im Ermessen der jeweiligen Aufsichtsbehörde. Bayern verbietet solche Genehmigungen sogar ganz. Um auf diese himmelweiten Unterschiede aufmerksam zu machen, brauen die deutschen Kreativbrauer am 23.04.2022 ein Brotbier bei der Pax Bräu im unterfränkischen Oberelsbach. Da dieses Bier in Bayern nicht legal vergären darf, wird der Sud von der Pax Bräu nach Berlin zur Brauerei Heidenpeters gebracht. Dort darf das Brotbier legal vergären, reifen und fertig „nach Bayern reimportiert“ werden. Nur durch diesen Kunstgriff ist es möglich, in Bayern legal ein nachhaltiges und natürliches Brotbier herzustellen. Brauer aus ganz Deutschland unterstützen diese Aktion durch eigene Brotbiere.
Brot als verbotener Malzersatzstoff?
Der Hauptkritikpunkt an Brotbieren ist, dass es sich bei dem verwendeten Brot um einen verbotenen Malzersatzstoff handele, weil in Brot unvermälztes Getreide verwendet wird. Diese sogenannte „Rohfrucht“ würde die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung unmöglich machen. Dieser Meinung widerspricht der Bundesverband Kreativbrauer e.V. vehement. Der Sinn hinter dem Verbot von Malzersatzstoffen liegt darin, die Verbraucher vor minderwertigen Ersatzstoffen zu schützen. Bei handwerklich gebackenem Brot handelt es sich aber um eine hochwertige natürliche Zutat, die durch seine Beschaffenheit und seinen Geschmack das Aroma des fertigen Biers deutlich prägt. Das gilt auch für viele Bierstile, die in letzter Zeit mehr und mehr Beliebtheit erlangen, wie zum Beispiel das New England IPA oder das klassische Stout: Hier geben Rohfruchtanteile aus Haferflocken oder Röstgerste den Bieren ihr besonderes Mundgefühl und Aroma. Durch ein rigoroses Verbot von Rohfrucht könnten solche Bierstile nicht mehr gebraut werden. In letzter Konsequenz wären dadurch viele kleine Brauereien, die sich auf besondere Biere spezialisiert haben, in ihrer Existenz bedroht.
Soweit also die Deutschen Kreativbrauer. Eine bemerkenswerte Aktion, finde ich. Eine, die viel Aufmerksamkeit verdient hat und der ich aus diesem Grund auch diesen Blogeintrag widme.
Und wer noch etwas mehr wissen möchte, für den bieten die Deutschen Kreativbrauer auch noch etwas Hintergrundwissen an – Anregung zum Nachdenken und vielleicht auch zum weiteren Recherchieren:
Hintergrund: Die Deutschen Kreativbrauer
Der Verein Bundesverband Kreativbrauer e.V. wurde 2016 gegründet und vertritt die Interessen kleiner, unabhängiger Brauereien. Getreu ihrem Motto „Natürlich geht mehr!“ verstehen sie Bier als natürliches Lebensmittel und nicht als High-Tech-Designerprodukt. Ein Ziel des Vereins ist es, neben den reinheitsgebotskonformen Bieren eine rechtssichere Nische für kreative Brauereien zu schaffen, die mit natürlichen Zutaten wie Früchten, Kräutern oder Gewürzen brauen wollen. Außerdem setzt sich die deutschen Kreativbrauer dafür ein, dass landesweit einheitliche Regelung nach österreichischem Vorbild gelten, die das Brauen mit natürlichen Zutaten ohne vorherige Ausnahmegenehmigung gestattet.
Hintergrund: Natürlichkeitsgebot
Statt auf das traditionelle Reinheitsgebot setzen die deutschen Kreativbrauer selbstverpflichtend auf das Natürlichkeitsgebot. Das Natürlichkeitsgebot stellt den handwerklichen Umgang mit dem Produkt und den Rohstoffen in den Vordergrund. Biere, die nach dem Natürlichkeitsgebot gebraut sind, dürfen neben Wasser, Malz, Hopfen und Hefe auch natürliche Zutaten wie Früchte, Kräuter oder Gewürze beinhalten. Fruchtextrakte oder -konzentrate, aber auch nach dem Reinheitsgebot erlaubte Extrakte wie Farbebier oder Hopfenextrakt sind für Biere nach dem Natürlichkeitsgebot dagegen ebenso tabu wie künstliche Hilfsstoffe (Zum Beispiel Kieselgur). Als natürliches Lebensmittel darf Bier auch Trub- und Schwebstoffe enthalten, die einen Teil des Gesamtaromas ausmachen. Daher werden Biere mit dem Siegel „Gebraut nach dem Natürlichkeitsgebot“ auch nicht filtriert oder einer künstlichen Haltbarkeitsverlängerung durch Erhitzung oder den Einsatz von Stabilisatoren wie Polyvinylpolypyrrolidon unterzogen, wie sie das deutsche Bierrecht erlaubt.
Hintergrund: Lebensmittelverschwendung bei Brot
Jedes Jahr werden nach einer Studie des WWF in Deutschland 1,7 Millionen Tonnen Backwaren weggeworfen. Das liegt unter anderem daran, dass Konsumenten mittlerweile auch bei kleinen Handwerksbäckereien eine Auswahl an Brot- und Gebäcksorten erwarten. In der Branche gilt daher eine Retourenquote von 15 % als „gesund“. Ein Teil des Altbrotes wird an gemeinnützige Organisationen wie Tafeln gespendet, ein weiterer Teil wird zu Tierfutter weiterverarbeitet oder in Biogasanlagen in Energie umgewandelt. Backwaren können aber auch zu Lebensmitteln weiterverarbeitet werden. In den „Leitsätzen für Brot und Kleingebäck“ heißt es dazu: „Die Verwendung von verkehrsfähigem hygienisch einwandfreiem Brot bei der Brotherstellung ist üblich“. Je nach Brotsorte dürfen bis zu 20 % Paniermehl aus Altbrot zum Backen verwendet werden. Da Bäckereien, Mälzereien und Brauereien Handwerksbetriebe mit hohem Energieeinsatz sind, würde ein ähnlicher Einsatz von Altbrot in besonders gekennzeichneten Brotbieren würde zu deutlichen Energieeinsparungen führen.
Bundesverband Kreativbrauer e.V.
Rathgeberstraße 7
97 656 Oberelsbach
Bayern
Deutschland
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